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Digitalisierung und Nachhaltigkeit können als zwei grosse gesellschaftliche Transformationsprozesse verstanden werden, die unsere Ära prägen. Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft scheint allerdings weniger leicht vonstatten zu gehen als die Digitalisierung. Nachhaltigkeit muss erkämpft, angestossen und in Schwung gehalten werden. Dagegen erscheint die Digitalisierung eher als Welle mit einer ausgesprochenen Eigendynamik. Sie gleicht einem Prozess, der uns aus eigener Kraft überrollen aber auch vorwärtsbringen kann.
Doch es ist wichtig zu erkennen, dass wir beide Prozesse aktiv mitgestalten können und sollten. Wir müssen die Digitalisierung nicht passiv akzeptieren. Und wir müssen nicht darauf warten, dass sich Nachhaltigkeit einstellt. Dies gilt für alle Institutionen und Firmen, sei es in der Verwaltung, in der Wirtschaft oder in der Zivilgesellschaft.
Um eine aktivere Rolle in beiden Prozessen einzunehmen, sollten Digitalisierung und Nachhaltigkeit wenn immer möglich gemeinsam ge- und bedacht werden. Dafür muss ein Verständnis dafür entwickelt werden, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit miteinander zusammenhängen. Unterstützt von der Digital Society Initiative (DSI) nimmt sich eine interdisziplinäre Community von Forschenden der Universität Zürich seit Frühling 2022 dieser Herausforderung an. Dazu zwei Gedankenanstösse aus diesem Prozess, die sich jede:r in Digitalisierungsprozesse Involvierte stellen kann, um Digitalisierung mit Nachhaltigkeit möglichst gut zu kombinieren.
Im Kontext der Digitalisierung geht oft vergessen, dass daraus resultierende Prozesse materielle Konsequenzen haben. Server fressen Strom, Batterien bestehen aus teils problematischen Rohstoffen und Elektroautos benötigen sowohl Strom als auch Batterien und Platz auf der Strasse. Um Digitalisierung und Nachhaltigkeit planerisch zu kombinieren, muss beim Ressourcenverbrauch begonnen werden. Dabei darf ein wichtiges Konzept der Nachhaltigkeit nicht vergessen werden, nämlich der Unterschied zwischen Effizienz und Suffizienz.
Im Kern geht es dabei um den Unterschied zwischen relativem und absolutem Ressourcenverbrauch. Die smarteste, KI-unterstützte Elektromobilität, welche den Ressourceneinsatz pro Kilogramm Auto verringert, bringt uns nicht weiter, wenn diese Autos gleichzeitig immer schwerer werden. Auch Plattformen, welche Kleider massgeschneidert nach Bedarf herstellen, sind nur die Kehrseite der Medaille davon, dass wir Kleidung zu oft im Übermass konsumieren.
Diskurse zur Digitalisierung und dazugehörige Forschungsprojekte drehen sich hinsichtlich Ressourcenverbrauch fast ausschliesslich um Effizienz. Dies reicht nicht aus. Es braucht auch Überlegungen dazu, wie wir den materiellen Ressourcenverbrauch insgesamt reduzieren können.
Neue digitale Technologie muss möglichst immer unter diesem Aspekt betrachtet werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind auch Blockchain-Anwendungen, deren relativer Nutzen im Vergleich zu existierenden Technologien von Fall zu Fall hinsichtlich ihrem relativ erhöhten Ressourcenverbrauch abgewogen werden sollten.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen zu denken bedeutet auch, indirekte Konsequenzen der Digitalisierung einzubeziehen. Eine wertvolle Perspektive hierfür bietet ein Fokus auf den sich verändernden Handlungsspielraum von Individuen und Organisationen.
Die Digitalisierung kann neue Handlungsoptionen eröffnen. Ein Beispiel dafür ist das Homeoffice. Die Möglichkeit für bestimmte Branchen, von zu Hause aus zu arbeiten, ist erst durch die Digitalisierung zur echten Option geworden. Das Homeoffice erhielt durch die Corona-Krise einen Schub und hat Konsequenzen für den Ressourcenverbrauch unserer Transportsysteme.
Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass unreflektierte Digitalisierung den Handlungsspielraum für bestimmte Menschen auch einschränken kann. Das betrifft zum Beispiel Fragen der Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Generationen. Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen zu denken heisst in diesem Fall, die Konsequenzen neuer Prozesse daraufhin zu prüfen, ob gewisse Personen oder Gruppen übergangen oder diskriminiert werden könnten.
Wir müssen uns beispielsweise fragen, auf wessen Probleme und für welche Gruppen genau die «smart city» Antworten bereithält. Oder ob digitale Mitbestimmungsprozesse alle gesellschaftliche Gruppen erreichen. Immer wichtiger wird auch die Frage, woher die Trainingsdaten von statistischen Modellen kommen, die unser Handeln je länger je mehr im Alltag unterstützen. Hier können sich subtile Diskriminierungen verstecken, wie digitale Gesichtserkennungssysteme gezeigt haben.
Von einer «reflektierten» Digitialisierung, die unerwünschte Effekte verhindert, könnte die breite Gesellschaft profitieren. Es eröffnet sich viel Potential, wenn Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammengeführt und gemeinsam bedacht werden. Die konkrete Arbeit fängt im Kleinen an. Vielleicht in ihrem nächsten Digitalisierungsprozess?
Dieser Text ist Teil der Reihe «DSI Insights» auf «Inside IT»
Dr. Mario Angst forscht zu urbanen Nachhaltigkeitstransformationen, Digitalisierung und Governance an der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich.