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Als Mark Zuckerberg mit seinen Kumpanen 2004 die Firma Facebook gründete, beendete Adrian Künzler gerade sein Jus-Studium an der Universität Zürich. 20 Jahre später ist der Jurist Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht und das soziale Netzwerk der ersten Stunde hat sich in Meta Platform umbenannt. Mit der Namensänderung drückt Zuckerberg aus, dass er mit seinem Netzwerk einen grossen Anteil am wachsenden Kuchen des Metaverse beansprucht, also der virtuellen Welt, in der sich Menschen zum Spielen und Shoppen aber auch für die Arbeit und (Weiter)-Bildung treffen. (Siehe Kasten Metaverse)
Während Meta alias Facebook an Virtual-Reality-Headsets tüftelt, beschäftigt sich Künzler mit juristischen Fragen rund um die neuen Technologien im Internet und rückt die Interessen der Nutzer:innen in den Vordergrund. Auf seine Expertise aufmerksam wurden auch die Verantwortlichen des World Economic Forum (WEF) und holten Künzler vor einem Jahr in das renommierte WEF Global Future Council – das Gehirn des WEF. In diesem hochkarätigen Gremium brüten rund 600 führende Wissenschaftler:innen der Welt über die grossen Fragen der Zeit. Aufgeteilt in 30 verschiedene Councils beschäftigen sich die Fachleute mit aktuellen Themen wie die Künstliche Intelligenz, Umwelt- und Energiefragen, Finanzsysteme oder Quantencomputing und Philanthropie und bereiten die Diskussionen und Gespräche am WEF in Davos inhaltlich vor.
Adrian Künzler wurde in das Council «Future of the Metaverse» berufen. Dies darf als Würdigung seiner akademischen Arbeit verstanden werden und ist eine grosse Ehre, die ihn natürlich freue: «Zusammen mit führenden Forscher:innen aus der ganzen Welt an der Lösung drängender Herausforderungen zu arbeiten, ist sehr bereichernd», sagt der Wissenschaftler. In der Sache sind die juristischen Fragen rund um das Internet und das Metaverse einigermassen komplex. Es geht um Privatsphäre, Datenschutz und geistiges Eigentum – also die Wahrung von Grundrechten in einem länderübergreifenden virtuellen Raum, der sich aufgrund technologischer Entwicklungen gerade rasant entwickelt.
Wer sich im Metaverse bewegt, sollte immer wissen und entscheiden können, welche Daten er von sich preisgibt und welche nicht.
Man müsse sehen, so Künzler, dass das Internet und seine Erweiterungen im Metaverse das geltende Verständnis von Privatsphäre und öffentlicher Sphäre auf den Kopf gestellt haben. «Gesetze zur Privatsphäre und zum Datenschutz basierten bisher auf der Annahme, dass wir zwischen einer privaten und einer öffentlichen Rolle wählen können.» Doch im Internet und Metaverse vermischten sich diese Kategorien. Unsere Identitäten wechseln zwischen physischer und virtueller Welt.
So zum Beispiel, wenn wir in einer virtuellen Umgebung eine digitale Identität annehmen und medizinische Daten preisgeben, um uns dann von einem realen Arzt im virtuellen Raum beraten zu lassen. Welche Rechte der Privatsphäre gelten dann wann und wo? Oder man denke an «Digitale Zwillinge», die in der Medizin zunehmend an Bedeutung gewinnen und als virtuelle Kopien für medizinische Eingriffe gedacht sind.
Stellt man sich das Metaverse als einen wachsenden virtuellen Raum vor, in dem wir uns zunehmend digital bewegen und Gigabytes an persönlichen Spuren durch unsere Aktivitäten hinterlassen, erhält man eine Ahnung von der juristischen Komplexität, Privatheit zu regeln. Zumal sich der virtuelle Raum laufend ausdehnt, sowohl in der Geschäftswelt wie im privaten Rahmen. Aktuell bauen grosse Software-Firmen beispielweise KI-Anwendungen in ihre Programme ein. Schleichend nehmen sie Besitz von unseren Online-Aktivitäten und vernetzen sie untereinander.
Diese Situation führt zu einem überraschenden Paradox: «Wir bewegen uns im virtuellen Raum in einer anonymen Öffentlichkeit, sind aber selbst weitgehend sichtbar», sagt der Jurist. Denn die Betreiber der Plattformen registrieren unsere Bewegungen. Um den privaten Bereich zurückzugewinnen, sollten im virtuellen Raum technische Sicherungen eingebaut werden, welche die Privatsphäre jederzeit gewährleisten. Und zwar auf Wunsch der Nutzer:in. «Wer sich im Metaverse bewegt, sollte immer wissen und entscheiden können, welche Daten er von sich preisgibt und welche nicht», schlägt Künzler vor.
Dieses Konzept könnte nach ähnlichen Kriterien wie biologische Sicherheitssysteme funktionieren, die nach Stufen gegliedert sind. Wenn ein:e Forscher:in zum Beispiel mit hoch infektiösen und gefährlichen Keimen wie dem HI-Virus arbeitet, müssen die höchsten Sicherheitsmassnahmen ergriffen werden, ist ein harmloser Keim im Spiel, genügen einfachere Massnahmen.
Im Fall des Metaverse würden Nutzer:innen dann je nach Umgebung die jeweilige Privatsphären-Stufe wählen, die den gewünschten Datenschutz sichert. Wobei für unterschiedliche Anwendungsbereiche unterschiedliche Standards gelten könnten. Wichtig sei, dass diese Systeme, wie immer sie funktionierten, auf eine nutzerfreundliche Art eingebaut werden und keine ausufernden AGBs (Allgmeine Geschäftsbedingungen) benötigten, die schon heute kaum jemand lese, sagt der Jurist.
Aus seiner Sicht und derjeniger vieler Expert:innen wird eine anwenderfreundliche Regulierung des Datenschutzes und der Privatsphäre über den Erfolg des Metaverse mitbestimmen. Die Lösung dieser Fragen lieg also auch im Interesse der Plattformen, die schwindelerregende Businesszahlen verkünden.
Aktuell wird der Umsatz im Metaverse auf rund 15 Milliarden Dollar veranschlagt, mit den Haupttreibern Spiele, E-Commerce und Werbung. Bis 2030 rechnen Analysten mit einer Vervielfachung auf mehrere Hundert Milliarden Dollar. Meta ist mit seinen Spiel- und Kommerz-Plattformen einer der wichtigsten Player in dem Feld. Für das WEF Global Council stehen dagegen vor allem die künftigen wirtschaftlichen Anwendungen im Bereich der Industrie, Medizin oder Forschung im Zentrum.
Ob es gelingt, die Tech-Riesen zu einem nutzerfreundlichen Datenschutz zu bewegen, wird wohl vom Druck abhängen, den die Behörden aufsetzen können. Adrian Künzler setzt sich auf alle Fälle dafür ein, dass die Konsument:innen die Datenhoheit zurückgewinnen. Ob im WEF Council oder seiner Forschung. Denn was ihn letztlich treibt, ist die Frage, inwieweit Regulierungen verhindern können, dass sich die Gesellschaft neuen Technologien stillschweigend anpassen muss. «Gesetze sollten dazu beitragen, die Handlungsmöglichkeiten der Menschen mit neuen Technologien zu unterstützen und zu erweitern», sagt Künzler.