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Von Bad News überflutet

Täglich werden wir mit einer Flut von negativen Nachrichten konfrontiert. Das kann belastend sein. Die Kommunikationswissenschaftlerin Anne Schulz untersucht, wie wir informiert bleiben können, ohne unsere mentale Gesundheit zu gefährden.
Simona Ryser
Negative Schlagzeilen nimmt das Gehirn besonders intensiv und prägend wahr. (Bild: iStock.com/zimmytws)

Eigentlich wollte ich nur kurz einen Kaffee trinken und in der News-App den Stand des laufenden Fussballspiels checken. Erfahren habe ich von kenternden Flüchtlingsbooten, von eskalierenden Konflikten, von blutigen Kämpfen, von Krisen und Kriegen, von verheerenden Stürmen, Erdrutschen, Starkregen und Dürren, von bedrohten Küstengebieten und Bergregionen, von Verzweiflung und Leid.

Angesichts der Weltlage werden wir überflutet mit schlechten Nachrichten, und in Zeiten von Social Media und Co. scheinen wir dem permanenten Informationsstrom nicht entkommen zu können. Das kann belastend sein und zuweilen schwer erträglich. Selbst wenn wir das Smartphone wegstecken, kriegen wir am nächsten News-Screen mitgeteilt, was alles los ist auf der Welt. Wie soll man da einen klaren Kopf behalten – den wir doch brauchen, um informiert zu bleiben.

Obwohl uns negative Nachrichten belasten können, ziehen sie uns auch an.

Anne Schulz
Kommunikationswissenschaftlerin

Dieses Dilemma untersucht Anne Schulz, Assistenzprofessorin für politische Kommunikation. In ihrer Forschung, die mit einem Starting Grant des Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird, beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der Flut negativer Nachrichten und sucht nach Wegen zu einem nachhaltigen Informationskonsum. «Ziel ist es, informiert zu bleiben, ohne die mentale Gesundheit zu gefährden», sagt Anne Schulz. Die überwältigende Informationsfülle und die vielen negativen Schlagzeilen wirkten erschöpfend und lösten Ohnmachtsgefühle aus. Das sei verständlich, doch es führe auch dazu, dass Menschen zunehmend News vermeiden. Nachrichten werden nur noch selektiv oder gar nicht mehr gelesen.

Nicht mehr im Bild

Tatsächlich ist laut dem Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford der Anteil so genannter News Avoider zwischen 2017 und 2025 weltweit von 29 auf 40 Prozent gestiegen. In der Schweiz sind es gut 30 Prozent, die News aktiv vermeiden, wie eine Untersuchung zeigt, die Anne Schulz gemeinsam mit Sophia Volk 2023 durchgeführt hat. Beispielsweise löschen 65 Prozent der Befragten bestimmte News-Inhalte, etwa einen Nachrichten-Newsletter, sofort oder oft. 54 Prozent schalten die Push-Benachrichtigungen von News-Apps aus. Die Hälfte der Befragten schalten ihre Geräte spontan oder zu bestimmten Zeiten ganz ab, um dem News-Strom zu entkommen. News-Pausen sind durchaus Strategien, mit der Informationsfülle umzugehen. «Allerdings», so Schulz, «wenn die Abstinenz andauert, leidet das Wissen über die Welt, dadurch fehlt eine solide Grundlage zur Meinungsbildung – und diese ist für eine funktionierende demokratische Gesellschaft grundlegend.»

Komplett von News-Kanälen verabschiedet haben sich die so genannten Disconnected User. Das sind gemäss dem Digital News Report immerhin etwa 540'000 Menschen oder rund sechs Prozent der Schweizer Bevölkerung. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn potenziell immer mehr Menschen nicht mehr im Bild sind, was auf der Welt läuft, und sich politisch nicht oder falsch informiert äussern?

Das Risiko, manipuliert zu werden

Anlässlich der Abstimmung vom 28. September 2025 will Anne Schulz in einer Studie untersuchen, wie sich die unterschiedlichen Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern daran beteiligen. Gehen Leute, die News vermeiden oder gar nicht mehr konsumieren, überhaupt noch zur Urne? Und wenn ja, auf welchen Grundlagen entscheiden sie, fragt sich die Kommunikationswissenschaftlerin. «Gerade bei falsch informierten Personen besteht ein Risiko, dass sie gegen die eigenen Interessen abstimmen, etwa wenn sie sich falsch leiten liessen oder manipuliert wurden», sagt Anne Schulz. Es kann sein, dass eine solche Person zwar sehr viele Informationen konsumiert, diese aber nicht aus seriösen Quellen stammen.

In der Schweiz setzen immer noch viele auf qualitativ hochstehende Informationsquellen: So nutzt zum Beispiel mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung wöchentlich die Informationsangebote von SRF und RTS offline, ein Drittel tut dies online. Und ganze 70 bis 80 Prozent vertrauen den öffentlich-rechtlichen Medien als Nachrichtenquelle, wie der Digital News Report 2025 aufzeigt. «Es ist enorm wichtig, dass die unabhängigen Medien, die für Qualitätsjournalismus und für eine wahrheitsgemässe Berichterstattung stehen und so gewissermassen die vierte Gewalt im Staat verkörpern, die nachfolgenden Generationen ansprechen und für sich gewinnen können», sagt Schulz, «damit die Jungen die professionellen und verlässlichen Quellen im Informationsdschungel erkennen und von manipulativen unterscheiden können.»

Leibniz’ Klage

Genau genommen ist das Klagen über die Informationsflut nichts Neues. Schon in der Antike hat der griechische Dichter und Gelehrte Kallimachos mit der Informationsfülle gerungen und nach Ordnungsmethoden gesucht, sagt Anne Schulz. Viel später, nach der Erfindung des Buchdrucks, wurde vor allem die intellektuelle Elite mit einer nie dagewesenen Informationsflut konfrontiert. Noch im 17. Jahrhundert schlug der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz alarmistische Töne an und warnte vor der «schrecklichen Masse von Büchern», die in eine «fast unüberwindbare Unordnung» führe. Kommunikationsgeschichtlich gesehen ist das ein wiederkehrendes Muster. «Oft sind es technologische Innovationen, die die Informationsfülle weiter anwachsen lassen – sei es die Erfindung des Buchdrucks oder jüngst die Digitalisierung, die zu einer weiteren Pluralisierung der Medien und der Medienpraktiken geführt hat», sagt Anne Schulz.

Diese Angebotsfülle schätzen auch viele Menschen. «Diejenigen, die News gezielt konsumieren, fühlen sich nicht überfordert,» sagt Schulz. Bei ihnen kommen auch keine Ohnmachtsgefühle auf. «56 Prozent der Befragten aus unserer Studie gaben an, die Fülle an Informationen und Angeboten von News, Unterhaltung und persönliche Kommunikationsmöglichkeiten zu schätzen», erklärt die Forscherin. Das seien insbesondere ältere, eher männliche, einkommensstarke und höher gebildete Personen. 38 Prozent, also mehr als ein Drittel der Befragten, gaben hingegen an, sich von der Informationsfülle überlastet zu fühlen.

Tipps für einen nachhaltigen Informationskonsum

Wie können wir mit negativen Nachrichten und der wachsenden Informationsfülle konstruktiv umgehen, sodass wir informiert bleiben und dabei unsere psychische Gesundheit schützen? «Wir müssen News zielführend konsumieren und das Rauschen ausblenden – darin müssen wir noch besser werden», sagt Anne Schulz. In der 24/7-Informationsgesellschaft stehen alle Informationen überall und immer zur Verfügung, daraus kann der Zwang entstehen, diese auch alle zu nutzen. Doch dem kann man etwas entgegensetzen.

Gewohnheiten festlegen

Ähnlich wie man sich in der vordigitalen Zeit pünktlich um 19.30 Uhr für die «Tagesschau» vor den Fernseher gesetzt hat, kann man eine bestimmte Zeit festlegen, zum Beispiel beim Pendeln oder zuhause beim Feierabendbier, in der man einen News-Podcast hört oder die News-App anschaut.

News-Pause einlegen

Für eine festgelegte Zeit keine Geräte beziehungsweise keine News-Medien mehr konsultieren, beispielsweise ein News-freies Wochenende verbringen.

Benachrichtigung ausschalten

Aufblinkende Notifications lenken uns ab. Eine Möglichkeit ist, die Benachrichtigungsfunktion zu sperren und zu einem selbst gewählten Zeitpunkt die App gezielt zu öffnen und zu schauen, ob es neue Nachrichten gibt.

Smartphone weglegen

Auch wenn es ein Luxus ist: das Smartphone mal in der Schublade verschwinden lassen. So ist das Gerät zumindest vorübergehend aus den Augen, aus dem Sinn, man fühlt sich unabhängiger und auch die Verlockung, kurz nachzuschauen, was gerade auf der einen oder andern App angezeigt wird, ist geringer.

Zeitbefristung einschalten, Apps löschen

Für einzelne Apps eine realistische Zeitbegrenzung zu aktivieren, kann hilfreich sein, um sich nicht im Meer von Informationen zu verlieren. Nicht mehr genutzte Apps kann man löschen.

Verantwortlich kommunizieren

Die Informationsschwemme lässt sich auch mitgestalten, indem man Verantwortung fürs eigene Kommunizieren übernimmt: Muss diese E-Mail oder diese Whatsapp-Nachricht jetzt noch raus? Muss man jede Nachricht per Smartphone verschicken?

Alle diese Strategien können allerdings auch einen Bumerangeffekt auslösen, warnt Anne Schulz. Insbesondere das Gefühl, durch das Abschalten etwas zu verpassen, ist wissenschaftlich belegt. «Im schlimmsten Fall kann die sogenannte FOMO (Fear of Missing Out) emotional stärker belasten als eine vorübergehende Informationsüberlastung.» Es gilt also, verschiedene Strategien auszuprobieren und eine eigene individuelle Lösung zu finden.

Negative Schlagzeilen nimmt das Gehirn besonders intensiv und prägend wahr. Allerdings kommt der Fokus aufs Negative auch von uns selbst. «Obwohl uns negative Nachrichten belasten können, ziehen sie uns auch an», sagt Schulz. Der so genannte Negativity Bias, die Tendenz, negative Inhalte zu suchen, lässt sich evolutionspsychologisch erklären. «Man scannt die Umwelt zuerst nach Gefahren, um das eigene Überleben zu organisieren», so Schulz.

Bad News filtern

Wie aber lässt sich konstruktiv mit der gegenwärtigen Informationsfülle umgehen? Was, wenn ich beim Scrollen auf der News-App genug habe, aber dennoch informiert sein möchte? Antworten auf diese Fragen will die Kommunikationswissenschaftlerin mit ihrem nächsten Projekt finden. Sie hat sich gefragt, wie Menschen informiert bleiben und gleichzeitig ihr Wohlbefinden schützen können. In Zusammenarbeit mit einem Medien-Newsportal und einer Kollegin an der ETH will Schulz deshalb einen Algorithmus mit Filterfunktion entwickeln, der in eine News-App implementiert werden kann.

Dieser «responsible algorithm» soll verantwortungsvoll und nach ethischen Kriterien Informationen selektionieren. Die Forschungsarbeit analysiert zunächst, wie negative Nachrichten überhaupt identifiziert werden können. Schliesslich soll ein Textanalyse-Tool zur Verfügung stehen, das in eine News-App eingespeiste Artikel nach negativen Nachrichten durchscannen kann. Für den User erscheint dann auf dem Smartphone neben dem Nachrichtenangebot der Redaktion ein Button mit einem Flaggensystem, vergleichbar etwa dem Nutriscore-Aufdruck auf den Lebensmitteln in den Regalen der Grossverteiler. Je nach Tagesform oder individuellem Interesse kann man die rote, gelbe oder grüne Flagge wählen, um Artikel mit besonders belastenden Inhalten vorübergehend herauszufiltern. Eine Runde Good News. Wenigstens zwischendurch.