Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Semesterpreis

Mehr Mais für Bauern in Afrika

Drei Informatikstudierende entwickelten im Rahmen ihres Masterprojekts eine Softwarelösung, die der Bauernschaft in Sub-Sahara-Afrika helfen könnte, ihre Ernteverluste zu reduzieren. Dafür erhielten sie einen Semesterpreis der UZH.
Marita Fuchs

Studierende, die hervorragende Arbeiten geschrieben haben, werden von der UZH mit einem Semesterpreis ausgezeichnet. In einer Serie zeigen wir anhand einiger Beispiele, was eine gute Arbeit ausmacht, worin ihr didaktischer Nutzen besteht, was Studierende zu besonderen Leistungen motiviert und wie sie von Dozierenden unterstützt und betreut werden.

«Die spannende Aufgabenstellung hat uns motiviert», sagen die Studierenden Hannah Rohe, Ann-Kathrin Kübler und Joël Inglin (von links), die für ihr Masterprojekt ausgezeichnet wurden. (Bilder: Diana Ulrich)

Springen wir ins Herbstsemester 2022: Am Institut für Informatik findet ein Markt statt. Es ist ein spezieller Markt, denn hier stellen Dozierende Themen für Masterprojekte vor. Informatik-Masterprojekte sind anwendungsorientiert ausgerichtet und sollen im Team von zwei bis fünf Studierenden in maximal einem Jahr umgesetzt werden. «In der Software-Entwicklung beruht alles auf Teamarbeit. Es ist empirisch erwiesen, dass Projekte häufiger an Kommunikationsproblemen als an technischen Herausforderungen scheitern. Gerade deshalb ist das Masterprojekt als Teamarbeit so wichtig», sagt Informatik-Professor Lorenz Hilty. «Die Studierenden sollen lernen, mit den typischen Herausforderungen umzugehen, die auch in der Berufspraxis auf sie zukommen werden: Verständigungsprobleme, schwieriges Projektmanagement, komplexe Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Akteuren.»

Zurück zum Markt: Ihr Thema können die Studierenden selbst aussuchen. Die Dozierende stellen die Aufgabe in einem kurzen Pitch vor. Ann-Kathrin Kübler und Hannah Rohe – beide im Masterstudium – suchen nach einem Thema für ihre Projektarbeit. Beide kennen sich flüchtig, haben aber das Gefühl, dass die Zusammenarbeit klappen könnte. Ann-Kathrin hat bereits einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften, ihr Schwerpunkt im Informatikstudium ist Data Science. Hannahs Gebiet sind Software Systems. Die beiden suchen nach einem Thema, das sie inhaltlich herausfordert und zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt.

Nützliche Plastiksäcke

Bei Lorenz Hilty bleiben sie stehen. Sie kennen den Informatik-Professor von Vorlesungen. Dabei ist auch Matthias Huss, UZH-Ökonom, der zu Ernährungssystemen forscht und lange im Bereich Nachhaltigkeit mit Lorenz Hilty zusammengearbeitet hat. Huss hat gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Brander vor einigen Jahren ein Forschungsprogramm initiiert, das sich mit Ernteverlusten in Sub-Sahara-Afrika befasst.

Hilty und Huss erklären den Studierenden das Thema: Inhaltlich geht es um Ernährungsfragen und Erntekrisen in Afrika. Die Studierenden sollen ein Tool entwickeln, mit dem man Kommunikationswege simulieren kann. Die Daten dazu haben die UZH-Forschenden gemeinsam mit Forschenden der Sokoine University of Agriculture in Tansania erhoben. Hannah und Ann-Kathrin sind ganz Ohr.

Bei Mais zum Beispiel betragen die Ernteverluste in Sub-Sahara-Afrika etwa 30 Prozent. Sie werden in der Regel durch Insektenbefall und Schimmel verursacht. Die Bauern verkaufen deshalb direkt nach der Ernte möglichst viel, denn sie wissen, dass bei Lagerung die Insekten womöglich alles vernichten. So kommt es bis zur nächsten Ernte immer wieder zu Nahrungsmittelengpässen, weil kein Mais mehr zur Verfügung steht. «Dabei gibt es eine einfache Möglichkeit, die Verluste auf nahezu null Prozent zu reduzieren», erklärt Huss den Studentinnen. «Wir haben mit hermetischen Erntesäcken gute Erfahrungen gemacht.» Die Hundert-Kilo-Säcke lassen sich so verschliessen, dass der Mais vor Insektenbefall und Schimmel geschützt wird. Unter Luftabschluss sterben die Insekten ab.

Zur Demonstration zeigt Huss den Studentinnen einen Erntesack. Diese Säcke werden in Tansania für umgerechnet knapp zwei Dollar verkauft. Aber nur drei Prozent der Kleinbauern nutzen bis jetzt die Säcke, obwohl der Preis fair ist. «Wir fanden heraus», so Huss, «dass mit den Säcken die schwere Ernährungsunsicherheit um 40 Prozent reduziert werden kann.» Die Frage ist nur, wie man die Menschen vor Ort am besten erreicht, um das Wissen um den Nutzen der Säcke zu verbreiten.

Lorenz Hilty (2.v.l.) und Matthias Huss (r.) diskutieren mit den Studierenden mögliche Modellsimulationen.

Kommunikationswege modellieren

«Und hier kommen wir zurück zum Informatikprojekt», erklärt Hilty den beiden Studentinnen. Es geht darum, auf Basis der im Projekt erhobenen Daten in einem Modell zu simulieren, wie Ausbildung und Kommunikation zusammenwirken. Daten über die Verteilung der Säcke und die Ernteerfolge in einzelnen Regionen erhalten die Studierenden aus Tansania. Ebenso bekommen sie Informationen über die vor Ort üblichen Kommunikationsformen. Mund-zu-Mund-Propaganda, Nachbarschaftsgespräche, einflussreiche Dorfälteste oder Instruktor:innen, die in die Dörfer geschickt werden, um die Funktion der Säcke zu erklären – all das spielt eine Rolle. Das von den Studierenden zu entwickelnde Modell soll simulieren, wie sich Information in diesem System ausbreitet und berechnen, welche Interventionen im jeweils betrachteten Gebiet am besten wirken.

Hannah und Ann-Kathrin begeistert die Idee, in einem Masterprojekt etwas zur Verbesserung der Ernährungssituation beitragen zu können. Später stösst auch Informatikstudent Joël Inglin zur Gruppe, und so wird aus dem Zweiergespann ein Trio.

Gute Planung als Erfolgsrezept

Zwei Jahre später: Wir treffen im Herbstsemester 2024 die drei - inzwischen mit dem Semesterpreis ausgezeichneten - Studierenden im Wissenszentrum für Nachhaltige Entwicklung* in Zürich. «Die Arbeitsatmosphäre hier ist gut, es gibt genug Platz und die Infrastruktur ist für Projektarbeiten perfekt», sagt Joël. «Ich erinnere mich, dass wir uns hier jeweils getroffen und viel Zeit in die Planung gesteckt haben, bevor wir das Simulationsmodell programmierten», erzählt Hannah. «Dank des präzisen Zeitplans und der durchdachten Arbeitsteilung haben wir uns nicht verzettelt und das Ziel im Auge behalten.»

Lorenz Hilty, unterdessen emeritiert, empfahl den Studierenden, sich als Grundlage für die Entwicklung ihres Simulationsmodells auf eine Software zu stützen, die ein Masterstudent zuvor entwickelt hatte. «Diesen Code mussten wir zuerst einmal nachvollziehen», erzählt Joël.

Offene Problemstellung

«Den Semesterpreis erhielten die drei Studierenden, weil sie mit einer besonders komplexen Ausgangslage zurechtkamen und im Team sehr gut durchdachte und innovative Lösungen fanden», sagt Hilty. Um das Vorgängermodell zielführend weiterentwickeln zu können, mussten sie seine Stärken und Schwächen genau analysieren. Gleichzeitig galt es herauszufinden, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit die Forschenden in Tansania das Modell auch nutzen können. In der Praxis seien derart komplexe Ausgangssituationen der Normalfall, so Hilty. «In Software-Projekten muss man immer genau abwägen, was wünschbar, technisch möglich und mit den vorhandenen Ressourcen machbar ist. Damit die Studierenden dies trainieren können, lege ich grossen Wert auf selbständiges Arbeiten.»

Zu den vielschichtigen Herausforderungen, mit denen Studierende dabei konfrontiert sind, gehört zum Beispiel die Koordination im Team. «Je selbständiger die Studierenden in einem Gemeinschaftsprojekt arbeiten und je grösser ihre Gestaltungsspielräume sind, desto besser müssen sie untereinander kommunizieren», sagt Hilty.

Gestalten, was Bestand hat

Und wie haben die Studierenden ihre Teamarbeit erlebt? «Dank der spannenden Aufgabenstellung waren wir sehr motiviert und intensiv bei der Sache», bilanziert Ann-Kathrin Kübler. Wichtig sei es, sich Zeit zu nehmen für Diskussionen innerhalb der Gruppe und einen guten Umgang zu finden mit unterschiedlichen Arbeitsstilen. Das praktische Wissen von Matthias Huss habe ihnen geholfen, sagt Hannah Rohe, und führt aus: «Matthias Huss kennt die Verhältnisse vor Ort gut, dadurch bekam unsere Modellierung den nötigen detaillierten Realitätsbezug.» Auch Matthias Huss selbst ist zufrieden: Seine Kollegen an der Universität in Tansania arbeiten nun mit dem Tool und Huss hofft, dass in der Bevölkerung vor Ort bald mehr Erntesäcke in Umlauf kommen.

*Am Wissenszentrum für Nachhaltige Entwicklung ZKSD arbeiten die vier kantonalen Hochschulen (UZH, PH, ZHDK, ZHAW,) im Bereich Nachhaltigkeit interdisziplinär zusammen.

Website: ZKSD – Zurich Knowledge Center for Sustainable Development

 

Weiterführende Informationen

Semesterpreise der UZH

Informationen zu den Semesterpreisen der UZH und Listen der bisherigen Preisträger:innen finden Sie auf der Website.