Schneller zur Diagnose
Studierende, die hervorragende Arbeiten geschrieben haben, werden von der UZH mit einem Semesterpreis ausgezeichnet. In einer Serie zeigen wir anhand einiger Beispiele, was eine gute Arbeit ausmacht, worin ihr didaktischer Nutzen besteht, was Studierende zu besonderen Leistungen motiviert und wie sie von Dozierenden unterstützt und betreut werden.
Kinder mit einem angeborenen Immundefekt sind nicht in der Lage, sich ausreichend gegen Krankheitserreger zu wehren. Bei manchen Kindern sind die Auswirkungen so schwerwiegend, dass sie bereits in den ersten Lebensmonaten an heftigen Infektionen leiden. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte haben häufig Schwierigkeiten, solche angeborenen Immundefekte zu erkennen, ähneln die Symptome doch oft gewöhnlichen Infekten. Für die Diagnose erschwerend kommt hinzu, dass es sehr viele verschiedene Arten genetisch bedingter Immundefekten gibt, die sich in ihren klinischen Erscheinungsbildern und der Schwere der Symptome stark unterscheiden.
Interesse fürs Immunsystem
Medizinstudentin Marlene Münger kennt diese Problematik. Während ihres Studiums entwickelte sie ein ausgeprägtes Interesse für das menschliche Immunsystem. «Mich hat erstaunt, wie hochkomplex es ist und wie empfindlich es auf genetische Fehler reagiert», sagt sie. Noch sei nicht genau erforscht, wie die Wechselwirkungen zwischen Immunzellen zu verstehen sind und warum das Immunsystem bei Defekten fälschlicherweise körpereigene Zellen angreife. «Ich wollte deshalb meine Masterarbeit diesem Thema widmen», erklärt sie.
In Jana Pachlopnik Schmid, Professorin für pädiatrische Immunologie an der UZH, fand Marlene Münger eine geeignete Betreuerin. Sie verfolgt in ihrer Forschung unter anderem das Ziel, die Diagnose von angeborenen Immundefekten zu erleichtern. Als Marlene Münger sich bei ihr meldete und um die Betreuung ihrer Masterarbeit anfragte, stiess sie auf offene Ohren.
Unterstützende Atmosphäre
«Ich möchte meine Studierenden dazu anregen, neugierig zu sein, neue Ideen zu entwickeln und selbständig Lösungen zu finden. Eine unterstützende Atmosphäre zu schaffen, ist mir sehr wichtig», sagt Pachlopnik. Und Marlene Münger erzählt: «Ich habe mich dank Jana als Forscherin gefühlt und ganz vergessen, dass ich ja noch Studentin bin.»
Während ihrer Recherchearbeit am Kinderspital lernte Marlene Münger das Immunologie-Team kennen und erfuhr nebenbei auch viel vom klinischen Alltag und der Arbeit mit den kranken Kindern. «Diese Erfahrungen haben mich sehr motiviert», erzählt sie. «Ich war Teil eines Teams, das sich tagtäglich dafür einsetzt, dass kranken Kindern geholfen wird.»
Ihre Masterarbeit beinhaltete eine umfassende Literaturrecherche. Unter mehr als 1’500 wissenschaftlichen Studien wählte sie diejenigen aus, die Krankheitssymptome beschreiben und angeborene Immundefekte identifizieren. Danach gruppierte sie die Krankheitssymptome und ordnete sie den Gendefekten zu.
Diskussionen bei brütender Hitze
Um die 1’500 wissenschaftlichen Artikel zu Immundefekten zu sichten, organisierte Marlene Münger ein kleines Team von fünf Medizinstudierenden, die sich noch am Anfang ihres Studiums befanden und sie bei der Recherche unterstützten. Die Masterstudentin trug dabei eine besondere Verantwortung, musste sie doch ihre Hilfsassistierenden in die Arbeit einführen, aber auch darauf bedacht sein, dass die wissenschaftlichen Artikel korrekt verstanden und ausgewertet wurden. «Ich erinnere mich, dass wir im Sommer wochenlang in einem heissen Raum im alten Kinderspital sassen und die Ergebnisse diskutierten», erzählt Münger.
Als Verantwortliche leitete sie die Medizinstudierenden an und musste auch selbständig die Entscheidung treffen, welche Publikationen für die Weiterverarbeitung in Frage kamen und welche nicht. Bei Unsicherheiten konnte sie sich stets auf die Expertise ihrer Professorin verlassen. Am Ende konzentrierten sie sich auf 700 Publikationen. «Diese haben wir analysiert und dabei das Vier-Augen-Prinzip angewendet», berichtet Marlene Münger. Die gesamte Recherchearbeit nahm etwa neun Monate in Anspruch. Dank einer bereits etablierten Webanwendung stelle sie anschliessend die aus der Recherche gewonnenen Erkenntnisse systematisch zusammen.
Zusammenhänge aufgedeckt
Aus der Analyse der Daten ergaben sich neue Erkenntnisse: Bei Kindern mit Symptomen wie wiederkehrenden Infektionen, Hautausschlägen und Autoimmunreaktionen lagen genetische Defekte in den Genen ARPC1B und WAS vor. Anders verhält es sich beispielsweise bei wiederkehrendem Fieber und Arthritis: Hier sind Mutationen im Gen NOD2 für die Symptome verantwortlich. In ihrer Masterarbeit dokumentierte die Studentin noch zahlreiche weitere Beispiele, bei denen ähnliche Symptome durch Defekte in unterschiedlichen, manchmal sogar funktionell nicht verwandten Genen verursacht wurden.
Diese Erkenntnisse könnte es Ärztinnen und Ärzten künftig leichter machen, schneller zu einer gezielten Diagnose zu gelangen und die richtigen Behandlungsmöglichkeiten zu erkennen und einzuleiten, sagt Jana Pachlopnik. Marlene Münger habe diese Masterarbeit mit grosser Sorgfalt und mit ihrem ausgeprägtem Organisationstalent gemeistert, dafür habe sie den Semesterpreis hoch verdient. Eine zusätzliche Anerkennung für die Studentin ist die geplante Publikation ihrer Arbeit in einem wissenschaftlichen Fachjournal.
Mehr Hoffnung denn je
Marlene Münger will weiterhin in der Wissenschaft und im Immunologie-Team des Kinderspitals bleiben. Sie möchte ihre Arbeit fortsetzen und hat bereits die Dissertation in Angriff genommen, um die Erkenntnisse ihrer Masterarbeit zu vertiefen. «Die Erforschung angeborener Immundefekte ist ein fortlaufender Prozess, der noch viel Forschungsarbeit erfordert», so Münger. Aber mit den immer besseren Diagnosemöglichkeiten gebe es heute für die betroffenen Kinder mehr Hoffnung denn je.