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Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn Bürgerinnen und Bürger sich zu wichtigen Themen sachgerecht informieren und eine Meinung bilden können. Doch fallen nicht immer mehr Menschen auf «Fake News» herein und wissen gar nicht mehr, was richtig und was falsch ist? Die Entwicklungen der letzten Jahre mit Corona-Pandemie, US-Wahlen, russischer Kriegspropaganda und der zunehmend automatisierten Erzeugung von Text, Bild und Ton geben Anlass zur Sorge: Umfragen zeigen, dass fast die Hälfte der Schweizer:innen Desinformation als grosses Problem wahrnimmt. Und auch im Parlament gab es zahlreiche Vorstösse zum Thema, insbesondere zur Frage nach dem Einfluss ausländischer Propaganda. 2017 war die Schweizer Regierung noch der Ansicht, es brauche keine neuen Vorschriften und es reiche, die Entwicklung im Auge zu behalten. Doch das hat sich mittlerweile geändert: Um zu eruieren, welche Massnahmen der Staat ergreifen könnte, hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) 2022 Fördergelder für Forschungsprojekte gesprochen, die dieser Frage nachgehen.
Eines dieser Projekte ist an der UZH unter Federführung von Kommunikationswissenschaftler Mark Eisenegger und Rechtswissenschaftler Florent Thouvenin entstanden. Rechtliche Aspekte sind in Studien für das Bakom bisher eher wenig untersucht worden. Deshalb ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit der beiden Forscher und der Anspruch, empirisch fundierte Aussagen zu wirksamen und rechtlich zulässigen Massnahmen gegen Desinformation zu machen, besonders interessant.
Zur Lage in der Schweiz hat das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög), dessen Direktor Eisenegger ist, bereits 2021 eine repräsentative Umfrage gemacht. Dabei wurde festgestellt, dass die meisten Menschen hierzulande nach wie vor den traditionellen Medien und den Mitteilungen der Behörden vertrauen. Sie fühlen sich fähig, falsche Informationen zu erkennen, verbreiten diese wenig weiter und betreiben oft sogar Aufklärung im persönlichen Umfeld. Inhalte auf sozialen Medien, Messengerdiensten und Alternativmedien werden generell ziemlich skeptisch beurteilt. «Diese Resilienz hat auch mit der geringen Polarisierung und der Kleinräumigkeit zu tun», erklärt Eisenegger. «Wenn man hierzulande Desinformationen verbreitet, muss man mit Reputationsverlust rechnen.»
Zudem verfüge die Schweiz mit der SRG über einen guten Service public und über einen noch relativ vielfältigen Journalismus, der sich auch einem gemeinsamen Kodex verpflichtet hat. Dennoch macht sich die Hälfte der Befragten Sorgen über «Fake News» und dass andere Menschen darauf hereinfallen könnten. Vielleicht nicht zu Unrecht, denn das direktdemokratische System ist auf einen aufgeklärten Diskurs angewiesen: «Faktentreue, Transparenz und Fairness sind für die Aushandlung von politischen Entscheidungen unabdingbar. Desinformation kann in der Schweiz potenziell grossen Schaden anrichten», so Eisenegger.
Desinformation kann in der Schweiz potenziell grossen Schaden anrichten.
Wie verbreitet Desinformation tatsächlich ist, lässt sich allerdings schwer sagen, denn die digitalen Plattformen geben nur wenig Zugang zu den relevanten Daten. Ebenfalls offen bleibt, wie oft Desinformation überhaupt geglaubt wird. Immerhin weiss man, dass jene, die neben den sozialen Medien kaum noch journalistische Nachrichtenangebote nutzen, seltener abstimmen gehen. Eisenegger meint dazu: «Eine Gefahr ist, dass das Vertrauen in eine gemeinsame Faktenbasis schwindet.» Dieser grundsätzliche Vertrauensverlust sei für das Funktionieren der Demokratie problematischer als wenn falsche Informationen zuweilen für richtig gehalten werden. Aber das Problem der Desinformation müsse man ernst nehmen, auch wenn es in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern noch nicht so gross ist – insbesondere auch angesichts aktueller Entwicklungen im Bereich von KI und automatisierten Bot-Accounts.
Mögliche Massnahmen sehen Thouvenin und Eisenegger auf mehreren Ebenen: Der Staat kann rechtliche Vorgaben erlassen, im Rahmen einer Ko-Regulierung mit digitalen Plattformen gemeinsam Regeln entwickeln oder auf die Branchen- und Selbstregulierung der Plattformen vertrauen. Zudem sollten die Bürger:innen durch Bildung und Aufklärung befähigt werden, Desinformation zu erkennen. Sinnvoll wäre gemäss den beiden Forschern ein «Governance-Mix», der auf eine Kombination verschiedener Massnahmen setzt, die das Verfassen und Verbreiten von Desinformation eindämmen und die gesellschaftliche Resilienz gegen Falschinformationen insgesamt stärkt. (Siehe Kasten rechts)
Ausgangspunkt sollte dabei der bestehende Rechtsrahmen sein. Im zweiten Teil der Studie findet sich deshalb ein Überblick über die Normen des geltenden Rechts, die genutzt werden können, um rechtlich unzulässige Formen von Desinformation zu erfassen. Thouvenin führt dazu aus: «Die schweizerische Rechtsordnung enthält eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln, die dies erlauben, allerdings nicht aus der Desinformationsperspektive, sondern beispielsweise zum Schutz der Persönlichkeit oder der Ehre der betroffenen Personen.»
Bei der Anwendung der bestehenden und beim Erlass allfälliger weiterer Normen zur Bekämpfung von Desinformation sei allerdings stets zu bedenken, dass die Meinungsäusserungsfreiheit eines der wichtigsten Grundrechte in einer Demokratie ist: «Der Staat sollte deshalb in erster Linie durch prozedurale Regeln sicherstellen, dass der Meinungsbildungsprozess funktioniert. Beim Verbot konkreter Aussagen ist äusserste Zurückhaltung geboten, weil der Staat kein ‹Ministry of Truth› (Ministerium der Wahrheit) betreiben sollte, das darüber entscheidet, was richtig und was falsch ist», sagt Thouvenin.
Eine demokratische Gesellschaft muss auch unsinnige Meinungen bis zu einem gewissen Grad aushalten können.
Eine demokratische Gesellschaft müsse auch unsinnige Meinungen bis zu einem gewissen Grad aushalten können: «Sie dürfen vertreten, dass die Erde flach ist. Das ist ausserhalb des Zugriffs des Rechts. Die Aufgabe der Rechtsordnung ist es, sicherzustellen, dass in der öffentlichen Debatte unterschiedliche Positionen vertreten werden können. Wir brauchen einen offenen Diskurs, der sich auch weiterentwickelt, aber wir brauchen Leitplanken, dass dieser Diskurs funktioniert», sagt der Rechtswissenschaftler
Gegenüber ausländischen Staaten ist der Spielraum laut Thouvenin allerdings grösser: «Die Meinungsäusserungsfreiheit schützt Bürger:innen gegenüber dem Staat, nicht ausländische Staaten gegenüber der Schweiz, da wäre rechtlich gesehen mehr möglich. Die Frage ist, wie man solche Akteure identifizieren kann, wer das tun müsste und welche Massnahmen ergriffen werden können. Es wäre denkbar, digitale Plattformen zu zwingen, ausländische Propaganda zu löschen.»
Besonders problematisch sind derzeit Messengerdienste wie etwa Telegram, auf denen grosse Gruppen privat und verschlüsselt kommunizieren können. «Das ist zum Verbreiten von Desinformation natürlich interessant», sagt Eisenegger. Und Thouvenin meint: «Das Problem ist hier vor allem, dass ein Zugang zu den Inhalten technisch nicht möglich und mit dem Schutz der Privatsphäre nicht vereinbar ist. Sinnvoll könnte aber sein, die Grösse von Chat-Gruppen auf Messengerdiensten zu beschränken, um zu verhindern, dass gesellschaftlich relevante Diskurse innerhalb grosser Gruppen im Verborgenen geführt werden.»
Aus dem Gespräch mit den beiden Wissenschaftlern wird klar: Sowohl für die Forschung als auch für die politische Willensbildung der Einzelnen ist der Zugang zu guter Information essenziell. Deshalb müssen nicht nur digitale Medien in den Blick genommen werden, sondern es braucht auch guten Informationsjournalismus, so Mark Eisenegger. «Nicht Desinformation ist in der Schweiz das grösste Problem, sondern dass immer mehr Menschen zu den sogenannten News-Deprivierten gehören, die kaum noch akkurate Informationen konsumieren.» Eine guten Medienförderung sei deshalb ebenfalls wichtig, um die Bevölkerung weiterhin resilient gegen Desinformation zu machen. Florent Thouvenin sieht sogar eine Chance in der wachsenden Skepsis gegenüber KI-generierten Inhalten und Bots: «Das fördert möglicherweise auch den Wunsch nach vertrauenswürdigen Nachrichtenquellen. Die Frage ist jetzt nur, ob und wie die traditionellen Medien diese Chance nutzen werden.»