Geeint wäre Europa stark

Drehen wir die Zeit dreissig Jahre zurück: In den 1990er-Jahren verkündete der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall des Eisernen Vorhangs in seinem Buch «Das Ende der Geschichte» den endgültigen Sieg des Liberalismus und der liberalen Demokratie. Tatsächlich gaben sich die osteuropäischen Staaten demokratische Verfassungen, nachdem sie sich vom Diktat der Sowjetunion befreit hatten, und die USA standen im Zenit ihrer Macht. Die Pax Americana, die sich nun auch über den Osten Europas erstreckte, bescherte dem Kontinent Jahrzehnte mit Frieden, Prosperität und tiefen Kosten für die Verteidigung, dank den USA und der Nato.
Mittlerweile sind die Gewissheiten von einst verflogen. Europa findet sich in einer Welt wieder, die unsicher und instabil geworden ist. Der Krieg in der Ukraine und die imperialen Ambitionen Russlands fordern Europa politisch, militärisch und finanziell. Mit Donald Trump im Weissen Haus könnten die USA vom verlässlichen Partner zum Gegner werden. China macht Europa wirtschaftlich Konkurrenz, neuerdings auch bei den Autos und der Hochtechnologie. Gleichzeitig haben in vielen Staaten populistische Parteien grossen Zulauf. In einigen greifen sie nach der Macht, in anderen haben sie diese bereits erobert.
Welches sind die Ursachen dieser Probleme und wie kann Europa ihnen begegnen?
1. Der autoritäre Populismus untergräbt die Demokratie
Der autoritäre Populismus ist ein globales Phänomen. Es gibt ihn in einer linken wie in einer rechten Ausprägung. Aktuelle Beispiele für von autoritären Linkspopulisten regierte Staaten sind Venezuela oder die Slowakei. Von Rechtspopulisten regiert werden etwa die USA, Ungarn und Italien. Bis zum Regierungswechsel vor gut einem Jahr war auch in Polen mit «Recht und Gerechtigkeit» eine rechtspopulistische Partei an der Macht.
Der Populismus wird als Gefahr für die liberale Demokratie und den Rechtsstaat wahrgenommen. Tatsächlich haben beispielsweise Viktor Orban in Ungarn und «Recht und Gerechtigkeit» in Polen den Rechtsstaat und die Demokratie systematisch ausgehöhlt. Auch in den USA versucht die Trump-Regierung, die Kontrolle ihres Tuns durch das Parlament und die Gerichte auszuhebeln.
Weshalb vertragen sich Demokratie und Populismus nicht? «Populisten verstehen sich als Vertreter des Volkswillens, den es gegen alle Widerstände durchzusetzen gilt», erklärt UZH-Rechtswissenschaftler Daniel Moeckli. Deshalb sehen sie den Rechtsstaat, der gerade dazu dient, politische Macht zu bändigen und Minderheiten zu schützen, als Hindernis, das es zu beseitigen gilt. «Doch das Volk als geschlossene Einheit mit einem vorgegebenen Willen gibt es nicht», sagt Moeckli. Die Meinungen der Menschen sind vielfältig, politische Mehrheiten wandelbar. Deshalb besteht die fundamentale Aufgabe der Demokratie darin, zu ermöglichen, dass die Minderheit jederzeit zur Mehrheit werden kann – durch offene und faire Wahlen oder Abstimmungen.
Genau das versuchen autoritäre Populisten zu verhindern. Sie gelangen durch demokratische Wahlen an die Macht und nutzen diese dann, um den Staat so umzubauen, dass ein Machtwechsel nicht mehr oder nur noch schwer möglich ist. Attackiert wird dabei vor allem die Justiz, weil sie eine Bastion des Rechtsstaates ist. Ohne unabhängige Gerichte können auch andere rechtsstaatliche Institutionen einfacher untergraben werden. So wurden etwa in Polen die Gerichte gleichgeschaltet, indem sie mit Loyalisten besetzt wurden. Nach dem Machtwechsel versucht nun die liberale Regierung unter Donald Tusk, das wieder rückgängig zu machen. Das sei aber schwierig, so Moeckli, vor allem wenn man sich dabei an rechtsstaatliche Prinzipien halten wolle.
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Die fundamentale Aufgabe der Demokratie besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Minderheit jederzeit zur Mehrheit werden kann.
Neben der Justiz sind die Medien eine weitere Instanz, die den Mächtigen auf die Finger schaut und sie kritisiert. Deshalb werden auch diese gleichgeschaltet, etwa indem sie von Freunden des Regierungschefs aufgekauft werden, wie das in Ungarn der Fall war. Oder sie werden so lange drangsaliert, bis sie aufgeben. Das Gleiche geschieht mit zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Hochschulen, aus denen Kritik an den herrschenden Verhältnissen geäussert wird. So musste die von US-Milliardär George Soros gegründete Central European University in Budapest auf Druck der Regierung das Land verlassen.
Schliesslich können auch Grundrechte eingeschränkt und die Wahlgesetze geändert werden, wenn die Regierungspartei über die dazu notwendigen Mehrheiten verfügt. «Nach und nach werden alle Mechanismen abgeschafft, die faire demokratische Prozesse ermöglichen», sagt Moeckli. Die Wissenschaft nennt das «democratic backsliding», die schrittweise Demontage demokratischer Institutionen.
Gibt es einen Kipppunkt, ab dem es unmöglich wird, die demokratische Ordnung wiederherzustellen? «Wenn die Demokratie schon so stark unterminiert ist wie in Ungarn, wird jede Änderung schwierig», sagt Daniel Moeckli, «doch letztlich kommt es auf die Bürgerinnen und Bürger und ihren Willen zur Demokratie an. Wird der Widerstand stark genug, kann auch ein autoritäres Regime stürzen.»
Weshalb kommen autoritäre populistische Parteien an die Macht, die dann die Demokratie auszuhebeln versuchen? UZH-Politologe Jonathan Slapin nennt dafür drei Gründe: die Enttäuschung über die bestehenden Verhältnisse, wie die weit verbreitete Korruption, wie das in Ungarn der Fall war, bevor Victor Orban mit seiner Fidesz-Partei an die Macht kam. Mittlerweile hat Orban selbst ein hochgradig korruptes Regime installiert.
Ein weiterer Grund für die Rückschritte sei, dass die Demokratien in Osteuropa noch nicht konsolidiert sind, sagt Slapin: «Nur weil ein Land eine demokratische Verfassung hat und die eine oder andere freie und faire Wahl abgehalten wurde, ist es noch keine stabile Demokratie. Dazu braucht es mehrere freie und faire Wahlen. Solche Prozesse dauern Jahrzehnte.» Deshalb sei es nicht überraschend, dass es in Osteuropa zu Rückfällen in den Autoritarismus komme, findet Slapin. «Es wäre eher erstaunlich, wenn alle Länder demokratisch bleiben würden.»
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Die EU-Staaten müssten ihre Ressourcen zusammenlegen und eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln.
Stabilität verleiht einem Land neben lange eingeübten und allgemein akzeptierten politischen Prozessen auch der Wohlstand: «Je reicher ein Land ist, desto unwahrscheinlicher ist, dass die Demokratie in Frage gestellt wird», so Slapin. Ob dieses Paradigma wirklich standhält, wird die weitere Entwicklung in den USA zeigen. Aktuell manifestiert sich dort ein anderes Problem: Demokratie hängt von der Haltung der Eliten ab, sagt Slapin. Sie funktioniert, solange sich diese an die demokratischen Normen hält. «In den USA ist das nicht mehr der Fall. Dort hat die Republikanische Partei akzeptiert, dass Trump die demokratischen Normen erodiert.»
Was hilft gegen die Erosion der Demokratie? Daniel Moeckli hat darauf zwei Antworten: Die EU hat seit 2021 einen neuen Rechtsstaatsmechanismus, der es erlaubt, Mitgliedstaaten die EU-Mittel zu kürzen, wenn sie gegen die Rechtsstaatlichkeit verstossen. Gegenüber Ungarn wird dieser Mechanismus bereits angewendet, indem Milliarden aus dem Kohäsionsfonds zurückgehalten werden. Einen Teil der Gelder hat die EU sogar endgültig gestrichen. Aus der Sicht von Moeckli ist das ein starker Hebel, um Regierungen unter Druck zu setzen: «Für Ungarns Staatshaushalt sind die EU-Mittel von zentraler Bedeutung.» Es muss sich allerdings erst noch weisen, ob der Druck ausreicht, um Orban dazu zu bewegen, die Rechtsstaatsprobleme ernsthaft anzugehen.
Gestärkt werden kann die Demokratie auch durch direktdemokratische Elemente. Das zeigt das von Daniel Moeckli geleitete Forschungsprojekt «Popular Sovereignty vs. the Rule of Law? Defining the Limits of Direct Democracy», das vom European Research Council (ERC) finanziert wurde. Das Projekt hat untersucht, welche direktdemokratischen Instrumente in den 46 Staaten des Europarats existieren, wie diese reguliert sind und wie sie genutzt werden. Entscheidend sei dabei, so Moeckli, dass die direktdemokratische Mitsprache in rechtsstaatlich geregelten Bahnen verlaufe und von den Bürgerinnen und Bürgern selbst ausgelöst werden könne, wie dies etwa mit der Volksinitiative in der Schweiz der Fall ist. Würden hingegen Volksabstimmungen von oben angeordnet, sei die Gefahr des populistischen Missbrauchs gross, wie beispielsweise das Brexit-Referendum in Grossbritannien oder das ungarische Referendum über EU-Flüchtlingsquoten gezeigt hätten. «Wenn direktdemokratische Instrumente es tatsächlich erlauben, Probleme auf den Tisch zu bringen, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen, können sie eine wichtige Ventilfunktion haben», sagt Moeckli. Sie sorgen dafür, dass sich der Ärger nicht anstaut und von populistischen Bewegungen genutzt werden kann.
2. Der neue Nationalismus gefährdet den Zusammenhalt der EU
Die rechts- und die linkspopulistischen Parteien vertreten einen neuen Nationalismus, der die Interessen des jeweiligen Landes über die gemeinsamen Interessen der EU stellt und auch einen Gegensatz zwischen den beiden konstruiert. Die Befürworter des Brexit waren mit dieser Strategie erfolgreich. Gleichzeitig sind der Brexit und seine Folgen für Grossbritannien heute ein Mahnmal für jene, die mit dem Gedanken spielen, die EU zu verlassen. «Er hat gezeigt, wie schwierig und vor allem teuer es ist, die EU zu verlassen, selbst für ein grosses europäisches Land, das stets ein Aussenseiter war und auch den Euro nicht übernommen hat», sagt Jonathan Slapin.
Ausserdem ist es für die nationalistischen Populisten schwierig, zusammenzuarbeiten, weil sie eben nur auf die Interessen ihres Landes schauen. «Wenn jeder versucht, für sich allein alles zu maximieren, ist schnell Schluss mit der Zusammenarbeit», sagt UZH-Politikwissenschaftlerin Stefanie Walter dazu. «Das zeigt sich zum Beispiel an der distanzierten Haltung von Marine Le Pen zu Donald Trump – ‹America First›-Politik hat negative Folgen für Länder wie Frankreich. Das erschwert eine Zusammenarbeit auch zwischen nationalistischen Politikern.»
Die Frage ist, was passieren würde, wenn die radikale Rechte in den beiden wichtigsten EU-Ländern Deutschland oder Frankreich an die Macht käme. Zumindest im Fall von Deutschland hält Politikwissenschaftler Slapin das für unwahrscheinlich. «Die AfD wird es kaum auf 30 Prozent oder mehr Wähleranteil bringen. Sie könnte vielleicht Koalitionspartner in einer Regierung werden. Das würde aber nicht bedeuten, dass Deutschland die EU verlassen oder den Euro zerstören würde.» In Frankreich mit seinem Präsidialsystem sind die Aussichten ungewisser, weil Marine Le Pen durchaus Chancen hat, die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Die Frage wird sein, ob die Front gegen Rechts hält, die bei den letzten Parlamentswahlen den Sieg des Front National verhinderte.
3. Die zersplitterte Parteienlandschaft macht es schwerer, Regierungen zu bilden
Jonathan Slapin verweist auf eine Entwicklung, die für viele europäische Staaten zu einem Problem geworden ist: die zersplitterte Parteienlandschaft. So gab es in Deutschland in den 1970er- und 1980er-Jahren zwei grosse (CDU/CSU und SPD) und eine kleine Partei (FDP), die sich bei der Regierungsbildung ablösten. Heute sind im Bundestag sieben Parteien vertreten. Vergleichbare Entwicklungen gibt es in Frankreich, den Niederlanden oder Österreich. «Das macht es schwierig, tragfähige Regierungen zu bilden, wie wir gerade in Frankreich und Holland sehen», sagt Slapin.
Interessant ist, dass sich die politischen Standpunkte der Wähler:innen gar nicht so stark verschoben haben, wie es aufgrund der neuen Vielfalt der Parteien erscheint. «Die grundlegenden Präferenzen etwa in Bezug auf die Migration oder die EU haben sich in den letzten Jahren nicht stark gewandelt, sie sind sehr stabil, wie Umfragen zeigen», sagt Stefanie Walter, «Aber die Leute mit migrations- oder EU-kritischen Meinungen hatten lange kein starkes politisches Sprachrohr.» Das hat sich mit den neuen Parteien verändert und damit auch das Wahlverhalten.
4. Die USA werden vom Partner zum Rivalen
Seit dem Zweiten Weltkrieg stand (West-)Europa unter dem militärischen Schutz der USA. Die Vereinigten Staaten waren politisch und ökonomisch ein verlässlicher Partner. Mit der Trump-Administration, für die es nur noch Konkurrenten und Feinde gibt, ist das vorbei. «Die Forschung zeigt, dass es für Staaten grundsätzlich gut ist, wenn sie zusammenarbeiten», sagt Stefanie Walter dazu, «deshalb verlieren wir mit der transatlantischen Kooperation zwischen den USA und Europa gerade etwas sehr Wertvolles.» Walter bezweifelt, dass selbst nach dem Ende von Trumps Regierungszeit das alte freundschaftliche Verhältnis rasch wiederhergestellt werden kann. «Deshalb tut Europa gut daran, sich abzunabeln und strategisch unabhängig zu werden.»
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Europa tut gut daran, sich abzunabeln und strategisch unabhängig zu werden.
Das gilt besonders für die Verteidigung. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist Europa ein ökonomischer Gigant – das BIP der 27 EU-Staaten entspricht etwa jenem Chinas –, aber militärisch ein Leichtgewicht. Unter dem Schirm der von den USA angeführten Nato konnten die europäischen Staaten ihr Geld in den Wohlfahrtsstaat statt in die militärische Aufrüstung investieren. Das muss sich nun ändern, was schwierig und teuer wird. Vor allem müssten die europäischen Staaten viel enger zusammenarbeiten, sagt Jonathan Slapin: «Die EU-Staaten müssten ihre Ressourcen zusammenlegen und eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln.» Allerdings gibt es da verschiedene Hindernisse. Dazu gehört, dass die Länder einen Teil ihrer Souveränität abgeben müssten. Ob sie bereit dazu sind? Slapin bezweifelt das. «Frankreich beispielsweise wünscht sich europäische Streitkräfte. Aber solche nach französischen Vorstellungen und unter französischer Führung. Und würde Frankreich die Kontrolle über seine Nuklearwaffen einem militärischen Kommando überlassen, das nicht französisch ist? Wohl kaum.»
Die Nationalismen zu überwinden, dürfte bei der Verteidigung noch schwieriger sein als bei der Wirtschaft oder der Migration. Immerhin investieren mittlerweile Polen, Finnland, Schweden und die baltischen Staaten stark in die militärische Aufrüstung. «Und zum ersten Mal werden deutsche Soldaten permanent in Litauen stationiert», sagt Slapin. «Die Dinge verändern sich langsam. Doch der grosse Schock, den die USA mit ihrer Ukraine-Politik und ihrer offensichtlichen Abkehr von der transatlantischen Freundschaft in den letzten Wochen ausgelöst haben, könnte nun dazu führen, dass sich wirklich etwas bewegt.»
5. Russland bedroht Europas Sicherheit
Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine die europäische Friedensordnung, die seit dem Zweiten Weltkrieg Bestand hatte, umgestossen. Paradoxerweise hat sich Russland damit selbst geschwächt. «Mit dem Krieg ist Russland definitiv zum Juniorpartner Chinas geworden», urteilt Stefanie Walter, «China hat mittlerweile Russland nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch überholt.» Ohne die Unterstützung Chinas hätte sich Russland vermutlich nicht so lange halten können.Ökonomisch ist Russland schon lange keine Supermacht mehr, sein BIP entspricht etwa jenem Spaniens. Trotzdem sei Russland eine massive Bedrohung für Europa, insbesondere für Staaten an der Grenze zu Russland, wie die baltischen Staaten, sagt Stefanie Walter.
Das Putin-Regime habe gezeigt, dass es bereit sei, massive Kosten in Kauf zu nehmen, um Territorium zu gewinnen, auf das es Anspruch zu haben glaubt. «Das ist dank den politischen Strukturen in Russland möglich, während sich die europäischen Demokratien schwer damit tun, auf Kriegswirtschaft umzustellen.» Schon jetzt zerstört Russland mit Sabotageakten etwa in der Ostsee wichtige Infrastrukturen innerhalb Europas. Der Ukraine-Krieg habe die Europäer hier jedoch stärker zusammengeschweisst, so Walter. «Sie reden jetzt auch im militärischen Bereich über Dinge wie gemeinsame Beschaffungen von militärischen Gütern oder sogar eine europäische Armee, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren.»
Schwer zu verdauen ist für Europa die Haltung der Trump-Administration gegenüber der Ukraine. Trump übernimmt hier zunehmend Positionen Russlands und fordert ein Ende des Kriegs in der Ukraine, ohne dass die Ukraine selbst oder die Europäer bei den Verhandlungen mit am Tisch sitzen sollen. Zudem stellt sich für die EU-Staaten die Frage, ob die Ukraine in die EU aufgenommen werden soll. «Aus meiner Sicht gibt es einen grundsätzlichen Konsens, dass die Ukraine Teil der EU werden soll», sagt Stefanie Walter. Aber der Weg dorthin ist nicht einfach. Um das zu ermöglichen, müssten die EU-Verträge angepasst werden, damit die EU nicht irgendwann entscheidungsunfähig wird. Gleichzeitig bräuchte es wichtige Reformen, zum Beispiel beim Thema EU-Agrarsubventionen, die nach der aktuellen Regelung quasi komplett in die Ukraine fliessen würden.
6. Was ist zu tun?
Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage muss Europa zusammenstehen, auch wenn dies wegen der internen Differenzen nicht einfach ist. Die EU nimmt hier eine wichtige Rolle ein, doch es gibt zunehmend Formate, in die auch Nicht-EU-Staaten wie Grossbritannien oder Norwegen eingebunden sind. Zusammenstehen würde auch bedeuten, «mehr Souveränität nach Brüssel abzugeben», wie es Stefanie Walter formuliert. Das gilt insbesondere für die Aussen- und die Sicherheitspolitik. Vielleicht gelingt das doch, gerade weil der Druck so gross ist. «Die EU hat es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, doch noch die Kurve zu kriegen, auch wenn dies oft auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner geschah», sagt Stefanie Walter.
Jonathan Slapin schlägt noch etwas anderes vor: «Die europäischen Staaten sollten nicht nur auf das Wirtschaftswachstum fokussieren, sondern sich mehr um die Arbeiterklasse kümmern. Und die EU sollte vielleicht auf bestimmten Gebieten mehr staatliche Subventionen zulassen.» Das könnte die Unzufriedenheit von Bevölkerungsgruppen dämpfen, die heute mit Erfolg von den populistischen Parteien angesprochen werden. Es wäre allerdings eine Abkehr vom wirtschaftsliberalen Modell, das zusammen mit der Globalisierung für sehr günstige Konsumgüter gesorgt hat.