Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Anthropozän

«Wir verändern unseren Planeten nachhaltig»

Mit dem Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, soll ein neuer Abschnitt der Erdgeschichte markiert werden. Doch was ist das Anthropozän? Wann beginnt es? Und wie zeichnet es sich aus? Ein Gespräch mit der Historikerin Debjani Bhattacharyya und der Erdsystemwissenschaftlerin Maria J. Santos.
Interview: Thomas Gull, Stefan Stöcklin
Die Historikerin Debjani Bhattacharyya (li) und die Erdsystemwissenschaftlerin Maria J. Santos blicken aus unterschiedlichen Fachgebieten auf das neue Erdzeitalter, das Anthropzän. (Bild: Jos Schmid)

 

Seit der neolithischen Revolution versucht der Mensch, die natürlichen Ressourcen besser auszubeuten. Während langer Zeit haben diese Eingriffe die Natur nicht grundlegend und nachhaltig verändert. Das hat sich geändert. Deshalb diskutiert die Wissenschaft darüber, einen neuen Abschnitt der Erdgeschichte auszurufen, das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen. Wann beginnt dieses?
Debjani Bhattacharyya: Je nachdem, wie man die Sache anschaut, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Für die einen ist die neolithische Revolution, als die Menschen begannen, Landwirtschaft zu betreiben, der Beginn einer neuen Epoche in der Erdgeschichte. Der Mensch nahm erstmals gezielt Einfluss auf die Natur, etwa durch den Anbau und die Züchtung von Pflanzen. Andere argumentieren mit der Erfindung neuer Energiesysteme wie der Dampfmaschine, die es dem Menschen erlauben, physische Grenzen zu verschieben. Mit den Dampfmaschinen hat auch die Freisetzung von CO2 im grossen Stil begonnen, die sich im Boden und im Eis der Gletscher nachweisen lässt. Damit wird der Mensch zum geologischen Akteur.
Maria J. Santos: Es gibt verschiedene Indikatoren, die zeigen, wie der Mensch beginnt, die Natur zu beeinflussen. Dazu gehört die Entdeckung des Feuers, der Beginn der Landwirtschaft vor etwa zehntausend Jahren oder die Nutzung neuer Materialien. Indem er Dünger einsetzt, verändert der Mensch auch die natürlichen Kreisläufe von Stickstoff und Phosphor. Der holländische Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, der den Begriff des Anthropozäns vorgeschlagen hat, datierte dessen Beginn auf den Start der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts. Die entscheidende, viel diskutierte Frage ist jedoch nicht, wann das Anthropozän begonnen hat, sondern ob es eine solche Epoche gibt, wo der Mensch seine Umwelt nachhaltig beeinflusst und verändert.

Was ist das Ergebnis dieser Diskussion?
Santos: Der Konsens ist, dass wir uns in einer neuen geologischen Epoche der Erdgeschichte befinden, dem Anthropozän, die sich vom Holozän unterscheidet, das vor gut elftausend Jahren am Ende der letzten Eiszeit begonnen hat. Die Internationale Kommission für Stratigraphie (ICS) schlägt vor, dessen Beginn in die 1950er-Jahre zu datieren.

Weshalb?
Santos: Ab den 1950er-Jahren sehen wir einen exponen­tiellen Anstieg von mehreren Indikatoren. Dazu gehört der starke Anstieg der CO2-Emissionen, die Verwendung von nuklearer Energie und von Materialien, die vom Menschen hergestellt werden und sich in der Umwelt anreichern, wie beispielsweise Plastik. Wir nennen dies «die grosse Beschleunigung».

Gibt es da Differenzen zwischen der Sicht der Geschichts­wissenschaft und jener der Erdsystemwissenschaften?
Bhattacharyya: Viele Historikerinnen und Historiker argumentieren, dass wir die Ursachen vernachlässigen, wenn wir den Beginn des Anthropozäns auf 1950 datieren. Deshalb sollten wir weiter zurückgehen. Aus meiner Sicht ist das Argument von Paul Crutzen plausibel, das Anthropozän mit der Industriellen Revolution beginnen zu lassen.
Santos: Die Freisetzung von CO2 im grossen Stil, die im 18. Jahrhundert begann, ist ein Schlüsselfaktor des Anthropozäns. Vor der Mitte des 20. Jahrhunderts verändern sich diese Indikatoren jedoch fast linear. Erst dann steigen sie stark an, werden dynamischer und irreversibel. Der neue Vorschlag der ICS unterstreicht diese Tatsache und ihre Auswirkungen auf den Planeten.

Begonnen hat die Diskussion über das Anthropozän in den Naturwissenschaften. Jetzt haben sich die Historikerinnen und Historiker eingeschaltet. Weshalb?
Bhattacharyya: Geologen und Klimatologen sprechen über zeitliche Markierungen, die die Geschichte der Menschheit unterteilen. Und sie definieren die Menschen als geologische Akteure. Beides ist natürlich sehr wichtig in meiner Disziplin. Deshalb bringen wir unsere Überlegungen ein. Wie wir die Menschheitsgeschichte in Epochen aufteilen, beeinflusst die Art und Weise, wie wir sie sehen und darüber nachdenken. Wenn man übers Mittelalter spricht, geht man von anderen Annahmen aus, als wenn von der Frühen Neuzeit die Rede ist. Für uns ist es wichtig, die sozialen Prozesse und menschlichen Intentionen zu verstehen. Das gilt auch für das Anthropozän. Wenn wir die Diskussion aus dieser Perspektive anschauen, dann können wir fragen: Weshalb haben wir uns entschieden, diesen Weg einzuschlagen, der uns schliesslich in die Klimakrise geführt hat? Und gibt es Alternativen dazu, die uns vielleicht wieder hinausführen?
Santos: Wir sollten nicht zu sehr auf die Datierung fokussieren. Für uns als Erdsystemwissenschaftler sind die Prozesse wichtig, die sich da abspielen. Und diese haben sich in den vergangenen rund siebzig Jahren fundamental verändert.

Dass es das Anthropozän als Erdzeitalter gibt, ist eine schlechte Nachricht?
Bhattacharyya: Eine schreckliche Nachricht. Der neuste Klimabericht ist deprimierend, weil er davon ausgeht, dass wir nur bis 2030 Zeit haben, um den CO2-Ausstoss massiv zu reduzieren, um das Ziel von 1,5 Grad zu erreichen, und es sehr unwahrscheinlich ist, dass uns dies gelingt.
Santos: Die Wissenschaft warnt seit dreissig Jahren vor den Folgen der Klimaerwärmung. Jetzt ist es an der Gesellschaft und der Politik, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Debjani Bhattacharyya, Sie erforschen, welche Rolle die Wirtschaft beim Klimawandel spielt. Wo sehen Sie da die treibenden Kräfte?
Bhattacharyya: Wir haben auf der einen Seite die gros­sen Erdölfirmen, die seit Jahrzehnten Kampagnen unterstützen, die den Klimawandel leugnen. Auf der anderen Seite haben wir beispielsweise die Versicherungsindustrie, die daran interessiert ist, möglichst genau zu wissen, wie sich das Klima verändert, weil davon die Risiken abhängen, die sie versichern oder eben nicht. Interessant ist im Moment, zu sehen, was in Florida passiert. Früher gab es dort alle zwölf Jahre einen Wirbelsturm oder Sturmfluten, heute passiert das fast jedes Jahr. Das will und kann niemand mehr versichern. Es wird deshalb Gebiete geben, wo man sein Haus nicht mehr gegen Schäden, die Wirbelstürme und Überflutungen anrichten, versichern kann. Das ist ein Beispiel für die wirtschaftlichen Konsequenzen der Klimaerwärmung. Viele Investoren überlegen sich deshalb gut, wo sie ihr Kapital einsetzen wollen. Solche finanziellen Entscheidungen haben eine lange Geschichte. Sie beeinflussen, welche Gebiete besiedelt werden, wohin Kapital fliesst, wie sich die Handelswege verschieben und die Arbeitskräfte. Ich erforsche, wie seit dem 17. Jahrhundert Wissen über das Klima zusammengetragen und von Versicherungen und Banken genutzt wird.

Sie beide erforschen auch Flussdeltas. Weshalb sind diese in der Klimadebatte so wichtig?
Santos: Die Deltas sind fruchtbar und deshalb dicht besiedelt. Viele der Megastädte der Welt liegen im Bereich von Deltas, dort leben etwa zwölf Prozent der Weltbevölkerung, und in den Deltas wird viel Landwirtschaft betrieben. Deren Produkte sind für die Ernährung der Bevölkerung zentral und werden exportiert. Wir interessieren uns für Deltas, weil sich dort viele Umweltprobleme zeigen, für die wir Lösungen finden müssen. Viele der Deltas sind durch den Anstieg des Meeresspiegels und durch andere Faktoren gefährdet, die auf die menschliche Nutzung zurückzuführen sind. Wir fragen uns, welche Deltas noch resilient sind. Wie wichtig sind sie?

Wie können Ihre Forschungsergebnisse genutzt werden?
Santos: Wir analysieren weltweit alle Deltas mit Karten, die zeigen, welche Leistungen die Ökosysteme erbringen und wie der Mensch sie verändert hat. Wir wollen herauszufinden, mit welchen Strategien man den klimatischen Veränderungen begegnen kann. So kann man sich aus den Deltas zurückziehen, oder man kann sie transformieren. Allerdings sind viele von ihnen so stark verändert worden, dass es sehr teuer wäre, sie beispielsweise zu renaturieren. Wir denken über Lösungen nach: Wohin geht die Bevölkerung, wenn die Deltas untergehen? Wie ersetzen wir die landwirtschaftlichen Produkte, die dort produziert werden? Eine Strategie ist, andere Dinge zu produzieren, beispielsweise von Ackerbau auf die Zucht von Meersfrüchten umzusteigen. Das ist allerdings mit neuen Risiken verbunden und erzeugt neue Umweltschäden.
Bhattacharyya: Im bengalischen Delta leben rund fünfzig Millionen Menschen. Wenn wir Lösungen für dieses Gebiet finden, könnten diese allenfalls auch für andere genutzt werden. Interessant ist, dass uns historische Überlieferungen Hinweise darauf geben können, welche Gebiete bewohnbar sind und welche nicht. So sind etwa in den mythologischen Erzählungen des bengalischen Deltas Gebiete überliefert, in denen Menschen lebten, und andere, die von Göttern bewohnt wurden. Wenn man das aufzeichnet, wird klar, dass die Menschen gewusst haben, welche Gebiete bewohnbar waren und welche nicht. Die indische Kolonialverwaltung hat dann begonnen, das Land nach ganz anderen Kriterien aufzuteilen, etwa nach den Baumarten, die sich für die Bewirtschaftung eigneten. Aufgrund dieser Karten wurden dann Siedlungen verlegt und die Biodiversität veränderte sich. Wir reden über hundert Jahre Neuansiedlungen, auch in Gebieten, die ungeeignet sind.

Was könnte getan werden?
Bhattacharyya: Betondämme könnten zurückgebaut werden, weil sie nicht gut sind für das Delta. Stattdessen können grüne Dämme gebaut und Mangroven gepflanzt werden.Das wird bereits im grossen Stil getan. Die Mangroven sind ein Puffer gegen Zyklone, sie absorbieren viel CO2 und sind eine Nahrungsquelle für die Menschen.

Sie beide haben gemeinsam mit anderen Forschenden der UZH das RE-TRANS-Forschungsprojekt lanciert (siehe Kasten), um die Folgen des Klimawandels zu erforschen. Was wollen Sie mit dem Projekt erreichen?
Santos: Die Klimaveränderung löst grosse Migrationsbewegungen aus. Es wird viele neue Orte auf der Welt geben, wo Menschen nicht mehr leben können. Die Frage ist, können die Menschen migrieren und wohin? Und wollen sie das überhaupt? Ich komme aus Portugal. Nach den grossen Bränden dort fragte man die älteren Menschen, ob sie umziehen wollten. Sie sagten, sie hätten ihr ganzes Leben an diesem Ort gewohnt und es sei ihnen egal, was passiere, ihr Platz sei hier. Das ist unsere Leitfrage: Welche Lösungen gibt es für Umsiedlungen, die wegen der Klimaerwärmung und ihrer Folgen notwendig werden? Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir eine interdisziplinäre Perspektive: Was wissen wir aus der Geschichte über Umsiedlungen? Wie werden sich Klima und Biodiversität verändern, was bedeutet das für die Menschen? Welche Konflikte können entstehen, wenn Menschen an einen anderen Ort umgesiedelt werden? Und finanzielle Fragen natürlich.

Solche Umsiedlungen werden an vielen Orten auf der Welt notwendig sein?
Santos: Wir sind dabei, eine Übersicht zusammenzustellen. Dabei beginnen wir mir Orten, die wir bereits erforschen. Wir wollen aber auch so etwas wie eine Rangliste machen mit jenen Weltregionen, die zuerst und besonders betroffen sein werden und deshalb schneller Lösungen brauchen.

Debjani Bhattacharyya ist Professorin für die Geschichte des Anthropozäns. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Ge­schichte des CO2-Zertifikats­handels.

Maria J. Santos ist Professorin für Erdsystemwissenschaften. Ein For­schungs­feld ist die Fernerkennung der Biodiversität durch bildgebende, spektroskopische Verfahren.

Weiterführende Informationen