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Astrophysik

Zuschauen, wie Sterne entstehen

In der Astrophysik sind Bilder der Schlüssel zu neuen Erkenntnissen. Dazu gehören die Simulationen kosmischer Ereignisse, mit denen die Astrophysiker der UZH erforschen, wie Sterne, Planeten und Galaxien entstanden sind.
Thomas Gull
Die ersten Galaxien im Universum: Diese Simulation zeigt, wie die ersten Galaxien des Universums entstanden sind. Sie wurden kürzlich vom James Webb Space Telescope entdeckt und jetzt von der Forschungsgruppe von Lucio Mayer nachgebildet. Die dichten Knoten auf den Bildern sind Gaswolken, in denen die Sternhaufen geboren werden. (Bild: Lucio Mayer)

Lucio Mayer ist enthusiastisch: «Die Astrophysik befindet sich heute an der Schwelle eines goldenen Zeitalters. Nie zuvor standen so grosse Datenmengen aus so vielen verschiedenen Bereichen des Universums zur Verfügung.» So erlaubt das James-Webb-Weltraumteleskop, weit entfernte Galaxien in einer Qualität zu sehen, wie es zuvor unmöglich war. «Das Teleskop liefert beinahe wöchentlich neue, überraschende Entdeckungen», sagt der UZH-Professor für Astrophysik. Noch im Aufbau befindet sich das Square Kilometer Array Observatory (SKAO), das in Australien und Südafrika errichtet wird. Dieses riesige Teleskopcluster wird mehr Daten sammeln als jedes bisherige wissenschaftliche Projekt.

Das Universum verstehen

Die neuen Informationen bringen die Astrophysik dem grossen Ziel des Fachs näher: das Universum als Ganzes und im Detail zu verstehen – von der Entstehung der Sterne bis zur Struktur des Kosmos. Mittendrin in diesem Rausch neuer Erkenntnisse sind Astrophysiker der UZH wie Lucio Mayer und Ravit Helled. Mayer erforscht, wie Sterne und Galaxien entstehen, Helled, wie sich Planeten bilden. Beide arbeiten mit Computersimulationen, die es ermöglichen, zu modellieren und zu analysieren, wie sich Planeten, Sterne und ganze Galaxien gebildet und im Lauf der Zeit verändert haben.

Wenn ich meine Simulationen mit dem realen Universum vergleiche, würde ich gerne sagen können: Okay, die Galaxie sieht wirklich so aus.

Lucio Mayer
Astrophysiker

Für die Simulationen werden enorme Rechenleistungen benötigt. Mayers Team ist es gelungen, in einem internationalen Wettbewerb ein Zeitfenster für die Nutzung des LUMI-Rechners in Finnland zu ergattern. LUMI ist Europas leistungsstärkster Supercomputer. Der Schlüssel zu Mayers Erfolg ist ein neuer Code für die Berechnung kosmischer Ereignisse. Ihn zu entwickeln, habe fast sieben Jahre gedauert, erzählt der Forscher. Daran gearbeitet hat ein Team aus Zürich, Basel und dem Swiss National Supercomputing Center (CSCS) in Lugano, bestückt mit Fachleuten aus Informatik, computergestützten Wissenschaften, Astrophysik und Kosmologie.

«Mit Hilfe des Supercomputers können wir modellieren, wie die Planeten, Sterne, Galaxien, ja der ganze Kosmos entstanden ist», erzählt Mayer. Diese Simulationen sind so rechenintensiv, dass sie mit herkömmlichen Methoden und Rechenleistungen Jahre dauern würden. «Jetzt können wir sie in wenigen Tagen durchführen», freut sich Mayer. Möglich machen das neue Grafikprozessoren (GPUs, Graphics Processing Units). Darauf laufen die Simulationen bis zu 1000-mal schneller als auf herkömmlichen Computern mit «klassischen» Prozessoren.

Riesige Wolken voller Sterne

Dank der grösseren Leistungsfähigkeit können viel komplexere Prozesse modelliert werden, etwa riesige Molekülwolken, in denen sich Millionen von Sternen bilden. «Bisher war das nicht möglich», sagte Mayer, «mit dem neuen Code werden wir in der Lage sein, das zu tun. Im Moment arbeiten wir daran, den Massstab der Modelle zu vergrössern.»

Die Riesenmolekülwolken sind deshalb so wichtig, weil sie der Ort sind, wo die Sterne entstehen. «Wenn wir solche Wolken simulieren können, dann können wir nachvollziehen, wie die Sternbildung in der gesamten Galaxie abläuft», so Mayer. Die Sterne, die an bestimmten Orten in einer Galaxie entstehen und dort Sternhaufen bilden, spielen eine Schlüsselrolle im Leben einer Galaxie. Sie setzen Energie frei, die beeinflusst, wie sich die Galaxie weiterentwickelt.

Kollision eines Himmelskörpers mit Jupiter: Die Bildfolge zeigt die Simulation eines mächtigen Einschlags auf dem Jupiter in verschiedenen Phasen. Durch den Einschlag wird der Jupiterkern teilweise zerrissen, aber die meisten schweren Elemente setzen sich schnell wieder zu einem kompakten Kern zusammen. Bild: Ravit Helled (aus Meier et al. 2025)

Aktuell ist die Simulationsphase mit dem LUMI-Computer abgeschlossen. «Jetzt fangen wir an, uns die Eigenschaften der Wolken anzusehen, in denen sich die Sterne befinden», erklärt Mayer. Dank der Simulationen können sich die Astrophysiker die verschiedenen Stadien der Entstehung der Sterne anschauen und diese zeitlich genau einordnen. «Wir sehen, was wann passiert ist», sagt Mayer. Die Ergebnisse werden dann mit den Daten der grossen Teleskope verglichen – stimmt das Ergebnis der Simulationen überein mit dem, was im Universum zu sehen ist? Wenn nicht, müssen die Modelle und Berechnungen angepasst werden. Mayer bezeichnet das als «Dialog» mit dem Ziel, möglichst akkurat erklären zu können, wie Sterne und Galaxien entstanden sind und wie sie sich verändert haben. Eine spektakuläre Simulation von Mayers Forschungsgruppe zeigt die ersten Galaxien, die sich im Universum gebildet haben, mit den ersten Sternhaufen. Die Simulation bildet nach, wie diese Galaxien entstanden sind, die erst kürzlich vom James Webb Space Telescope entdeckt wurden.

Früher dauerten solche Simulationen Monate, manchmal Jahre. Doch sei es dann ziemlich einfach gewesen, diese Daten zu analysieren, erzählt Mayer, weil die Datensätze klein waren. «Das konnten wir auf unseren Laptops machen.» Heute ist das ganz anders: Die Simulationen laufen viel schneller ab und sie liefern Unmengen von Daten, die es zu analysieren gilt. Dafür wird KI eingesetzt und entsprechend trainiert. «Das Swiss Data Science Center hat die Expertise für KI und maschinelles Lernen und ist dabei, in Zusammenarbeit mit unserem Team neue Methoden zu entwickeln, um die Ergebnisse der Simulationen auszuwerten», so Mayer.

Solche Simulationen sind so etwas wie die Laborexperimente der Astrophysik, mit denen versucht wird, kosmische Prozesse nachzubilden und nachzuvollziehen. Denn wenn man ins Universum schaut, sieht man nur eine Momentaufnahme in der Zeit, aber man weiss nicht, wie es dazu kam. «Wir versuchen zurückzuarbeiten und zu verstehen, wie die Sternhaufen, die Galaxien, ja das ganze Universum entstanden ist und weshalb es jetzt so ist, wie es ist», erklärt Mayer. «Wenn ich meine Simulationen mit dem realen Universum vergleiche, würde ich gerne sagen können: Okay, die Galaxie, die ich erzeugen kann, sieht wirklich so aus.»

Zu erklären, wie Uranus und Neptun in ihrer heutigen Form entstanden sind, war jahrelang eine Herausforderung für die Wissenschaft.

Ravit Helled
Astrophysikerin

Lucio Mayer erforscht, wie Galaxien und Sterne entstanden sind. Die Energie der Sterne und der Sternhaufen beeinflusst die Entwicklung der Galaxie. Und um die Sterne bilden sich die Planeten. Ravit Helled erforscht, wie diese entstehen. Die UZH-Professorin für Astrophysik arbeitet auch mit Modellen und Simulationen. Diese dienen wie bei Mayers Forschung dazu, die «Wissenslücke» zu schliessen, die bei der Beobachtung durchs Teleskop offenbleibt: «Wir sehen die protoplanetaren Scheiben und wir sehen die heutigen Planeten. Aber was dazwischen passiert, sehen wir nicht.»

Manche der Simulationen der von ihr entwickelten Modelle seien optisch weniger spektakulär als die von Mayer, betont Helled. Doch sie eignen sich besonders, die grundlegenden physikalischen Prozesse aufzeigen, die dabei ablaufen. Und Helled ist nicht weniger begeistert als Mayer, wenn sie von ihrer Forschung erzählt. Sie will verstehen, wie sich Planeten bilden und weshalb sie sich unterscheiden. Die Planeten entstehen aus dem Gas und dem Staub in den protoplanetaren Scheiben, die um die jungen Sterne rotieren. Ihre Vielfalt lässt sich durch unterschiedliche Anfangskriterien in diesen Scheiben erklären wie die Temperatur, Dichte, Zusammensetzung und die Verteilung der Materie.

Kleine Veränderungen mit grosser Wirkung

Leicht veränderte Entstehungsbedingungen führen zu sehr unterschiedlichen Planeten, wie wir sie in unserem Sonnensystem beobachten können, wo es Gesteinsplaneten gibt, die vergleichsweise klein sind und eine feste Oberfläche haben wie die Erde, Merkur, Venus und Mars. Und es gibt die Gas- oder Eisriesen, die hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium bestehen. Sie haben keine feste Oberfläche und sind viel grösser als die Gesteinsplaneten. Dazu gehören Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. «Mit unseren Modellen können wir zeigen, wie schon kleinste Veränderungen die Entstehung von Planeten beeinflussen», erklärt Helled.

Die Astrophysikerin kommt bei ihrer Forschung zu bemerkenswerten Ergebnissen, die zum Teil bestehende Theorien in Frage stellen. So unterscheiden sich die Eisriesen Uranus und Neptun trotz vieler Ähnlichkeiten signifikant. Uranus ist stark geneigt, hat reguläre Monde, keine interne Wärmequelle und ist dichter, während Neptun über unregelmässige Monde und eine interne Wärmequelle verfügt. Zudem hat er eine andere Dichteverteilung. Wie sind diese Unterschiede entstanden? Helled hat durch Simulationen eine mögliche Erklärung gefunden: Sie hat modelliert, was passiert, wenn ein grosser Himmelskörper in einen noch jungen Planeten einschlägt. Solche disruptiven Ereignisse könnten erklären, weshalb die beiden Planeten heute so verschieden sind. Bei Uranus führt in der Simulation ein schräger Einschlag zu dessen Neigung, zur Mondscheibe und zur inneren Struktur. Bei Neptun könnte ein frontaler Einschlag seine innere Struktur und sein Energieprofil beeinflusst haben.

Gewaltige Kollision

Solche Rieseneinschläge wären auch eine Erklärung dafür, weshalb sich diese Planeten in dieser Form an diesem Ort im Sonnensystem gebildet haben, denn gemäss der klassischen Theorie ist es unwahrscheinlich, dass sie in dieser Form an der heutigen Position entstanden sind. «Das zeigt uns, wie bestimmte Ereignisse die Entwicklung von Planeten verändern und aus der erwartbaren Bahn werfen können», erklärt Helled. Und es zeigt, wie gewinnbringend Simulationen eingesetzt werden können. «Zu erklären, wie Uranus und Neptun in ihrer heutigen Form entstanden sind, war jahrelang ein Rätsel und eine Herausforderung für die Wissenschaft», so Helled.

Das gilt auch für Jupiter. Dieser Planet hat ein sogenanntes «fuzzy core», einen Kern, der nicht scharf abgegrenzt ist. Wie Helleds Simulationen nahelegen, könnte auch hier eine gewaltige Kollision mit einem anderen Himmelskörper in der Frühzeit seiner Entstehung dieses Phänomen erklären. Der Einschlag zerreisst den Kern des Planeten teilweise, dieser setzt sich dann aber relativ rasch wieder zusammen. Solche Simulationen zu modellieren, sei herausfordernd, sagt Ravit Helled: «Die kosmischen Prozesse sind vielfältig und komplex und es gibt so viele Parameter, die berücksichtigt werden müssen.» Deshalb mache man viele Durchläufe mit verschiedenen Werten. «Dann sieht man das Ergebnis und manchmal ist man sehr überrascht», sagt sie und lächelt. Solche Überraschungen machen für sie den Reiz ihrer Arbeit aus.

Die Forschung von Ravit Helled und Lucio Mayer ist ein Beispiel dafür, wie mit Simulationen neue, spektakuläre Erkenntnisse gewonnen werden können. «Es ist wirklich eine aufregende Zeit», sagt Lucio Mayer, «besonders für die Studierenden. Ich sage ihnen: Ihr habt euch einen grossartigen Moment ausgesucht, um auf diesem Gebiet zu forschen.»