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Gendermedizin

Migräneattacken und Schlaganfälle

Das Geschlechtshormon Östrogen schützt Frauen vor Migräne und Schlaganfällen. Dennoch erleiden mehr Frauen als Männer einen Hirnschlag. Das hat auch mit der höheren Lebenserwartung zu tun, sagt Neurologin Susanne Wegener.
Roger Nickl
Eine Migräne kann durch Stress ausgelöst werden, ein Phänomen, das sich häufiger bei Frauen zeigt. (Bild: Cornelia Gann)
Eine Migräne kann durch Stress ausgelöst werden, ein Phänomen, das sich häufiger bei Frauen zeigt. (Bild: Cornelia Gann)

Das Gesicht der Migräne ist weiblich. Diesen Eindruck erhält man, wenn man sich durch Medizin-Websites und solche von Selbsthilfeorganisationen klickt. Frauen, die sich schmerzverzerrt an die Schläfe fassen, sind dort omnipräsent. Von Männern dagegen kaum eine Spur. Tatsächlich gilt Migräne als typische Frauenkrankheit – laut Statistik leiden Frauen zwei- bis dreimal öfter daran als Männer. Und das Leiden geniesst einen zweifelhaften Ruf. Der Schriftsteller Erich Kästner beschrieb es 1935 in seinem Roman «Pünktchen und Anton» so: «Nach dem Mittagessen kriegte Frau Direktor Pogge Migräne. Migräne sind Kopfschmerzen, auch wenn man keine hat.» 

Das Image, eine eingebildete Krankheit zu sein, haftet der Migräne bis heute an. «Sie ist immer noch sehr stigmatisiert», sagt Neurologin Susanne Wegener, «jede und jeder, der davon betroffen ist, weiss, dass das wirklich ungerecht ist.» Denn die starken Kopfschmerzen, die von Übelkeit, Müdigkeit und anderen Symptomen begleitet sein können, sind äusserst belastend. «Das ist eindeutig eine körperliche Erkrankung, die real ist und sich klar diagnostizieren lässt», sagt Wegener. 

Auch eine Männerkrankheit

Mit den belastenden Symptomen kämpfen aber längst nicht nur Frauen. Denn Migräne ist durchaus auch eine Männerkrankheit – nur reden Männer weniger darüber und sie holen sich, ähnlich wie bei einer Depression, viel seltener ärztliche Hilfe als Frauen. Etwa von Susanne Wegener. Die UZH-Professorin erforscht die Ursachen und die Behandlung von Kopfweh, Migräne und Schlaganfällen und sie betreut Patientinnen und Patienten am Zürcher Universitätsspital. Geschlechtsspezifische Aspekte spielen in ihrer wissenschaftlichen und klinischen Arbeit eine wichtige Rolle. Die Biologie des Körpers und geschlechtsspezifische soziale Faktoren sind dabei eng miteinander verknüpft. Punkto Biologie weiss man heute beispielsweise, dass das Sexualhormon Östrogen Frauen vor Migräneattacken schützt. Dasselbe gilt vermutlich auch für Testosteron bei Männern. Hormonschwankungen, insbesondere das Absinken des Hormonspiegels, wie es beim weiblichen Zyklus der Fall ist, machen dagegen anfälliger für eine Migräne. Deshalb sind Frauen während der Periode besonders gefährdet. «Darum ist es gut zu wissen, dass man mit bestimmten Verhütungsmitteln, die den Hormonspiegel konstant halten, Symptome mildern und den Ausbruch von Attacken verringern kann», sagt Susanne Wegener. 

Migränefreundliche Arbeitsplätze

Ein anderer häufiger Auslöser für Migräneanfälle ist eher sozial bedingt – Stress. Ein belastendes Phänomen, dass sich in der Gesellschaft immer weiter verbreitet. «Frauen scheinen empfindlicher darauf zu reagieren, weil der Symphatikus, also das Stressnervensystem, bei ihnen schneller anspringt als bei Männern», sagt die Neurologin. Um den Stress zu reduzieren, und damit die Anfälligkeit für Krankheiten wie Migräne, müsse mehr für die Prävention getan werden, ist sie überzeugt. Davon können Frauen genauso wie Männer profitieren.

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Frauen scheinen empfindlicher auf Stress zu reagieren, weil der Sympathikus bei ihnen schneller anspringt als bei Männern.

Susanne Wegener
Neurologin

Aus diesem Grund hat Wegener gemeinsam mit der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft ein Konzept für eine migränefreundliche Arbeitsumgebung entwickelt – den «migraine friendly workspace». «Wenn in einem Betrieb Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass Menschen mit Migräne sich zurückziehen können und die Kolleg:innen die Situation verstehen, wird damit ihre Zufriedenheit erhöht und die Krankheitsausfälle vermindert», sagt Susanne Wegener. Davon profitieren können nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Arbeitgeber.

Mehr Hirnschläge bei älteren Frauen

Neben Kopfschmerzen sind Schlaganfälle ein weiteres Spezialgebiet der Neurologin. Insgesamt sterben mehr Frauen als Männer an den Folgen einer solchen plötzlichen Durchblutungsstörungen des Gehirns. Von einem Hirnschlag betroffen sind vor allem ältere Frauen, denn auch hier haben wie bei der Migräne die Östrogene in jüngeren Jahren einen schützenden Effekt. Da Frauen in der Schweiz im Durchschnitt vier Jahre älter werden als Männer und mit zunehmendem Alter das Risiko für einen Schlaganfall steigt, sind Frauen über 75 viel häufiger davon betroffen. Das heisst, die höhere Lebenserwartung ist ein Grund dafür, weshalb mehr Frauen als Männer der Schlag trifft. 

Es gibt aber nicht nur mehr Schlaganfall-Patientinnen, Frauen erholen sich nach einem Hirnschlag oft weniger gut wie Männer. Und dies, obwohl beide Geschlechter von der Akutbehandlung im Spital gleichermassen profitieren, wie Susanne Wegener in einer Studie belegen konnte. «Auch diese geschlechtsspezifischen Unterschiede haben wahrscheinlich mit dem Alter zu tun», sagt die Forscherin. Denn ältere Frauen leben öfter allein, weil der Mann bereits gestorben ist. Entsprechend erfahren sie weniger Unterstützung, wenn sie nach einem Hirnschlag aus der Klinik entlassen werden. Beispielsweise wenn sie zur weiteren Rehabilitation in die Physiotherapie gehen sollten. Weil niemand sie dorthin begleitet, bleiben sie oft zu Hause, statt in die Therapie zu gehen. Das wirkt sich negativ auf den Gesundungsprozess aus.

Entsprechend erholen sie sich weit schlechter und sind ein Jahr nach dem Schlaganfall im Durchschnitt weniger fit als Männer. «Wir haben immer mehr Kenntnis über geschlechtsspezifische Risikofaktoren und biologische Unterschiede bei Schlaganfällen», sagt Susanne Wegener, «im Gegensatz dazu wissen wir noch relativ wenig über die sozialen Faktoren, die den Krankheitsverlauf und die Genesung beeinflussen.» Diese Wissenslücken zu schliessen und neue Erkenntnisse zum Thema zu gewinnen, ist das Ziel des Ende letzten Jahres lancierten Nationalen Forschungsprogramms 83 «Gendermedizin und -gesundheit», zu dessen Leitungsgremium Susanne Wegener gehört.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers zur Gendermedizin aus dem UZH Magazin 1/24.

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