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Ausstellung

Sammeln und Verkaufen als Geschäftsmodell und Beziehungskit

Die Noanamá, eine indigene Gruppe in Kolumbien, versorgten den Insektenforscher und Völkerkundler Borys Malkin zwischen 1968 und 1972 mit über 2'200 Objekten aus ihrem Alltag. Zu Sets gebündelt, verkaufte Malkin die Objekte an Museen in Europa und Nordamerika, darunter 1969 ans Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Eine Werkstatt-Ausstellung untersucht diese kommerzielle Sammelpraxis und die damit angelegten Beziehungen: zwischen Noanamá und Sammler Malkin, aber auch zu Museumsmitarbeitenden und -besuchenden.
Noanamá-Frau beim Flechten eines Korbes
Noanamá-Frau beim Flechten eines Korbes. Sammlung VMZ UZH

Borys Malkins (1917–2009) Leidenschaft war das Reisen. Als junger Mann siedelte er von Warschau in die USA über, wo er Insektologie und Anthropologie studierte und während des Zweiten Weltkrieges in der Armee diente. Nach seinem Studium führte er über weite Strecken ein nomadisches Leben und entwickelte ein Arbeitsmodell, das ihm erlaubte, von unterwegs tätig zu sein. Dabei spielte ihm seine zweite Passion in die Hände: Er war begeisterter Sammler, zuerst von Insekten, später auch von Alltagsgegenständen lokaler Bevölkerungsgruppen.

Geschäftsbeziehungen in den Chocó Kolumbiens

Während vier Jahren gelangten über Malkin mindestens 2'214 Objekte der Noanamá in mehr als ein Dutzend Museen in Nordamerika und in Europa – rund 140 davon ans Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Der Sammler fertigte auch umfassende fotografische Dokumentationen zum Gebrauch der Objekte an und erstellte 16-mm-Filme zu ihrer Herstellung, die an heutige Youtube-Tutorials erinnern. Malkin war eingebunden in ein Sammlernetzwerk und hatte eine gute Kenntnis des Ethnografika-Marktes. Die Noanamá besuchte er gleich viermal, da sich die Geschäftsbeziehung zu ihnen offenbar erfolgreich gestaltete – im Unterschied zu anderen indigenen Gemeinschaften, die Kontakte zu Sammlerinnen und Forschenden wehrhaft ablehnten. Indem ihre Objekte über Malkin in europäische und nordamerikanische Museen gelangten, entstand ein Beziehungsgeflecht, das bis in die heutige Zeit weiterwirkt: zwischen Malkin und den Noanamá aber auch zwischen deren Nachkommen und den Menschen, die sich heute mit den Objekten befassen.

Einstige Begegnungen als Startpunkt für anhaltende Beziehungen

Doch wie erlebten die damaligen Noanamá die Begegnungen, die Foto- und Filmaufnahmen? Was hat sie dazu bewogen, Objekte abzugeben? Haben sie die Gegenstände verschenkt oder einen Gegenwert dafür ausgehandelt? Und was sagen heutige Noanamá zur damaligen Praxis und den Sammlungen in westlichen Museen? Diese Fragen sollen im Zuge der Werkstatt-Ausstellung aufgearbeitet werden.

Malkin war ein reger Briefeschreiber, und möglicherweise wird die umfangreiche Korrespondenz mit seiner in Polen lebenden Frau mehr über die Begegnungen zwischen ihm und seinen Zeitgenossen zu Tage fördern. Kuratorin Maike Powroznik entwickelt zudem Gefässe des online- und on site-Austauschs mit heutigen Noanamá, um ihre Perspektiven einzubeziehen: «Ein Hauptziel ist es, die Sammlung den Nachfahren der Urhebergesellschaft bekannt zu machen. Gemeinsam möchten wir herausfinden, welche Objekte wir genau vor uns haben und warum, welches Wissen über die Welt darin bewahrt ist und welcher weitere Umgang damit gepflegt werden soll.»

 

Kochutensilien
Kochtöpfe und Salzgefässe, Quirle und Kochlöffel, Schnecken und Kokosnuss sind einige Gegenstände und Nahrungsmittel, die Borys Malkin rund um das Kochen bei Noanamá sammelte. Sammlung VMZ UZH

Sammlungsgegenstände selbst erforschen

Arbeitsplätze beim Ausstellungseingang laden die Besucherinnen und Besucher ein, sich anhand von fünf Leitfragen selbst mit den am Museum vorhandenen Quellen zur Noanamá-Sammlung auseinanderzusetzen: mit Dias und Abzügen, Filmen, Karteikarten und Ordnern aus dem Schriftenarchiv. Die ausgestellten Gegenstände – darunter Trinkgefässe, Kochgeschirr, Körbe, Jagdwaffen, Paddel, Schmuck und Spielsachen – werden auf Replika der originalen Karteikarten beschrieben, die detaillierte Notizen von Malkin enthalten. Auf eigene Legenden verzichtet Kuratorin Powroznik bewusst: Sie sollen hinzukommen, sobald im Zuge der Werkstatt-Ausstellung neue Erkenntnisse gewonnen wurden.

Malkin sah in den präsentierten Objekten ein «komplettes Objekt-Set» der materiellen Kultur von Noanamá – ein Verständnis, das die heutige Ethnologie nicht mehr teilt. Die Ausstellungsgestaltung bringt dies mit verschiedenen Spiegeln an den Vitrinen zum Ausdruck. Diese brechen den Verbund der Objekte auf und beziehen zugleich die Besucherinnen und Besucher ein. Die Grenzen zwischen Betrachtenden und Betrachtetem verschwimmen, die über die Objekte angelegten Beziehungen zwischen verschiedenen Menschen werden spürbar. In der Szenografie spiegelt sich so auch ein Vorstellungsbild der Noanamá, auf das Kuratorin Powroznik während ihrer Vorbereitungen gestossen ist: die Welt als eine Art Rhizom, als grosses organisches Geflecht, in dem alles und alle miteinander verwachsen sind.

Weiterführende Informationen

Kontakt

Völkerkundemuseum
der Universität Zürich
Dr. Maike Powroznik, Kuratorin
Tel. +41 44 634 90 20
E-Mail: powroznik@vmz.uzh.ch

Download Bilder

  • Geflochtene Gegenstände

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    Jedem Objekt-Set der Noanamá fügte der polnische Sammler Malkin eine angefangene Flechtarbeit hinzu. Sammlung VMZ UZH (Bild: Kathrin Leuenberger, 2022)

  • Verschiedene Körbchen (geflochten)

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    Geflochtene Taschen und Körbchen, teilweise Handelsware oder zum Aufbewahren und Transport kleiner Gegenstände. Sammlung VMZ UZH (Bild: Kathrin Leuenberger, 2022)

  • Trinkgefässe rund um das alkoholische Getränk huarapo (vergorener Zuckerrohrsaft)

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    Bei zeremoniellen Anlässen wurde das alkoholische Getränk huarapo, vergorener Zuckerrohrsaft, getrunken. Verschiedene Objekte der Sammlung geben Hinweise auf diese Zusammenkünfte. Sammlung VMZ UZH (Bild: Kathrin Leuenberger, 2022)

  • Gegenstände vom und für Kinder: Puppen, Paddel oder Kreisel

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    Mit diesen Puppen, Paddeln oder Kreiseln – hergestellt von den Eltern oder selbst gebaut – spielten und lernten die Kinder soziale Werte und praktisches Wissen. Sammlung VMZ UZH (Bild: Kathrin Leuenberger, 2022)

  • Eine Frau spült Trinkschalen am Fluss

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    Eine Frau spült Trinkschalen am Fluss. Sammlung VMZ UZH (Bild: Borys Malkin, 1968–72)

  • Eine Frau verziert das Gesicht eines Mädchens.

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    Eine Frau verziert das Gesicht eines Mädchens. Sammlung VMZ UZH (Bild: Borys Malkin, 1968/69)

  • Flechtarbeit

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    Die Noanamá Rana flicht einen Feuerfächer. Fotografisch und filmisch hielt der Sammler Borys Malkin Schritt für Schritt die Entstehung verschiedener Objekte fest. Sammlung VMZ UZH (Bild: Borys Malkin, 1969)