Meilen sparen
Studierende, die hervorragende Arbeiten geschrieben haben, werden von der UZH mit einem Semesterpreis ausgezeichnet. In einer Serie zeigen wir anhand einiger Beispiele, was eine gute Arbeit ausmacht, worin ihr didaktischer Nutzen besteht, was Studierende zu besonderen Leistungen motiviert und wie sie von Dozierenden unterstützt und betreut werden.
Geographiestudent Rocco Bagutti interessiert sich für nachhaltige Mobilitätssysteme. Ihm geht es darum, die negativen Umweltauswirkungen von Reisen zu minimieren. Deshalb schloss er sich im Frühjahrssemester 2020 der «Air Miles Group» an, deren Mitglieder die Flüge des Geographischen Instituts unter die Lupe nehmen, um sie so weit wie möglich zu reduzieren. Denn sie wissen um die schädlichen Emissionen, deren Folgen für den Klimawandel und nicht zuletzt um die Auswirkungen auf die schmelzenden Gletscher, die gerade am Institut intensiv erforscht werden.
Dort traf der junge Tessiner auf engagierte Mitarbeitende: vom Professor über Assistierende bis hin zu Personen aus dem administrativen Bereich, die alle am gleichen Strang zogen. Die Air Miles Group nahm mit ihrem Anliegen damals an der UZH eine Pionierrolle ein. Später wurde sie dafür mit einem Team-Effort-Preis geehrt. In unzähligen Stunden Freiwilligenarbeit hatte die Gruppe die Flugdaten von Mitarbeitenden und Gästen erhoben und publiziert.
Ungehobener Datenschatz
Rocco Bagutti erkannte in den Flugreisedaten einen ungehobenen Schatz, der, wissenschaftlich ausgewertet, dem Institut detailliertere Informationen liefern könnte. So schlug er vor, in seiner Masterarbeit diese Daten mit statistischen Methoden zu analysieren.
Und noch etwas wollte er erfahren: Was waren die Beweggründe fürs Fliegen? Unter welchen Bedingungen waren die Mitarbeitenden des Geographischen Instituts bereit, auf Flüge zu verzichten? Welche Alternativen nutzten sie?
Die Gruppe reagierte mit grosser Zustimmung auf Baguttis Vorschlag. Peter Ranacher, Oberassistent am Geographischen Institut, ebenfalls Mitglied der Air Miles Group, bot an, die Masterarbeit wissenschaftlich zu begleiten. Das Thema wurde auch von Geographieprofessor Michael Zemp angenommen. «Es hat mich enorm motiviert, etwas zu tun, was für das Geographische Institut von Interesse ist», sagt Rocco Bagutti.
Quantitative und qualitative Daten unter einem Hut
Bei der Planung seiner Arbeit ging Rocco Bagutti Schritt für Schritt vor. Zunächst wertete er die am Institut gesammelten Flugdaten statistisch aus. Mit Hilfe eines geografischen Informationssystems (GIS) visualisierte er die Flugverkehrsströme in Form von Grafiken, erstellte zeitliche und räumliche Mobilitätsmuster und kombinierte danach die Flugdaten mit den Ergebnissen einer Online-Befragung aller wissenschaftlichen Mitarbeitenden des Geographischen Instituts.
Um herauszufinden, welches Potenzial verschiedene Reduktionsmassnahmen haben, reichte ein einziger methodischer Zugang nicht. Rocco Bagutti bediente sich deshalb des sogenannten Multi-Methoden-Ansatzes, der besonders anspruchsvoll ist, wie Betreuer Peter Ranacher betont.
Das technische und datenwissenschaftliche Know-How erwarb Rocco eigenständig, dabei suchte und fand er auch ausserhalb des Geographischen Instituts Unterstützung. Ariane Wenger, Umweltwissenschaftlerin an der ETH Zürich, hatte sich in ihrer Dissertation im Zusammenhang mit dem Flugreisen-Projekts der ETH Zürich mit der Reduktion akademischer Flugreisen befasst. Auf Wengers Expertise konnte Rocco Bagutti zurückgreifen.
Dynamik wissenschaftlicher Karrieren verstehen
Mit statistischen Verfahren erhielt Rocco ein genaues Bild davon, wie häufig wohin geflogen wird. Um ergänzend dazu herauszufinden, welche Meinungen die Forschenden des Geographischen Instituts zur Reduktion von Flugreisen haben, führte er eine Mitarbeitendenbefragung durch.
Er erhielt dadurch vertiefte Einblicke in die Dynamik wissenschaftlicher Karrieren und erkannte, wie wichtig internationale Beziehungen in der akademischen Welt sind. «Nicht nur zur Durchführung von Forschungsprojekten sind Reisen nötig, sondern zum Beispiel auch fürs Networking an Kongressen», sagt er. Unter anderem konnte er in seiner Studie zeigen, in welchen Fällen virtuelle Kommunikation bevorzugt wird und in welchen eher Treffen von Ort.
«Rocco Bagutti hat im Rahmen seiner Masterarbeit eine wissenschaftliche Studie erstellt, die sehr hohen Ansprüchen gerecht wird und auch längerfristig von hohem praktischen Wert ist», sagt Betreuer Peter Ranacher. «Wer eine Masterarbeit so umsichtig plant, so präzise durchführt und so professionell auswertet, hat einen Semesterpreis auf jeden Fall verdient», sagt er.
Weniger Flugreisen
«Für die Reduktion der Flugreisen an der UZH war Roccos Studie von grossem Nutzen», sagt Ranacher. Die Studie diente einerseits als Grundlage für die Dokumentation der Gründe für Flugreisen am Geographischen Institut und half andererseits der UZH dabei, Lösungen zu finden, wie Flugreisen reduziert werden können, ohne Forschungsprojekte und wissenschaftlichen Karrieren zu beeinträchtigen.
Dank ihrer Veröffentlichung erbrachte die Studie zudem einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Literatur. Die Flugreisen am Geographischen Institut und die daraus entstandenen Emissionen konnten in den letzten Jahren deutlich reduziert werden, wie aus den jährlichen Berichten hervorgeht. So flogen Institutsangehörige im Jahr 2023 um 30 Prozent weniger als in der Referenzperiode 2017-2019.
Bis 2024 war Rocco Bagutti Mitglied der Sustainability Task Force am Geographischen Institut. Inzwischen hat er sein Studium abgeschlossen und arbeitet beim Bundesamt für Strassen.