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Peer Review

Rettet die Wissenschaft

Über 5000 wissenschaftliche Artikel werden jeden Tag publiziert. Das System der Selbstkontrolle stösst an seine Grenzen, wie das Symposium «Wissenschaftskrise und neue Lösungen» an der UZH gezeigt hat.
Stefan Stöcklin
Lawrence Rajendran und Ivan Oransky
Wollen den fehleranfälligen Publikationsprozess verbessern: Lawrence Rajendran, Initiant von «Science Matters» und Ivan Oransky, Mitbegründer von «Retraction Watch». (Bild: sts)

Ob die Wissenschaft in einer Krise steckt, darüber lässt sich trefflich streiten. Sicher ist hingegen, dass der wissenschaftliche Publikationsprozess Reformen braucht. Das machte das Symposium «Crisis in Science – New Solutions» an der UZH deutlich, an dem unter anderem Ivan Oransky, der Mitbegründer von Retraction Watch auftrat sowie der UZH-Forscher Lawrence Rajendran, der Initiant von ScienceMatters rsp. Matters, einer neuen Publikationsplattform auf dem Internet.

Die von Mirko Bischofberger (ScienceMatters) organisierte Tagung lockte etliche Studierende und Forschende in den Vorlesungssaal des Kollegiengebäudes. Im Namen der Universitätsleitung begrüsste Daniel Wyler, Ex-Prorektor Medizin und Naturwissenschaft die Teilnehmenden, die sich mit den Fallstricken des Publikationsprozesses befassten.

Publizieren um jeden Preis

Die Diagnose ist schnell gestellt: Fast zwei Millionen wissenschaftliche Arbeiten werden unterdessen jährlich in zehntausenden von Wissenschafts- und Medizinjournalen publiziert – und die Zahl der Publikationen wächst konstant weiter. Die Publikationsflut ist Resultat des gewaltigen Drucks, der auf den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lastet, denn es gilt publish or perish.

Zwar werden wissenschaftliche Arbeiten vor der Publikation Fachkollegen (Peers) zur Kontrolle vorgelegt. «Aber die traditionelle Selbstkontrolle der Wissenschaft durch das Peer-Review-System versagt immer häufiger», sagte Ivan Oransky. Ein Indiz dafür ist die steigende Zahl von Publikationen, die aufgrund von Fehlern widerrufen werden müssen.

Ivan Oransky kann einiges zum Thema sagen, denn er betreibt zusammen mit Adam Marcus seit August 2010 «Retraction Watch». Auf diesem Blog werden  zweifelhafte Arbeiten besprochen, die von den Autoren oder den Journal-Herausgebern wegen inhaltlichen Fehlern widerrufen worden sind.

Die Gründe des Rückzugs reichen von unbeabsichtigten Fehlern bis zu absichtlichen Fälschungen, wobei grobe Täuschungen selten sind. «Die häufigsten Gründe für Widerrufe sind Plagiate und Datenmanipulationen», sagte Oransky, der hauptberuflich als Dozent für Wissenschaftsjournalismus an der New York University arbeitet.

Rund 700 Publikationen verschwinden jährlich aus den Archiven , wobei diese Zahl nur die Spitze des Eisbergs sei, so Oransky. Das wahre Ausmass fehlerhafter Publikationen dürfte um Grössenordnungen höher liegen.

Bei Retraction Watch gehe es nicht darum, Forschende an den Pranger zu stellen, sondern um Transparenz, betonte der Wissenschaftspublizist. Weil unsaubere Studien meistens ohne nähere Angaben widerrufen würden, sei es wichtig, die Hintergründe offen zu legen.

Zudem figurieren auch widerrufene Publikationen oft noch Jahre später in den einschlägigen Publikationslisten. Oransky erwähnte die Studie von Andrew Wakefield, die einen falschen Zusammenhang zwischen dem MMR-Impfstoff  gegen Masern, Mumps und Röteln und Autismus konstruierte. Obwohl lange umstritten, dauerte es bis zum Rückzug der Lancet-Studie zwölf Jahre.

Studien überpüfen und wiederholen

Die Referenten am UZH-Symposium waren sich einig, dass ein weiteres Problem in fehlenden Anreizen zur Reproduktion liegt. Forschende holen sich keine Meriten, wenn sie Studien von Kollegen überprüfen, in dem sie die Versuche wiederholen. Dabei wäre genau dies vonnöten, wie eine breit angelegte Analyse kürzlich zeigte: Im Rahmen des «Open Science Framework» haben Wissenschaftler 100 Studien aus psychologischen Journalen überprüft und nur eine Minderheit reproduzieren können. Ähnliches gilt für medizinische Studien, die der Pharmakonzeren Amgen näher unter die Lupe genommen hat: Nur sechs von 53 Studien konnten verifiziert werden.

In der Regel werden Publikationen aber nicht «nachgekocht», was eine hohe Dunkelziffer fehlerhafter Studien vermuten lässt. «Das System der Reproduktion von Studien funktioniert nicht», sagte Brandon Stell, Mitgründer von «PubPeer, am Symposium. Auf diesem Blog werden seit Oktober 2012 veröffentlichte Studien zur Diskussion gestellt.

Jedermann kann auf dieser Platform anonym kritische Kommentare zu einer Studie publizieren, wenn er der Meinung ist, sie enthalte methodische Mängel. Die Kritiken werden erst nach einer Prüfung durch Fachspezialisten frei geschaltet, um unbegründete Kritiken zu verhindern. Auf diese Weise wurden schon verschiedentlich Schlampereien entdeckt, was vereinzelt sogar zum Rückzug der Publikationen geführt hat. «Wir können mit unseren Kommentaren viel bewirken» sagte Brandon Stell.

Zwischenresultate publizieren

Während Blogs wie Retraction Watch und PubPeer fehlerhaften Publikationen nachforschen, möchte Lawrence Rajendran, UZH Professor für  System- und Zellbiologie, dafür sorgen, dass es erst gar nicht soweit kommt. Seine Lösung heisst «ScienceMatters» und besteht darin, anstelle von ganzen wissenschaftlichen Storys einzelne Zwischenresultate zu publizieren.

Der Systembiologe erklärte: Die Publikation von wissenschaftlichen Zwischenergebnissen entlaste die Forschenden, ganze Kausalketten in High-Impact-Journalen mit einer sexy Story zu publizieren. Das verringere die Anreize, Daten zu manipulieren. Gleichzeitig komme man so auch Artefakten oder falschen Hypothesen rascher auf die Spur. «Die Hürde zur Reproduktion ist bei Einzelergebnissen tiefer als bei kompletten Hypothesen», sagte Rajendran.

Rajendran hat die Internet-Plattform «Matters» im Februar 2016 lanciert. Im Vergleich zum traditionellen Publikationsprozess sind die Arbeiten über Einzelergebnisse nicht nur kompakter, ihre Überprüfung durch unabhängige Reviewer dauert auch viel weniger lang.

Zudem sind die Ergebnisse der Überprüfung transparent – auch dies trage zur Qualitätssicherung bei, meinte der Systembiologe. «Matters fördert die Robustheit der Daten und die Ehrlichkeit der Forschenden», sagte Rajendran.