Header

Suche
Interdisziplinär studieren

Von Kindern lernen

Studierende der UZH unterstützen Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien – und lernen dabei eine Menge. Möglich macht dies das interdisziplinäre Modul «Mentoring für die nächste Generation».
Adrian Ritter
Wie sieht ein Kind die Welt? Als Mentor lernte Wirtschaftsstudent Andri Brühwiler, sich in andere hineinzuversetzen. (Bild: Diana Ulrich)

Für Andri Brühwiler war es ein Eintauchen in eine andere Kultur: Ein Jahr lang traf sich der Wirtschaftsstudent wöchentlich mit einem neunjährigen Primarschüler, dessen Eltern als syrische Kurden in die Schweiz geflüchtet waren, und half er ihm bei schulischen Herausforderungen. Einfühlungsvermögen war gefragt: Welche Bedürfnisse hat der Junge? Was bereitet ihm Schwierigkeiten? Und vor allem: Was erwartet er von mir, wie kann ich ihn unterstützen?

Die Lernkurve war steil: Als Erstes realisierte Andi Brühwiler, dass dem Jungen zuhause ein Arbeitsplatz für die Hausaufgaben fehlt. Gemeinsam richteten sie einen ein. Schritt für Schritt gelang es dem Studenten, das Vertrauen des Schülers zu gewinnen, sodass dieser ihm von seinen Schwächen erzählte: Er hatte Mühe mit der deutschen Sprache, war etwas chaotisch und es fehlte ihm an Durchhaltewillen beim Lernen. 

Portraitbild von Brühwiler

Als Mentor brauchte ich Fähigkeiten, die bisher im Studium nicht gefragt waren.

Andri Brühwiler
Wirtschaftsstudent

Brühwiler brachte seinen gesamten Erfahrungsschatz ein: Seine eigenen Lernerfahrungen ebenso wie das an der Universität Gelernte. Denn die Erfahrung mit den Kindern ist für die Studentinnen und Studenten zwar ein Sprung ins kalte Wasser – allerdings mit Auffangnetz. Das Mentoring ist eingebettet in eine Lehrveranstaltung an der Universität Zürich: Das Modul «Mentoring für die nächste Generation» wird an der UZH seit 2023 angeboten.

Lernfähiges Gehirn

Dozierende aus den Fächern Pädagogik, Psychologie und Ökonomie bereiten die angehenden Mentorinnen und Mentoren auf ihre Aufgabe vor. In den einführenden Veranstaltungen vermitteln diese interdisziplinär ihr Wissen: Was brauchen Kinder, um glücklich zu sein? Was macht es aus, dass ein Mentoring wirksam ist? Zentral ist dabei immer die Kernbotschaft: Unser Gehirn ist plastisch. Was ein Kind heute nicht kann, lernt es vielleicht morgen.

Im Laufe der zwei Semester besuchen die Studierenden zudem mehrere Gruppencoachings und können bei Fragen und Problemen jederzeit ein Einzelcoaching in Anspruch nehmen.

Vor allem aber sollen die Studierenden in der Begegnung mit ihren Mentees neue Kompetenzen erwerben. Denn darum geht es: Mentoring stärkt das Einfühlungsvermögen und Selbstvertrauen ebenso wie die Fähigkeit, Lösungen zu finden in kritischen Situationen. 
 

Bildungschancen für alle

Auslöser für die Schaffung des Mentoring-Moduls an der UZH war die Asylorganisation Zürich (AOZ). Auch Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen sollen gute Bildungschancen haben, lautet deren Credo. Sie bietet deshalb das Mentoringprogramm «Future Kids» an. Studierende verschiedener Hochschulen nehmen als Mentorinnen und Mentoren für junge Menschen im Kanton Zürich daran teil. Die Nachfrage seitens der Primarschulen ist gross. Deshalb fragte die AOZ die Universität Zürich an, ob sie sich ebenfalls daran beteilige.

Portraitbild von Ulf Zölitz

Sozial-emotionale Kompetenzen werden auf dem Arbeitsmarkt auch in Zukunft gefragt sein, da sie nicht durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden können.

Ulf Zölitz
Professor für Ökonomik der Kinder- und Jugendentwicklung

Da zögerte Ulf Zölitz nicht. Der Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Jacobs Center for Productive Youth Development der UZH beschäftigt sich in seiner Forschung mit genau diesen Fragen: Wie kann Kindern geholfen werden, ihr Potenzial auszuschöpfen? Wie lässt sich die Chancengleichheit in der Bildung erhöhen? Zweimal hat Zölitz das «Mentoring für die nächste Generation» bereits angeboten. Jeweils rund 30 Studierende aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen der UZH haben daran teilgenommen – im Herbst 2025 startet die dritte Durchführung.

Lernen in der Begegnung

Es sind vor allem sozial-emotionale Fähigkeiten, welche die teilnehmenden Studierenden dabei stärken können. «Gerade solche Kompetenzen werden auf dem Arbeitsmarkt auch in Zukunft gefragt sein, da sie nicht durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden können», sagt Zölitz: «Es sind Schlüsselkompetenzen, die in jedem Berufsfeld wichtiger werden.» Entsprechend ist die Veranstaltung nicht nur für Studierende interessant, die später im Lehrberuf tätig sein wollen. 

Beim Mentoring ist Spontaneität gefordert: Professor Ulf Zölitz (links) und Student Andri Brühwiler. (Bild: Diana Ulrich)

Andri Brühwiler beschreibt in seinem Reflexionsbericht, wie ihn das Mentoring geprägt hat. «Im Mentoring brauchte ich Fähigkeiten, die bisher im Studium nicht gefragt waren», sagt er. So wurde ihm bewusst, dass Geduld eine seiner grossen Stärken ist. «Gleichzeitig konnte ich sehr gut üben, in Situationen spontan zu reagieren – was mir bisher schwerer fiel», sagt der 27-Jährige. So musste er trotz akribischer Planung eines Treffens manchmal spontan das Programm umstellen – etwa wenn der Schüler vergessen hatte, dass am nächsten Tag eine Prüfung oder ein Vortrag stattfand und Unterstützung dabei benötigte. 

Die Mentees selbst wurden aufgefordert, den Studierenden regelmässig zu signalisieren, wie sie unterstützt werden möchten. Zudem tauschten die Studierenden der verschiedensten Fachrichtungen untereinander immer wieder Tipps aus: Wie motivierst du deinen Mentee? Welche Lernstrategien helfen deinem Mentee am besten?

Viel bewirkt

Andri Brühwiler war es eine Freude, zu sehen, wie sein Mentee im Laufe des Jahres sprachlich sicherer und beim Lernen motivierter und organisierter wurde. «Es war eindrücklich, zu erleben, dass ein wöchentlicher Aufwand von zwei Stunden so viel bewirken kann.» Gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie ungleich die Bildungschancen verteilt sind: «Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Das können aber nicht alle Eltern, nur schon wegen der sprachlichen Voraussetzungen.»