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Sinologie

«China wird heute auch als Gefahr gesehen»

Während die EU auf Distanz zu China geht, nähert sich die Schweiz dem Land an, sagt Sinologin Simona Grano. Künftig werden Sicherheitsbedenken die Beziehungen Europas zum Reich der Mitte prägen.
Interview: Roger Nickl
Chinesische Elektroautos auf Parkplatz.
«Die EU will vermeiden, dass China den europäischen Markt mit Elektroautos überflutet», sagt China-Expertin Simona Grano. (Bild: iStockphoto)

Simona Grano, was verbinden Menschen in China heute mit Europa?

Simona Grano: Bis vor der Corona-Pandemie hatte man in China durchaus ein positives Bild von Europa. Für viele Chinesinnen und Chinesen ist es der Ursprungsort von Markenartikeln, an denen sie interessiert sind. Auf politischer und vor allem auf ökonomischer Ebene stand Europa für einen Kontinent, mit dem man gute Beziehungen hatte und ohne grosse Einschränkungen Geschäfte machen und Handelsbeziehungen aufbauen konnte. Das hat sich aber seit der Corona-Pandemie geändert. Während der Amtszeit von Joe Biden ist die transatlantische Allianz zwischen den USA, mit denen China einen erbitterten Handelskrieg geführt hat, und Europa stärker geworden. China sieht Europa deshalb heute ökonomisch und politisch als grösseres Problem als noch vor ein einigen Jahren. Länder wie zum Beispiel die Niederlande, die viel näher an die Vereinigten Staaten gerückt sind, haben auf ideologischer Ebene eine Wahl getroffen zwischen China und den Vereinigten Staaten.

Wie hat China auf diese verstärkte transatlantische Allianz reagiert?

Grano: China hat versucht, sich Europa wieder anzunähern und die Beziehungen zur EU zu verbessern. In gewissen Bereichen ist das aber schwierig. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen koppelt in ihrer China-Strategie ökonomische Fragen mit Sicherheitsfragen. Und sie will vermeiden, dass China den europäischen Markt mit Billigprodukten und Elektroautos überflutet. Letztlich werden Sicherheitsaspekte künftig wichtiger sein als die Handelsaspekte. So gesehen ist die goldene Phase der Beziehungen zwischen China und Europa jetzt vorbei. Man assoziiert China nicht mehr nur mit einem Land, mit dem man gute Handelsbeziehungen hat, sondern es wird auch als Gefahr gesehen – unter anderem aufgrund seiner Allianz mit Russland, der Taiwan-Frage, aber auch im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Spionage.

Das heisst, die Beziehungen zwischen Europa und China sind wieder stärker ideologisch geprägt?

Grano: Ja, unterschiedliche Werte rücken wieder vermehrt in den Fokus. Man sieht, dass man China in bestimmten Bereichen nicht trauen kann und das Land Strategien verfolgt, die nicht mit Europa vereinbar sind. Diese Differenzen führen dazu, dass die EU und China auf politischer Ebene auf Distanz bleiben werden. Das schliesst jedoch nicht aus, dass in gewissen Bereichen bessere Handelsbedingungen etabliert werden können.

Unter US-Präsident Donald Trump wird die Allianz zwischen Europa und den USA möglicherweise geschwächt. Möglich ist auch ein erneuter Handelskrieg mit China. Was würde das für das europäische Verhältnis zu China bedeuten?

Grano: Sollte Trump seinen Handelskrieg mit Europa und China verschärfen, könnte dies zu Problemen für den Kontinent führen. Eine drastische Erhöhung der US-Zölle auf chinesische Produkte bedeutet einen doppelten Schlag für Europa. Denn ein Teil der chinesischen Exporte in die USA würde nach Europa umgeleitet, wo diese wahrscheinlich das Handelsdefizit der EU mit China weiter erhöhen würden. Ein weiterer Teil würde auf andere Märkte gehen, wo die chinesischen mit europäischen Exporten konkurrieren würden.

Simona Grano, Sinologin an der UZH

Die Schweiz geht auf Kuschelkurs mit China – aus ganz pragmatischen ökonomischen Gründen.

Simona Grano
Sinologin

In Ihrem Buch «China-US Strategic Competition: Impact on Small and Middle Powers in Europe and Asia», das vor zwei Jahren erschienen ist, monieren Sie, dass in Europa eine einheitliche China-Strategie fehlt. Hat sich das mittlerweile geändert?

Grano: Ja, ich denke, die EU tritt geeinter auf als noch vor zwei Jahren, zumindest auf der Handelsebene. Ein Indiz dafür sind die Strafzölle auf E-Autos, die letztes Jahr beschlossen wurden, um die heimische Industrie zu schützen. Auf der politischen Ebene ist es naturgemäss komplizierter – in der Aussenpolitik entscheiden die Staaten für sich. Und es gibt natürlich China-freundliche Stimmen beispielsweise der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Aber die Europäische Kommission hat durchaus eine geeinte Position, die China zum Teil als geopolitische Bedrohung wahrnimmt. So hat sie sich etwa klar für Taiwan ausgesprochen und gesagt, nur eine von der taiwanesischen Bevölkerung gewählte Regierung könne die Insel regieren. Eine solch klare Haltung in der Taiwan-Frage wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Sie hat China massiv irritiert.

Wo steht die Schweiz?

Grano: Das ist interessant. Die Schweiz hat sich in die Gegenrichtung entwickelt. Vor fünf Jahren hat Aussenminister Ignazio Cassis China wegen der prekären Menschenrechtssituation in Xinjiang, aber auch in Hongkong öffentlich kritisiert. Das hat zu einer Abkühlung der Beziehungen geführt. Mittlerweile hat sich das geändert. Mein Eindruck ist, dass die Schweiz seit eineinhalb Jahren, etwas zugespitzt formuliert, auf Kuschelkurs mit China geht – aus ganz pragmatischen ökonomischen Gründen. Man möchte als exportorientiertes Land mit möglichst vielen Partnern gute Handelsbeziehungen pflegen und im Grunde genommen keine Wahl treffen. Man möchte auch nicht überkritisch gegenüber China sein, weil man sich als neutrales, unparteiisches Land versteht. Allerdings ist das keine wirklich neutrale Haltung, sondern es ist eine prochinesische Neutralität.

Wie wichtig sind für China die Beziehungen zur Schweiz?

Grano: Ich denke, die Schweiz war für China immer wieder ein glücklicher Zufall. Die Schweiz war eines der ersten westlichen Länder, mit denen man gute diplomatische Beziehungen pflegte und weitgehend Handel ohne ideologische Nebengeräusche treiben konnte. Das ist für China gerade jetzt, in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation, wichtig. Man hofft, damit zu zeigen, dass man mit einem handels- und finanzorientierten Land gute Beziehungen pflegen und sogar ein bestehendes Freihandelsabkommen weiterentwickeln kann.

Wie werden sich die Beziehungen zwischen Europa und China weiterentwickeln und was sind dabei die Herausforderungen?

Grano: Ein Problem ist sicher die wirtschaftliche Überkapazität Chinas. Das Land produziert zu viel und muss entsprechend in grossem Stil günstige Produkte exportieren. Die Folge wird sein, dass Europa weitere Zölle erheben muss, was zu Spannungen führen wird. Eine weitere Herausforderung ist die Menschenrechtslage im Land, beispielsweise in Bezug auf die Uiguren und die Tibeter, sowie die angespannte Situation mit Taiwan und Hongkong. Ein dritter Punkt betrifft die Wissenschaft und in diesem Zusammenhang Sicherheitsfragen. Die wissenschaftliche Kooperation mit China ist wichtig, aber sie ist heikel in Forschungsbereichen, in denen Technologien entwickelt werden, die auch militärisch genutzt werden können.

Was sind die Folgen?

Grano: In der EU, aber auch in der Schweiz entstehen nun Guidelines, die die Forschungszusammenarbeit immer strikter regeln wollen. Es gibt aber auch Stimmen in Europa, die sagen, man verunmögliche so wichtige Kooperationen und verpasse eine grosse Chance. Das Problem ist nicht einfach zu lösen. Man muss vielleicht etwas weniger blauäugig und in jenen Forschungsbereichen kritischer sein, wo Fortschritte in militärisch nutzbaren Technologien zu erwarten sind. In vielen anderen Bereichen ist die wissenschaftliche Zusammenarbeit aber unproblematisch und wünschenswert.

In welchen Bereichen hat die Kooperation zwischen Europa und China künftig das grösste Potenzial?

Grano: Ein grosses Potenzial hat, neben dem wissenschaftlichen Austausch in unkritischen Bereichen, der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel. China ist führend in der Entwicklung von grüner Technologie, etwa Solarpanels. In diesem Bereich ist eine gute Zusammenarbeit zwischen China, Europa und den Vereinigten Staaten deshalb sehr wichtig. Nur so sind die aktuellen globalen Herausforderungen lösbar. Auch auf diplomatischer Ebene ist es wichtig, dass die Länder im Gespräch bleiben, denn nur so lassen sich Spannungen unter Kontrolle hatten.

Und die Schweiz?

Grano: Der Bundesrat wird auf seinem «Durchschlängel-Kurs» bleiben und die guten Beziehungen zu China weiter pflegen. Es sei denn, es gäbe China-kritische Vorstösse im Parlament oder aus der Zivilgesellschaft, etwa ein Referendum gegen das Freihandelsabkommen. Das könnte die guten Beziehungen etwas ramponieren.