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Biodiversität

Die verkannte Bedrohung

Die Gefahren des Klimawandels sind anerkannt, im Gegensatz zur Bedrohung durch den Artenverlust. Strategien zur Bewältigung stehen nächste Woche auf der Agenda des World Biodiversity Forums in Davos, das die UZH organisiert.
Stefan Stöcklin
Korallen gehören zu den stark gefährdeten Organismen. (Bild: istock)

 

Die beunruhigenden Meldungen zum Artenverlust reissen nicht ab. Im Januar vermeldeten Biologen in der Schweiz einen dramatischen Rückgang von lokalen Insektenpopulationen um 90 Prozent. Auf globaler Ebene sieht es ebenso düster aus. Eine Million Tier- und Pflanzenarten – vor allem Amphibien und Korallen aber auch Insekten und Säugetiere – drohen aufgrund der Übernutzung und Ausbeutung der Natur endgültig zu verschwinden.

«Die Geschwindigkeit, mit der Arten aussterben, ist mindestens zehn- bis hundertmal schneller als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre», sagte Sandra Díaz anlässlich der Veröffentlichung des Globalen Zustandsberichts kürzlich. Die argentinische Ökologin von der Universidad Nacional de Córdoba ist eine der Starrednerinnen am «World Biodiversity Forum» in Davos.

Kommende Woche treffen sich fast 500 Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt in den Bündner Bergen, um über Strategien zum Schutz der Biodiversität zu diskutieren. Die namentlich von der UZH organisierte Konferenz soll «Schwung und neue Impulse in das Thema Biodiversität bringen», sagt Cornelia Krug, Koordinatorin der Schnittstelle Wissenschaft – Politik des Universitären Forschungsschwerpunktes «Global Change and Biodiversity» der Universität Zürich.

Volksbewegung zum Schutz der Biodiversität

Die Biologin hat die letzten Monate zusammen mit dem lokalen Organisationskomitee den internationalen Kongress organisiert. Als verantwortliche Leiterin der Geschäftsstelle von bioDISCOVERY an der UZH ist sie dafür prädestiniert, denn dieses Netzwerk arbeitet eng mit IPBES zusammen, der «Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services». Der in der Öffentlichkeit wenig bekannte Weltbiodiversitätsrat hat eine gleichwertige Funktion wie der prominente Klimarat IPCC – einfach für die Biodiversität und die nachhaltige Nutzung der Natur. 

IPBES wurde im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen geschaffen und trägt das weltweit vorhandene Wissen zum Erhalt und Nutzung der Biodiversität zusammen. Mit einem dramatischen Aufruf wendeten sich die Autorinnen und Autoren des jüngsten IPBES-Berichts – darunter Sandra Díaz – aufgrund des beschleunigten Artenverlusts vergangenen Mai 2019 an die Weltöffentlichkeit und riefen zum Handeln auf.

«Wir brauchen eine Volksbewegung zum Schutz der Biodiversität – ähnlich der Fridays for Future rsp. der Klimajugend», sagt Krug. Während die Klimaerwärmung 30 Jahre nach dem Erdgipfel in Rio de Janeiro in der breiten Bevölkerung und der Politik endlich angekommen sei, bleibe der Artenverlust immer noch weitgehend unbeachtet. Dabei ist die Gefährdung der Erde durch abnehmende Biodiversität mindestens ebenso weitreichend wie jene durch steigende Temperaturen. Denn nicht nur hunderttausende von Arten sind bedroht, sondern auch ihre genetische Diversität und ganze Lebensräume und damit die Lebensgrundlage des Menschen.

«Wir brauchen eine Volksbewegung zum Schutz der Biodiversität – ähnlich der Fridays for Future rsp. der Klimajugend», sagt Cornelia Krug. (Bild: Stefan Stöcklin)

 

Arten- und Klimaschutz gehen Hand in Hand

Oftmals gehe vergessen, sagt Krug, dass der Klimawandel und der Verlust an Biodiversität eng zusammenhängen. Steigende Temperaturen verändern die Artenzusammensetzung, es gibt Gewinner und Verlierer, wie beispielsweise die Nadelbäume im Schweizer Wald, die wegen des Temperaturanstiegs unter Druck geraten und absterben. Das verändert die Stabilität des Waldes. Auf der anderen Seite verspricht die Biodiversität auch Lösungen für das Klimaproblem, etwa durch Aufforstungen oder Renaturierungen, womit CO2 gebunden werden kann.

«Die Herausforderungen durch den Verlust an Biodiversität und den Klimawandel müssen zusammen angegangen werden», sagt Krug. An der Davoser Konferenz widmet sich deshalb eine von UZH-Forschenden organisierte Session diesen Wechselwirkungen. So können zum Beispiel unbedachte Aufforstungen durch Monokulturen den Artenschwund weiter beschleunigen statt bremsen. Und Forschungsarbeiten an der UZH haben ergeben, dass artenreiche Wälder mehr klimaschädliches CO2 absorbieren als Monokulturen. Die teils komplexen Zusammenhänge müssten erforscht und bei den Massnahmen bedacht werden.

Auf dem Davoser Programm stehen einerseits traditionelle Biodiversitätsthemen wie Nachhaltigkeit, genetische Vielfalt, Habitatsverlust oder Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft, Stichwort Pestizide und Stickstoffeintrag. Andererseits behandelt die Davoser Konferenz auch unkonventionelle Aspekte.

Zum Beispiel stellen Forschende aus Deutschland ein Projekt zur Nachverfolgung der Biodiversität im 19. Jahrhundert durch die Auswertung alter Fachjournale und Texte vor. Mit Computerprogrammen durchforsten die Forschenden die europäische Literatur nach Angaben von Pflanzen, Vögeln und Insekten. Damit soll die Biodiversität in vorindustriellen Zeiten eruiert werden. Zahlreiche Beiträge der Konferenz behandeln zudem spezielle Aspekte der Biodiversitätskrise in Entwicklungs- und Schwellenländern. Schliesslich legt die Konferenz auch Wert auf die Kommunikation und diskutiert verschiedene Formate, um der Bevölkerung die Bedeutung der Biodiversität zu vermitteln.

UZH-Forschung global anerkannt

Dass die Konferenz unter Führerschaft der UZH organisiert wurde, ist kein Zufall. «Die Biodiversitätsforschung an der UZH ist sehr umfassend und hat sowohl national wie international einen sehr guten Ruf, sagt Cornelia Krug. Die Bandbreite reicht vom mathematisch orientierten Netzwerkforscher Owen Petchey bis zur Ethikerin Anna Deplazes Zemp, die sich philosophischen Fragen der Biodiversität widmet. Eine starke Rolle hat mit Michael Schaepman und Maria Joao Santos zudem das Thema Fernerkundung inne, das für das Monitoring der Biodiversität essentiell ist.

«Wir wollen kraft unserer Forschung die globale Strategie gegen Biodiversitätsverluste mitgestalten und Wirkung erzielen», so Krug. Das wissenschaftliche Meeting in Davos findet denn auch im Vorfeld einer politisch wichtigen Konferenz statt: Im Oktober 2020 sollen die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention in Kunming (China) neue und verbindliche Ziele zum Schutz der Artenvielfalt in den nächsten zehn Jahren unterzeichnen. Davos soll in China nachhallen.