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One Health

Weltkarte der Krankheiten

Antibiotikaresistenzen könnten künftig weltweit dramatisch zunehmen. Sie betreffen Menschen genauso wie Tiere. One-Health-Forscher Thomas Van Boeckel sucht nach Umweltfaktoren und globalen Mustern von Infektionskrankheiten und Resistenzen, um sie besser bekämpfen zu können.
Adrian Ritter
Hat die räumlichen Aspekte von Epidemien im Blick: Thomas Van Boeckel ist seit 2025 der erste Lehrstuhlinhaber des One Health Institute. (Bild: Meinrad Schade)

Manchmal enthält auch ein Missverständnis einen Funken Wahrheit. Wenn Thomas Van Boeckel gelegentlich gefragt wird, was er beruflich macht, erzählt er von seinem Fachgebiet der «Spatial Epidemiology». Sein Gegenüber wundert sich dann bisweilen, was es mit dieser Epidemiologie im Weltraum – Space – auf sich hat. Van Boeckel beschäftigt sich aber nicht mit Krankheiten von Astronautinnen und Astronauten. Mit «spatial» ist der räumliche Aspekt der Epidemiologie gemeint. Sein Fachgebiet wird auch mit «Gesundheitsgeografie» übersetzt. Van Boeckel interessiert, wie Krankheiten bei Mensch und Tier weltweit unterschiedlich auftreten – und in welchem Zusammenhang sie stehen. 

Es ist eine der klassischen Fragestellung von «One Health». Dieser noch junge Ansatz kombiniert insbesondere die Fachrichtungen Medizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften. Denn die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ist eng verknüpft. Viele Infektionskrankheiten, die beim Menschen auftreten, haben ihren Ursprung in der Tierwelt. Das zeigt aktuell die Vogelgrippe, mit der sich in den USA bereits Mitarbeitende von Farmen bei Kühen angesteckt haben.

Satelliten machen es möglich

Die Universität Zürich hat 2023 ein eigenes One Health Institute gegründet (siehe Kasten). Thomas Van Boeckel ist seit August 2024 der erste Lehrstuhlinhaber. Mit dem Weltraum hat die Spatial Epidemology doch auch etwas zu tun. Weil Satelliten im All heute eines der wichtigsten Arbeitsinstrumente zur Datengewinnung sind. «Die Satellitentechnologie ist eine Revolution für unser Fach», sagt Van Boeckel. Damit lassen sich einfach und über Landesgrenzen hinweg Daten gewinnen, die für die Epidemiologie wichtig sind – etwa Temperatur, Luftqualität oder das Ausmass der Abholzung von Wäldern. Auch die Zahl der Nutztiere lässt sich dank Satelliten anhand der Grösse landwirtschaftlicher Gebäude oder der Anbauflächen von Futterpflanzen für Tiere abschätzen.

Die räumliche Epidemiologie kann damit einen wichtigen Beitrag zur One-Health-Forschung leisten. Daneben sind beispielsweise genetische Untersuchungen ebenso wichtig wie Befragungen und die Analyse von Mobilfunkdaten, um etwa das Gesundheits- und Reiseverhalten von Menschen zu erfassen.

One Health Institute: Gemeinsam für die Gesundheit

Das 2023 gegründete One Health Institute (OHI) der UZH ist ein überfakultäres Institut der Vetsuisse-, der Medizinischen und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Entsprechend interdisziplinär ist auch die Ausrichtung des Instituts. Nach der Berufung von Thomas Van Boeckel 2024 sollen im Lauf dieses Jahres zwei weitere Professuren besetzt werden – für Evolutionäre Medizin und Digital One Health. Derzeit liegt der Fokus auf der Forschung. Geplant ist zudem der Aufbau eines Minor-Studienprogramms. 

One Health Institute

Raumdaten waren in der Epidemiologie seit ihren Anfängen zentral. So versuchte der Arzt John Snow 1845 herauszufinden, was den Ausbruch einer Choleraseuche in London auslöste. Auf einer Strassenkarte der Stadt markierte er jedes Haus mit einem Krankheitsfall. So konnte er das Muster der Verteilung der Krankheit erkennen: Das verseuchte Wasser einer bestimmten Wasserpumpe war die Ursache.

Solche geografischen Muster zu erkennen, ist die tägliche Arbeit von Thomas Van Boeckel. Zu seinen Schwerpunkten gehören Infektionskrankheiten und Antibiotikaresistenzen. Sein Interesse für Geografie kommt dabei nicht von ungefähr. Schon als Kind war er fasziniert von Karten. Seine Grosseltern schenkten ihm deshalb einen Globus. Van Boeckel studierte dann zwar nicht Geografie, sondern Bioingenieurwesen. Die Laborarbeit faszinierte ihn allerdings weniger als gedacht. Dafür fing er Feuer in einer Vorlesung zu Biostatistik und schrieb mehrere Arbeiten und seine Dissertation zur Verbreitung einer Variante der Vogelgrippe in Asien. Immer mehr erkannte er: «Indem ich mithelfe, Risikofaktoren und Verbreitungsmuster von Krankheiten aufzuklären, kann ich zur Prävention und Gesundheitsförderung beitragen.»

Thomas Van Boeckel

Indem ich mithelfe, Risikofaktoren und Verbreitungsmuster von Krankheiten aufzuklären, kann ich zur Prävention und Gesundheitsförderung beitragen.

Thomas Van Boeckel
One-Health-Forscher

Krankheiten kartieren

Noch ist Thomas Van Boeckel allein in seinem Büro auf dem Gelände des Zürcher Tierspitals. Bald schon wird aber eine erste Doktorandin ihre Arbeit bei ihm aufnehmen. Auch zusätzliche Fördergelder hat er bereits eingeworben und wird bald weitere Mitarbeitende anstellen können. So unterstützt ihn die Digital Society Initiative der UZH bei einem Projekt. Dabei geht es darum, künstliche Intelligenz zu nutzen, um die Datengewinnung zu automatisieren. Denn nicht immer sind Satellitenbilder verfügbar. Bisher brauchte es oft aufwändige Sucharbeit, um im Internet und aus anderen Quellen Informationen zu gewinnen.

So arbeitet Van Boeckel gemeinsam mit anderen Forschenden daran, eine Weltkarte der Veterinärmedizin zu erstellen: Wo auf der Welt gibt es wie viele Tierärztinnen und Tierärzte? Dafür durchforstet er verschiedenste Quellen, von elektronischen Telefonbüchern bis bin zu Mitgliederverzeichnissen von tierärztlichen Fachgesellschaften. «Die Idee für das Projekt entstand an einer Konferenz. Wir verglichen Karten, die zeigen, wie verbreitet Malaria und Antibiotikaresistenz weltweit sind», erzählt Van Boeckel.

Schnell war klar: Die Karten für Malaria sind viel präziser, weil die Risikofaktoren bekannt sind – Feuchtigkeit und Temperatur bestimmen hauptsächlich, wo malariaübertragende Mücken präsent sind. Bei Antibiotikaresistenzen sind die Risikofaktoren viel weniger bekannt. «Der Zugang zu Tierärztinnen und Tierärzten könnte eine Rolle spielen», sagt Van Boeckel. So wäre es möglich, dass in Regionen mit wenig Zugang zur Veterinärmedizin die Tierhalter:innen eher auf eigene Faust zu Antibiotika greifen. Mangelnde Impfungen und Hygieneberatungen können den Einsatz von Antibiotika auch erhöhen.

Wo fehlt tierärztliche Versorgung?

Weltkarte der Verteilung von Veterinärmediziner:innen
Weltkarte der veterinärmedizinischen Versorgung (Bild: Criscuolo, N.G., Wang, Y. & Van Boeckel, T.P.)

Viele Nutztiere leben mehr als eine Stunde von einer Tierarztpraxis entfernt – rund 94 % dieser Fälle betreffen Regionen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die Studie unter der Leitung von Thomas Von Boeckel kommt zum Schluss, dass eine gezielte Aufstockung des tierärztlichen Personals um nur 5 % die Zahl der isoliert lebenden Tiere um fast ein Drittel verringern könnte. Diese Erkenntnisse liefern wichtige Anhaltspunkte dafür, wie Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können, um den Zugang zur tierärztlichen Versorgung und zur Überwachung von Tierkrankheiten weltweit zu verbessern.

Literatur

Criscuolo, N.G., Wang, Y. & Van Boeckel, T.P. A global map of travel time to access veterinarians. Nat Commun 16, 5849 (2025). DOI: 10.1038/s41467-025-60102-y

Wie oft Antibiotika bei Nutztieren eingesetzt werden, lässt sich nicht für jedes Land genau beantworten. Thomas Van Boeckel war der Erste, der die dazu vorhandenen Daten auf globaler Ebene sammelte. Für eine Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat er zudem mit anderen Forschenden in die Zukunft geblickt. Die Zahlen sind besorgniserregend: Ohne Massnahmen wird der Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren bis 2040 im Vergleich zu 2019 um fast 30 Prozent steigen, insbesondere in Asien und Afrika. Dies aufgrund des Bevölkerungswachstums und steigender Einkommen. Denn damit steigt auch der Fleischkonsum und es gibt entsprechend mehr Nutztiere.

Beim Einsatz von Antibiotika beim Menschen sind die Aussichten nicht besser. In einer Studie, an der Van Boeckel beteiligt war, sagten die Forschenden für die Zeit zwischen 2023 und 2030 eine weltweite Zunahme um mehr als 52 Prozent voraus. Dies, falls es nicht gelinge, vor allem in sich schnell entwickelnden Ländern den Anstieg zu stoppen. Die Hotspots liegen vor allem in Asien und im südlichen Afrika. Das hat gemäss Van Boeckel einerseits mit tieferen Hygienestandards zu tun. Andererseits sei etwa in Indien und China der Zugang zu medizinischer Versorgung bisweilen erschwert, der Kauf von Antibiotika aber viel einfacher als in Europa. «Um dem steigenden Antibiotikagebrauch entgegenzuwirken, braucht es vor allem eine bessere Infrastruktur für Wasser und Abwasser und Zugang zu Impfungen», sagt er.

Ein Drittel der Antibiotika sind unnötig

Ein hoher Antibiotikakonsum an sich ist nicht das grösste Problem – die Frage ist, ob die Medikamente sinnvoll eingesetzt werden. Van Boeckel ist an einer laufenden Studie beteiligt, die abzuschätzen versucht, welcher Anteil der eingesetzten Antibiotika tatsächlich nötig ist. «Wir gehen davon aus, dass ungefähr ein Drittel unnötig ist», sagt er. Kein Wunder, breiten sich Resistenzen aus. Schon heute sterben deshalb schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen jährlich weltweit an Infektionskrankheiten, die nicht mehr behandelt werden können. Bis 2050 könnte diese Zahl gemäss Schätzungen fast doppelt so hoch sein.

 «Der beste Weg, Resistenzen zu verhindern, ist, den Bedarf an Antibiotika verringern. Das geschieht vor allem, indem man Krankheiten verhindert», sagt Van Boeckel. In der Tierhaltung sei dies insbesondere mit einer besseren Hygiene möglich. Konkret: Die Tiere sollen weniger mit der Aussenwelt und ihren Keimen in Kontakt kommen. Inwiefern sterilere Ställe auch tierfreundlich sind, steht dabei auf einem anderen Blatt. Klar ist: Die Niederlande und Dänemark haben gemäss Van Boeckel grosse Anstrengungen in diese Richtung unternommen. Dabei konnten sie nicht nur den Antibiotikaverbrauch senken, sondern auch zeigen, dass damit auch eine wirtschaftlich erfolgreiche Nutztierhaltung möglich ist.

Impfkampagnen für Mensch und Tier

Der alte Globus in Thomas Van Boeckels Büro birgt eine hochprozentige Belohnung. (Bild: Meinrad Schade)

Wie schätzt Thomas Van Boeckel die weitere Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ein? «Bis vor wenigen Monaten war ich zuversichtlich», sagt er. Das habe sich aber aufgrund der aktuellen politischen Situation geändert. Vor allem die Kürzungen von Budgets zur Entwicklungszusammenarbeit, der Kahlschlag beim weltweit grössten Geldgeber für Gesundheitsprojekte USAID sowie der Austritt der USA und anderer Länder aus der WHO haben seinen Optimismus getrübt: «All dies wirkt sich negativ auf die Infrastruktur und die Gesundheitsperspektiven in besonders gefährdeten Ländern aus – etwa hinsichtlich des Zugangs zu sauberem Wasser oder medizinischer Versorgung.» Gleichzeitig werde auch die Forschung weniger Geld zur Verfügung haben für Projekte im Bereich Gesundheit.

Optimistischer ist Van Boeckel in Bezug auf den noch jungen One-Health-Ansatz. Dass man Mensch, Tier und Umwelt in ihren Zusammenhängen betrachte, werde hoffentlich schrittweise zum Standard in der Gesundheitsforschung. So stellt Van Boeckel grosses Interesse an einer interdisziplinären Zusammenarbeit an der UZH fest: «Die Chancen, die sich daraus ergeben, sind gross.» So lassen sich etwa gemeinsame Frühwarnsysteme für Krankheiten und kombinierte Impfkampagnen bei Mensch und Tier aufbauen. «Eine gemeinsame Prävention und Behandlung ist auch ökonomisch sinnvoll und ressourcenschonender», sagt Van Boeckel. Für weitere Fortschritte und Erfolge im Zusammenhang mit One Health ist er auf jeden Fall gewappnet. Auch heute steht in seinem Büro ein Globus. Er lässt sich öffnen und darin ist eine Flasche Scotch aufbewahrt – die Van Boeckel jeweils herausholt, um eine akzeptierte Publikation zu feiern.