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Talk im Turm

Warum Gendermedizin allen nützt

Die Kardiologin Carolin Lerchenmüller ist die erste Professorin für Gendermedizin in der Schweiz. Sie diskutierte im «Talk im Turm» mit Beatrice Beck Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin Zürich (UMZH), über Gendermedizin und weshalb diese wichtig ist.
Carole Scheidegger
Podiumsgespräch Gendermedizin
Rita Ziegler, Beatrice Beck Schimmer, Carolin Lerchenmüller und Thomas Gull (v.l.n.r.) im Gespräch über Gendermedizin. (Bild: UZH Alumni/Adriana Hefti )

Viele Krankheiten haben unterschiedliche geschlechtsspezifische Ursachen und Symptome. Doch diese sind oft noch wenig erforscht. Das will die Gendermedizin ändern. Carolin Lerchenmüller, die erste Professorin für Gendermedizin in der Schweiz, diskutierte am 27. Mai 2024 mit Beatrice Beck Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin Zürich (UMZH), über die Bedeutung der gendermedizinischen Forschung und ihren Nutzen für Frauen, Männer und andere Geschlechter. Moderiert wurde das Gespräch von Rita Ziegler und Thomas Gull von der UZH-Kommunikation.

Widerstände überwinden

Carolin Lerchenmüller kam bei einem Forschungsaufenthalt in den USA mit der Gendermedizin in Kontakt. Zurück in Deutschland traf sie allerdings auf Widerstände und hörte Kommentare wie «wir haben ja auch kein Männerherzzentrum». Was so nicht richtig sei, sagte die Kardiologin: «Eigentlich sind alle Herzzentren Männerherzzentren.» Denn die Medizin ist historisch stark auf den Mann ausgerichtet, was zu Entwicklung von Medikamenten führte, die oft für den «80 Kilogramm schweren weissen Mann» gemacht sind.

An der UZH hat Lerchenmüller nun die «aufregende Aufgabe», mit ihrer Professur die Gendermedizin zu etablieren und auszubauen. Dabei kann sie auf den vollen Rückhalt von UMZH-Direktorin Beatrice Beck Schimmer zählen, die sich seit Langem für Chancengleichheit einsetzt, zum Beispiel mit einem Programm, das jungen Wissenschafter:innen geschützte Forschungszeit zusichert. So sollen sie ihre Arbeit besser mit dem Privat- und Familienleben vereinbaren können.

Gendermedizin als Querschnittsdisziplin

Beide Wissenschafterinnen verstehen die Gendermedizin als Querschnittsfach, das in jede medizinische Spezialisierung einfliessen soll. Ziel ist, eine gerechte und präzise Medizin zu entwickeln, die auf die individuellen Bedürfnisse aller Geschlechter eingeht. So werden sowohl biologische als auch soziokulturelle Unterschiede berücksichtigt, um Krankheiten effizient zu behandeln oder, im besten Fall, schon präventiv zu verhindern.

Lerchenmüller betonte, wie wichtig die Forschung sei, denn bisher fehlt oft die wissenschaftlich fundierte Evidenz für geschlechterspezifische Unterschiede. Diese ist auch die Voraussetzung, dass Gendermedizin in den praktischen Alltag von Ärzt:innen einfliessen kann, etwa über Leitlinien zur Behandlung einer bestimmten Krankheit.

Gefährliche Ignoranz

Dass Frauen bei Krankheiten andere Symptome haben können als Männer, zeigt sich zum Beispiel beim Herzinfarkt – «selbst wenn dieses Beispiel niemand mehr hören mag», wie Lerchenmüller schmunzelnd sagte. Auch bei der Medikation gibt es solche Unterschiede, die lange ignoriert wurden, wie Beck Schimmer erklärte: Bei Schlafmitteln etwa war die Dosierung für Frauen oft zu hoch, so dass sie am nächsten Tag einen «Overhang» hatten, der sogar zu Unfällen führen kann.

Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, wenn Symptome bei Männern zu spät erkannt werden, weil man von einer «Frauenkrankheit» ausgeht. Ein Beispiel dafür ist die Osteoporose. Bei der Diagnose von Depressionen bestehen ebenfalls Unterschiede: Während Frauen häufig als traurig und zurückgezogen beschrieben werden, kann sich die Krankheit bei Männern durch Aggressivität äussern.

Der Talk im Turm als Podcast

Viele Studentinnen, wenige Chefärztinnen

Die Medizin war lange in Männerhand. Und obwohl heute rund 60 Prozent der Medizinabsolvierenden an der UZH weiblich sind, liegt die Quote an Chefärztinnen bei unter 20 Prozent. «Das wird sich nicht einfach von selbst ändern, dafür muss man etwas tun», ist Lerchenmüller überzeugt. Wie sie selbst und Beck Schimmer es schafften, die «gläserne Decke» zu durchstossen, können Sie in der Aufzeichnung des «Talk im Turm» nachhören.