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Mikrobiologie

Keime und Küsse

Adrian Egli hat sich den Mikroben verschrieben – den Bakterien, Pilzen und Viren, die uns sowohl am Leben erhalten als auch töten können. Mit KI und Hightech rückt der umtriebige Wissenschaftler den Krankheitserregern zu Leibe.
Stefan Stöcklin
Sechzig Millionen Bakterien: Adrian Egli vor dem Bild, das das Mikrobiom eines Kusses seiner Frau zeigt. (Bild: Marc Latzel)

Adrian Egli kommt gleich zur Sache. Beim Besuch in seinem Büro schreitet er als Erstes zielstrebig zu einem grossformatigen Foto, das unübersehbar in einer Ecke hängt. Darauf abgebildet sind Hunderte von kugel- und stäbchenförmigen Bakterien, bunt eingefärbt und tausendfach vergrössert. «Das Mikrobiom des Kusses meiner Frau – mein Lieblingsbild», schwärmt Egli. Die mit einem Rasterelektronenmikroskop gefertigte Aufnahme zeigt einen kleinen Ausschnitt der erstaunlichen Vielfalt von Mikroorganismen, die unsere Lippen besiedeln. «Allein das Mikrobiom eines Kusses besteht aus 60 Millionen Bakterien», erläutert der Professor für Medizinische Mikrobiologie. «Insgesamt tummeln sich auf unserer Haut mehrere Milliarden Keime, im Darm sind es sogar tausend Milliarden, ist das nicht fantastisch», sagt Egli – und mit jedem Wort ist seine Faszination für die mikroskopisch kleinen Mitbewohner zu spüren.

Die Billionen von Bakterien, Pilzen und Viren sind für uns überlebenswichtig, sie helfen bei der Verdauung, unterstützen unseren Stoffwechsel und das Immunsystem, stimulieren Nervenzellen und sorgen für unser Wohlgefühl. Aber Mikroorganismen haben auch eine dunkle und gefährliche Seite, sie sind Auslöser gefährlicher Krankheiten und können Menschen innert Tagen töten. Als Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie hat sich Egli dieser pathogenen Seite verschrieben und sorgt mit seinen Mitarbeitenden dafür, dass mikrobielle Infektionen möglichst rasch und genau diagnostiziert und behandelt werden können. Dass der umtriebige Forscher in der Mikrobiologie tätig ist, könnte auf den ersten Blick erstaunen. Das Fach hatte in der Vergangenheit eher den Ruf einer beschaulichen Wissenschaft. Das rührte daher, dass Proben von Patient:innen meist mehrere Tage kultiviert werden mussten, bevor sie unter dem Mikroskop und mit weiteren Tests bestimmt werden konnten. Dank technischer Fortschritte in der Diagnostik – allen voran die ultraschnelle Genomsequenzierung – ist von dieser Beschaulichkeit nichts mehr übriggeblieben. Heutzutage kann das Erbgut eines Bakteriums innert Stunden bis auf das letzte Bauteil seiner DNA sequenziert werden.

Gleichzeitig stehen Hightech-Methoden wie Massenspektroskopie und seit neustem auch KI-Verfahren zur Verfügung, um krank machende Mikroorganismen zu charakterisieren. Virtuos nutzt Adrian Egli mit seinem Team diese neuen technischen Möglichkeiten und entwickelt sie weiter. «Mir geht es um rasche und praxisnahe Lösungen», sagt der Wissenschaftler, der sowohl einen medizinischen als auch einen naturwissenschaftlichen Doktortitel trägt.

Ein Herz für Mikroorganismen

Ursprünglich träumte Adrian Egli von einer Karriere als Grundlagenforscher in der Molekularbiologie. Einer seiner Mentoren in Basel, wo er um die Jahrtausendwende studiert hat, inspirierte ihn für das Thema Medizin und Infektionskrankheiten. Er  studierte Medizin und legte eine naturwissenschaftliche Forschungsarbeit über das Polyomavirus BK nach, mit der er den PhD-Titel erwarb. «Infektiöse Mikroorganismen und die Labormedizin sind eine Herzensangelegenheit geworden», sagt er. Das Gebiet sei «unglaublich breit und interessant» und erlaubt ihm, sein Flair für Mathematik und Computertechnologien einzubringen. Zum Beispiel im Problembereich antibiotikaresistenter Bakterien.

Insgesamt tummeln sich auf unserer Haut mehrere Milliarden Keime, im Darm sind es sogar tausend Milliarden, ist das nicht fantastisch?!

Adrian Egli
Mikrobiologe

Diese gefährlichen Keime sind weltweit auf dem Vormarsch, auch in der Schweiz. Mehrere hundert Menschen sterben hierzulande an Infektionen multiresistenter Keime, weltweit sind es gut eine Million. Umso wichtiger ist die rasche Überprüfung im Labor, welche Antibiotika bei einem Krankheitserreger noch wirken, denn die Zeit bis zum Einsatz einer wirksamen Therapie kann über Leben und Tod entscheiden.

Vor kurzem hat Egli in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen der ETH ein neuartiges Verfahren entwickelt, das Methoden der Massenspektrometrie mit Methoden der künstlichen Intelligenz verknüpft. Die Massenspektrometrie erstellt einen Fingerabdruck der bakteriellen Eiweissmoleküle eines Erregers. Eine speziell mit Daten resistenter Keime trainierte KI kann danach selbstständig erkennen, ob und welche Antibiotikaresistenzen bei diesem neuen Keim vorliegen. Dieses Verfahren ist deutlich schneller als bisherige Methoden.

Bei solchen disziplinenübergreifenden Projekten hilft Egli seine Begeisterungskraft, mit der er andere von seinen Ideen überzeugen kann. «Ich blicke gerne über den Tellerrand meiner Disziplin hinaus und schätze Kooperationen mit anderen Kolleg:innen und Fachgebieten», sagt er. Dies praktiziert er auch in einem anderen grossen Forschungsvorhaben zum Thema Virulenz. Sie bezeichnet die Fähigkeit eines Mikroorganismus, Krankheiten zu verursachen – je virulenter ein Bakterium, desto gefährlicher ist es. Erstaunlicherweise werde die Virulenz in der Diagnostik bisher weitgehend ignoriert, dabei sei sie für die Prognose des Krankheitsverlaufs wichtig, sagt Egli.

Mit seinem Team und Kooperationspartnern hat er sich nun daran gemacht, Virulenzfaktoren wie beispielsweise die Fähigkeit eines Keims, in das Gewebe einzudringen, zu definieren. Wiederum soll KI zum Einsatz kommen, um den Zusammenhang zwischen den Virulenzfaktoren und den Krankheitsverläufen anhand von Proteindatenbanken der Erreger in verschiedenen klinischen Zentren im Ausland zu bestimmen.

Geborener Netzwerker

Mit den Arbeiten zur Virulenz stösst Egli in neue Bereiche der medizinischen Mikrobiologie vor. «Das Fachgebiet erneuert sich gerade stark», freut er sich. Die «grossartigen Möglichkeiten» am Forschungsplatz Zürich waren denn auch einer der Gründe, weshalb er 2022 von Basel nach Zürich wechselte und die Leitung des Instituts übernahm.

Als geborener Netzwerker ist er am neuen Arbeitsort in seinem Element. Diesen Frühling hat er dreissig Fachkolleg:innen zur ersten «paneuropäischen Konferenz über bakterielle Genomsequenzierungen» nach Engelberg geladen. Wie gesagt kann die DNA-Sequenz einer Bakterie innert Stunden eruiert werden, was die diagnostischen Möglichkeiten vervielfacht. Damit können zum Beispiel das Infektionsgeschehen und die Bildung von Resistenzen in nie gekannter Präzision abgebildet werden, vorausgesetzt, die Genomdaten werden möglichst breit ausgetauscht. Wie diese Zusammenarbeit auf europäischer Ebene beschleunigt werden kann, war das grosse Thema der Konferenz.

Egli hat diese Zusammenkunft aufgrund seiner Erfahrungen mit Covid-19 initiiert. «Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig Genomdaten von Krankheitserregern sind», sagt der Mikrobiologe. Auch damals war Egli an vorderster Front dabei, als es darum ging, die Sequenzdaten von Sars-CoV-2 in der Schweiz systematisch aufzubereiten. In der Folge wurde die Datenbank SPSP (Swiss Pathogen Surveillance Platform) aufgebaut, die allen Labors und dem BAG zur Verfügung steht.

Adrian Egli kommt ins Schwärmen. «Die Datenbank ist ein Erfolgsmodell und wird laufend für neue Krankheitserreger ausgebaut», freut er sich und erläutert die neuen Möglichkeiten für die personalisierte Medizin. Und dann blitzt da noch eine weitere Eigenschaft auf: seine Begabung zur Kommunikation. Dank seiner überzeugenden und mitreissenden Art ist Egli der geborene Redner – was er auch nutzt, um die Welt der Mikroben breiteren Kreisen zu vermitteln. Zum Beispiel in einem Citizen-Science-Projekt mit Schülern aus Wattwil, bei dem Proben aus der Mundflora gesammelt werden, oder in seinen Vorlesungen für die Kinderuniversität der UZH. Gerne nimmt er sich auch die Zeit für aussergewöhnliche Projekte: So hat er zusammen mit Gymnasiast:innen ein Seminar über Infektionskrankheiten in der Literatur organisiert und erläuterte die medizinischen Hintergründe der «Ballade von der Typhoid Mary» von Jürg Federspiel. Und wenn Medizinstudierende anfragen, ob er zur Party auflegen könnte, sagt er selbstverständlich zu.

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