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Nachhaltigkeitswoche – 13. bis 18. März 2023

Jenseits des Wachstums-Dogmas

Diese Woche findet die Nachhaltigkeitswoche an der UZH statt. Sie wird bereits zum 10. Mal von Studierenden organisiert. Damit wollen sie ihren Kommiliton:innen, aber auch der UZH als Institution Inputs vermitteln, wie es sich mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch angenehm leben lässt.
Brigitte Blöchlinger
Degrowth: Die Pariser Klimaziele lassen sich in westlichen Ländern nur erreichen, wenn Wohlstand nicht mehr auf Wirtschaftswachstum basiert.

 

Das Programm der Nachhaltigkeitswoche ist auch dieses Jahr bunt und bemerkenswert. Die Studierenden haben für die Woche vom 13. bis 18. März rund fünfzig Veranstaltungen aus den Bereichen Ökologie, Soziales, Kultur und Wirtschaft organisiert: Workshops zu essbaren Wildblumen, wie man ein Local-Food-Hero wird, das Vernetzungsangebot «Sustainable Student Engagement», Jät-Jams im Strebergärtli am Irchel, Vorträge zu «Spiritualität und Nachhaltigkeit im islamischen Glauben» oder «Terran – Making sustainable travel decisions», Panel-Diskussionen und andere Events  – manche eher informativ, andere auch unterhaltend, allesamt aktivierend, öffentlich und kostenlos.
 

Klein, aber fein startete die Nachhaltigkeitswoche 2013 an der UZH mit einem Eat-in im Lichthof.

 

Was im Jahr 2013 klein anfing, hat sich mittlerweile zu einem breit durchgeführten Anlass entwickelt. Ziel aller Nachhaltigkeitswochen war und ist es bis heute, nicht nur über Nachhaltigkeit zu diskutieren, sondern auch praktische Anstösse zu vermitteln, wie Individuen – und Institutionen – die Nachhaltigkeit ihres «Lebensstils» konkret verbessern können.

Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum

An der Nachhaltigkeitswoche nehmen auch Mitarbeitende der UZH teil, unter anderem der ökologische Ökonom und Wirtschaftsgeograf Leonard Creutzburg. Creutzburg diskutiert am Freitag, 17. März, an der Panel-Diskussion «A Post-Growth Society» mit anderen die Frage, wie Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum möglich ist.

Creutzburg forscht als Postdoktorand bei Professor Lorenz Hilty unter anderem darüber, wie sich Gesellschaften im Sinne von Suffizienz und Postwachstum organisieren lassen. Ausserdem arbeitet er als Projektleiter im Nachhaltigkeitsteam der UZH. UZH News hat mit ihm über das Thema «A Post-Growth Society» gesprochen.
 

Leonard Creutzburg

Die meisten ökonomischen Theorien gehen davon aus, dass es auch in einer sozialen Marktwirtschaft nicht ohne Wachstum geht. Werden Sie am Panel dieser Annahme widersprechen?

Leonard Creutzburg: Wir müssen uns die Frage nach dem Zusammenhang von Wohlstand und Wachstum stellen, weil Wirtschaftswachstum – das gemeinhin als Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen wird – immer bedeutet, dass zusätzliche Ressourcen verbraucht werden. Natürlich ist Recycling eine gute Idee und wir sparen dadurch Ressourcen. Aber der physikalische Fakt bleibt: Ressourcen können nicht zu hundert Prozent rezykliert werden, aus 100 kg Plastikflaschen werden nicht wieder 100 kg Plastikflaschen. Ein Verlust ist unvermeidbar. Aus physikalischer Sicht – und das zeigen auch empirische Studien – ist eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch höchst unwahrscheinlich. Im Umkehrschluss heisst das: Wir müssen uns vom Wirtschaftswachstum verabschieden, da sich unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit ausschliessen. «Postwachstum» ist ein Modell, das dies anerkennt und sich fragt, wie wir gesellschaftliche Entwicklung und menschliches Wohlbefinden auch ohne BIP-Wachstum sicherstellen können. 

Wie sähe Wohlstand in einer nicht wachsenden Wirtschaft aus?

Man könnte es so zusammenfassen: Weniger ist immer noch genug, damit die Menschen zufrieden sein können. Verschiedene Studien zeigen, dass das individuelle Wohlbefinden seit den 1970er-Jahren in westlichen Gesellschaften hoch ist und trotz steigenden Löhnen und höherem Wohlstand nicht gestiegen ist. Die Menschen waren damals zufrieden mit ihrem Lebensniveau und mit dem, was sie sich leisten konnten, sofern grundlegende Bedürfnisse befriedigt waren. Diese Zufriedenheit hat in den folgenden Jahrzehnten trotz Wirtschaftswachstum nicht zugenommen. Der Ökonom Richard Easterlin beschrieb 1974 das nach ihm benannte Paradox so: Ab einem bestimmten Zufriedenheitslevel macht mehr Geld nicht glücklicher. Doch wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, müssen wir gleichwohl dafür sorgen, dass Errungenschaften, die bislang aufgrund von Wachstum möglich waren, auch ohne Wachstum funktionieren können. Dazu zählt beispielsweise die soziale Absicherung.

Was muss sonst noch gewährleistet sein, damit es sich trotz nichtwachsender Wirtschaft gut leben lässt?

Es muss ein gutes Vorsorgeniveau in den Bereichen Gesundheit, Wohnen und Ernährung bestehen. Das ist der Grund, weshalb ärmere Länder in der Grundversorgung beziehungsweise beim Service public noch Wachstum brauchen – davon geht auch die Idee von Postwachstum aus. Sind die Grundbedürfnisse jedoch befriedigt, dann schätzt die Bevölkerung ihr subjektives Wohlbefinden auch in einem Land mit vergleichsweise niedrigem BIP eher hoch ein, ein Beispiel ist Costa Rica.

Und wie hängt das Easterlin-Paradox mit dem Klimawandel zusammen?

Es zeigt sich, dass es in westlichen Ländern den Menschen und der Umwelt nichts bringt, das BIP pro Einwohner:in weiter zu steigern – wir sind bereits gut versorgt. Unsere Zufriedenheit können wir durch mehr freie Zeit oder stärkere soziale Beziehungen, also Immaterielles, erhöhen. Weiteres fortdauerndes Wirtschaftswachstum bedeutet wachsender Ressourcenverbrauch. So erreichen wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht.

Müssen wir zwingend weg vom Wachstumsgedanken, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen?

Ja, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoss lassen sich nicht ausreichend und nicht schnell genug entkoppeln, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das Wachstumsparadigma aus unseren Köpfen zu bekommen, ist aber nicht leicht; es prägt unsere Gesellschaften seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch die Idee, dass wir konsumieren sollen, damit die Wirtschaft brummt, ist ökologisch widersinnig und grotesk. Die Wirtschaft muss für das Wohlergehen der Menschen da sein und nicht umgekehrt.

Aber zumindest effizienter sind wir im Westen doch geworden?

In den letzten zwanzig Jahren wurde unsere Wirtschaft deutlich effizienter, der Ressourcenverbrauch ist aber trotzdem gestiegen – durch das ständige Wachstum. Wir sehen zwar, dass es hin und wieder gelingt, den CO2-Ausstoss vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, aber dies gelingt nur in gewissen Ländern und in gewissen Zeitabschnitten und bei weitem nicht schnell genug, um unter der 1,5°-Celsius-Grenze zu bleiben. Auch ist Nachhaltigkeit eben mehr als die Reduktion des CO2-Ausstosses – auch die Ressourcennutzung muss beispielsweise immer mitgedacht werden.

Sie sind auch im UZH Sustainability Team als Projektleiter für Nachhaltigkeit im operativen Betrieb tätig. Können Sie praktische Beispiele nennen, wie wir weg vom Wachstumsparadigma kommen könnten?

Die Politik sollte nicht nur effiziente Technologien und die Kreislaufwirtschaft fördern, sondern auch Anreize für das Reduzieren des Ressourcenverbrauchs, eben für Suffizienz, setzen. Dabei geht es darum, wie wir die Rahmung des Konsums gesellschaftlich gestalten – und nicht um das Abwälzen der Verantwortung für Überkonsum auf das Individuum. Politisch könnte beispielsweise die Reparatur gefördert werden, so dass sie günstiger wird als der Neukauf. Dafür braucht es niedrige Steuern auf solche Dienstleistungen, dafür hohe Steuern auf Ressourcenverbrauch.

Zum Schluss ein Gedankenspiel: Wäre ein Wegrücken vom Wachstumsparadigma auch für den «Mikrokosmos» UZH sinnvoll?

Die Idee von Postwachstum bezieht sich auf wirtschaftliche Aktivitäten und ganze Gesellschaften – und die UZH ist ja kein profitorientiertes Unternehmen. Nur weil etwas wächst, ist es nicht per se schlecht. Aber auch die UZH kann sich fragen, ob und wie ihre Ziele und Werte vom allgemeinen Wachstums- und Wettbewerbsdenken geprägt sind und ob das dauerhaft förderlich ist.

Mehr Leute an der UZH würden mehr Ressourcen verbrauchen, nicht wahr?

Im Grunde ja, aber da gibt es durch die Lebens- und Arbeitsweise auch Spielraum. Denken wir nur an die Flugreisen.

Wie steht die UZH zu Flugreisen an Kongresse?

Die Universitätsleitung hat beschlossen, dass die flugbedingten Emissionen der Fakultäten und Bereiche der Universitätsleitung bis 2030 um 53 Prozent sinken müssen im Vergleich zu 2018/19. Was viele an der Uni nicht wissen: Die flugbedingten Emissionen der UZH sind intern der grösste Posten der Treibhausgas-Emissionen.

UZH-Abgänger:innen sind top ausgebildet und verdienen in der Regel sehr gut – sie könnten sich einen Lebensstil mit Eigenheim, SUV und Flugreisen leisten. Wie könnte man sie zu «Weniger ist mehr» motivieren?

Tendenziell konsumieren Leute mit hohem Einkommen auch mehr, das stimmt. Gleichzeitig sehen wir, dass gerade junge Menschen heute weniger Stunden pro Woche arbeiten – auch wenn das Lohneinbussen mit sich bringt. Darin sollten sie gesellschaftlich unterstützt werden, denn damit dürfte die Umweltbelastung sinken und die Lebenszufriedenheit steigen.