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Pflanzen essen

Jäten, mulchen, säen, ernten

Studierende gärtnern auf dem Campus Irchel, eine Germanistin engagiert sich in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft: Selber Gemüse anbauen trägt zur Ernährungssicherheit bei, bringt Menschen zusammen, macht sie gesünder und fördert die Nachhaltigkeit.
Roger Nickl
Die UZH-Student:innen Leonie Laux und Dominic Tinner gärtnern im Strebergärtli auf dem Campus Irchel.


Ein Streifen wilde Natur mit Weiss- und Schwarzdornbüschen, ein Haufen aus Zweigen für Igel, Insekten und Vögel, Beete, in denen Rüebli, Zwiebeln, Lauch und vieles mehr wachsen, eine Kräuterinsel mit Rosmarin, Thymian & Co. ein selbstgebautes Kompost-WC, ein lauschiger Sitzplatz mit Grill, ein Gehege für die beiden Hühner Beyoncé und Herbert – das Strebergärtli ist eine kleine, grüne Biodiversitätsoase auf dem UZH-Campus Irchel. Auf gut tausend Quadratmetern Erde gärtnern hier Studierende zusammen mit Menschen aus dem Quartier.

Make Irchel Campus greener

Entstanden ist der Garten vor einigen Jahren aus der Nachhaltigkeitsinitiative «Make Irchel Campus greener» der UZH. Seither säen, jäten, mulchen, ernten rund 20 Studierende regelmässig im Strebergärtli. Mehr nehmen jeweils an den Workshops teil, die die Strebergärtli-Crew ab und zu organisiert – Kurse, in denen nützliches Wissen zu den Themen Garten und Gemüse vermittelt wird – etwa dazu, wie man Chilisauce herstellt oder Gemüse einlegt.

Kontrast zur Kopfarbeit

Wenn möglich werden im Strebergärtli alte Gemüsesorten angebaut. Die Ernte wird jeweils unter den Strebergärtnerinnen und -gärtnern aufgeteilt. Die Aussicht auf frisches Gemüse aus dem Eigenanbau ist aber nicht der einzige Grund, weshalb sich die Studierenden neben der Wissenschaft in die Gartenarbeit stürzen. «In der Erde zu wühlen, ist ein schöner Kontrast zur Kopfarbeit an der Uni», sagt Leonie Laux, die Co-Präsidentin des Strebergärtli ist und an der UZH Erdsystemwissenschaften studiert.

Und ihr Kollege Dominic Tinner meint: «Hier kann ich mich mit Themen, die wir im Studium theoretisch behandeln – etwa Zersetzungsprozesse im Kompost – einmal ganz praktisch beschäftigen, ohne gleich ein Forschungsprojekt lancieren zu müssen.» Tinner ist im Strebergärtli-Vorstand für die Kommunikation zuständig und verdient sein Geld neben dem Biologiestudium als Naturfilmer und -fotograf. Ganz ohne Experimente kommt er dann im Garten aber doch nicht aus: Vor kurzem hat er Linsen angepflanzt – ein Novum im Strebergärtli. «Mal schauen, was draus wird», sagt Tinner.

Politisches Engagement

Den Gärtnerinnen und Gärtnern, auf dem Irchel Campus sind Gemüse, Kräuter, Blumen, Tiere und der nachhaltige Umgang mit ihnen wichtig. Ihre grüne Oase soll Symbolwirkung haben. Die gemeinsame Gartenarbeit verstehen sie als politisches Engagement für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft. Der Garten soll nicht nur Insekten anlocken, die hier Nektar tanken, oder Molchen im kürzlich ausgehobenen Tümpel ein neues Zuhause bieten. Er soll eben auch ganz unterschiedliche Menschen aus der UZH, aber auch aus dem Quartier anziehen, die hier etwas lernen, das sie daheim auf dem Balkon oder im eigenen Garten umsetzen können. «So bekommt das Strebergärtli eine ökologische Ausstrahlung, die weit über die tausend Quadratmeter Grünfläche hinausgeht», ist Dominic Tinner überzeugt. «Unser Ökogarten soll die Leute inspirieren», ergänzt Leonie Laux, «denn Nachhaltigkeitsthemen gehen im Alltag oft vergessen.»

Das Pflegen der Biodiversität ist für die Gärtnerinnen und Gärtner am Irchel nicht nur ein umweltschützerisches Engagement, es hat auch einen ganz konkreten Nutzen: Denn das geschickte Pflegen der biologischen Vielfalt und das Anpflanzen von oft resistenteren alten Sorten hält Schädlinge und Krankheiten erfolgreich fern. Zwar müssen auch die Strebergärtnerinnen und -gärtner den ewigen Kampf gegen nimmersatte Schnecken führen, aber eben ein bisschen weniger als in einem weniger diversen Garten.

Germanistin Claudia Keller auf dem Feld ihrer Landwirtschaftsgenossenschaft «Pura Verdura».

Engagierte Gartenaktivistin

Den Kampf gegen gefrässige Schnecken kennt auch Claudia Keller aus dem Effeff. Die Literaturwissenschaftlerin am Deutschen Seminar ist eine eigentliche Gartenaktivistin. «Biodiversität ist ein politischer Begriff, auch wenn er heute meist beschreibend verwendet wird», sagt sie, «der umweltschützerische Gedanke steckt immer mit drin.» Bereits in ihrer Dissertation zu Wolfgang von Goethe hat sie sich mit Gartentheorien des 18. Jahrhunderts beschäftigt. «Schon damals waren Gärten, denkt man etwa an das absolutistische Frankreich, ein politisches Statement», sagt Keller, «das ist heute nicht anders.» Momentan schreibt die Literaturforscherin an ihrer Habilitation, in der das Thema Biodiversität eine wichtige Rolle spielt, und arbeitet unter anderem als Kulturwissenschaftlerin am Universitären Forschungsschwerpunkt «Global Change and Biodiversity» mit. Privat engagiert sie sich in einer Solawi, einer solidarischen Landwirtschaftsgenossenschaft. In solchen Kooperativen schliessen sich Menschen zusammen, um gemeinsam und umweltschonend Gemüse für den Eigenbedarf anzubauen.

Kulinarischer Erfindungsgeist

Die Mitglieder der Solawi verpflichten sich dazu, an vier Tagen im Jahr auf dem Feld mitzuarbeiten, sie haben aber auch professionelle Gemüsegärtnerinnen und -gärtner angestellt, die für den Unterhalt der Beete verantwortlich sind. Und sie arbeiten mit dem Verein «Natur im Siedlungsraum» zusammen, der die Biodiversität rund um die Äcker fördert. Im Gegenzug erhalten die Solawi-Mitglieder wöchentlich eine Tasche mit saisonalem Gemüse. «Das hat meinen Spieseplan total umgekrempelt», sagt Claudia Keller, «Pflanzen sind von einer Beilage zum Hauptbestandteil meiner Ernährung geworden, was ich koche, wird vom Solawi-Angebot bestimmt.» Das erfordert zuweilen kulinarischen Erfindungsgeist, vor allem im Winter, wenn das Angebot an Saisongemüse klein ist. «Eine wichtige Anschaffung waren deshalb auch ein Tiefkühler und ein Dörrex, um Gemüse haltbar zu machen», sagt Keller.

Neue Praktiken etablieren

Die Äcker von Kellers Solawi «Pura Verdura» liegen im Balgrist-Quartier, eingebettet in eine Stadtlandschaft bestehend aus Schrebergärten und Kliniken. Hier werden die Salate, Tomaten und alle anderen Gemüse für die rund 180 Solawi-Mitglieder angepflanzt. Der Gedanke der solidarischen Landwirtschaft geht für Claudia Keller weit über das Gärtnern für den Eigenbedarf hinaus. «In der Solawi geht es nicht einfach um die Selbstversorgung, das ist keine Aussteigerfantasie», sagt sie, «sondern es geht auch um die Arbeit an Strukturen.» Wir müssten zwar alle individuell handeln, letztlich liessen sich die drängenden ökologischen und gesellschaftlichen Probleme aber nur strukturell lösen. «Die Solawi bietet die Möglichkeit, solche neuen Praktiken zu etablieren», sagt Keller. Und so bringen die Mitglieder nicht nur Kompost aus und lernen Sensetechniken, sondern machen – durch faire Arbeitsverträge – Kostenwahrheit sichtbar und erproben Wege für die gerechte Verteilung von Lebensmitteln.

Pflanzen und Geschichten

Für die Literaturwissenschaftlerin Claudia Keller hat das Gärtnern noch einen ganz anderen Aspekt: Der Blick auf den Boden, der sich den kleinen Dingen zuwendet, verändert auch die Geschichten, die wir erzählen, ist sie überzeugt. Sie bezieht sich dabei auf die amerikanische Science-Fiction-Autorin und Aktivistin Ursula Le Guin, die eine Tragetaschentheorie des Erzählens entwickelt hat. Le Guin stellt das Jagen und das Sammeln unserer Vorfahren einander gegenüber und fragt nach dem Zusammenhang zwischen Technik und Erzählen.

Andere Narrative

«Die Geschichten der speerbewaffneten Jäger waren von Heroismus geprägt», sagt Keller, «wird dagegen mit dem Beutel Pflanzen gesammelt, verändert sich auch die Form des Erzählens.» Ausgehend von diesem Gedanken arbeitete die 2018 verstorbene US-Autorin an einer Erzähltheorie jenseits von männlich geprägten Heldengeschichten. «Andere Beziehungen zur Umwelt brauchen auch andere Narrative», sagt Keller, die in ihrer Habilitationsarbeit aktuelle Erzählstrategien im Zusammenhang mit Biodiversität und Ökologie weiter erforschen will. Daneben wird sie sich auch künftig in der Solawi engagieren. «Ich hoffe, die Bewegung wächst weiter», sagt Keller, «und die Städte werden künftig dichter, aber auch grüner.» Auch Dominic Tinner hofft, dass das Urban Gardening künftig noch populärer wird. «Auch kleine Anbauflächen können zur Ernährungssicherheit beitragen, Menschen zusammenbringen, sie gesünder machen und die Nachhaltigkeit steigern», sagt der Biologiestudent, «das sollte man fördern.» Ihn selbst mache es glücklich, das selbst angebaute Gemüse zu essen, sagt Tinner, und auch ein wenig stolz.

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