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Klack, klack. Mit energischen Schritten erscheint eine kleine, vife Frau im Foyer des DSI-Gebäudes. Das asiatisch geschnittene Kleid flattert ein wenig. Ning Wang ist Ethikerin und Politikwissenschaftlerin an der Digital Society Initative (DSI) der Universität Zürich. Dort forscht sie in diversen Projekten, in denen es um einen ethisch und sozial verantwortungsvollen Umgang mit neuen Technologien geht. Ihr Forschungsschwerpunkt: Robotik, autonome Systeme, künstliche Intelligenz – schon male ich mir das Zuhause der Forscherin in den kühnsten Science-Future-Visionen aus.
Doch Wang winkt ab. Privat ist sie nicht so technikaffin. Ihr Engagement zielt schliesslich auf die ethischen Aspekte von Hightech-Entwicklungen. Und dafür legt sie sich mächtig ins Zeug. Würde man ein Wort für Wangs Arbeits- und Lebensmotto nennen wollen, es wäre «bridging». Ning Wang ist eine wahre Künstlerin des Brückenschlagens. Sie will vermitteln zwischen Forschung und Gesellschaft, Wissenschaft und Industrie, NGOs und Regierungsorganisationen. Gerade ist sie vom World Economic Forum zum neuen Mitglied des «Global Future Council on the Future of Technology Policy» erkoren worden. In diesem interdisziplinären Netzwerk werden die grossen Zukunftsfragen diskutiert. Und tatsächlich ist der Diskussionsbedarf dringend angesichts der rasanten Entwicklung technischer Innovationen: Schon helfen selbstgesteuerte Roboter im Pflegeheim aus, schreibt die KI Texte, fliegen SOS-Drohnen über Krisengebiete.
Bei der Frage, ob ethische Anliegen bei den profitorientierten WEF-Mitgliedern überhaupt gehört werden, ist Ning Wang zuversichtlich. Die Stakeholder hätten unterdessen begriffen, dass Innovationen nicht nur rentabel, sondern auch verantwortungsvoll vorangebracht werden müssen, erklärt die Ethikerin. Jetzt gehe es um das Wie. «Die Frage ist, wie können gewinnbringende Ziele erreicht werden, ohne gegen ethische und soziale Werte zu verstossen, und wie können Innovationen verantwortungsvoll gefördert werden», sagt sie. Da sei die Expertise der Forschung gefragt. «Ethische Werte müssen schon bei der Entwicklung von Innovationen mitgedacht werden. Das muss auf globaler Ebene, beispielsweise über das WEF, vermittelt werden», sagt Wang.
Sie streicht das dunkle Haar aus dem Gesicht und denkt nach. Dass Industrie, Regierung und Wissenschaft verschiedene Sprachen sprechen, sei ihr früh aufgefallen. Man verstehe sich nicht, dabei wäre der Austausch so wichtig. Sie selber kennt beide Seiten, hat die Akademikerin doch vor und zwischen ihrer Forschungstätigkeit bereits bei Startups, in der Privatindustrie sowie bei Hilfsorganisationen gearbeitet.
Nein, Wang lehnt sich nicht im Sessel zurück. «So gerne ich auch über theoretische Konzepte nachdenke, ich bin keine Sessel-Gelehrte, sondern mache angewandte Ethik», sagt sie. Sie schaut mich mit wachen Augen an und hebt die Hände. «Ich frage mich immer, was ist der nächste Schritt? Wie kann man wissenschaftliche Erkenntnisse umsetzen?» Das sei eine grosse Herausforderung.
Ning Wang ist in den 1990er-Jahren in Peking aufgewachsen. Dort hat sie auch International Affairs studiert. Sie plante, ihr Studium im Ausland fortzusetzen, doch dann machte ihr SARS einen Strich durch die Rechnung. Die junge Studentin musste sich umorientieren und so lancierte sie in Peking ein eigenes, bald erfolgreiches Startup, wo sie mit Expats und Diplomaten arbeitete und neben Sprach- und Kulturkursen Unternehmensberatung anbot. Doch nach einem Unfall entschied sie sich, ihren Traum zu verwirklichen: Sie machte sich auf nach Europa, wo sie in Schweden und Norwegen einen Master in Applied Ethics und einen in Politikwissenschaft machte. Wang lacht verschmitzt: «Ich bin das schwarze Schaf der Familie.» Ihren Eltern scheint es unbegreiflich, dass ihre umtriebige Tochter, sobald sie etwas erreicht hat, gleich wieder eine neue Sache anpackt.
Wenn Ning Wang zuhause zu Besuch ist, kommt sie sich zuweilen vor wie eine Fremde im eigenen Land. China entwickle sich rasant, viel schneller als Europa. Sie verstehe kaum, was vor sich geht. «In Bezug auf Verantwortlichkeit sehe ich China in hoffnungsvollem Licht», sagt die Politikwissenschaftlerin. «In Sachen Technologie und Innovation ist das Land ein starker Player, da will es auch bei der Verantwortlichkeit nicht hintanstehen.»
Eigentlich hatte Ning Wang nur für kurze Zeit in der Schweiz bleiben wollen. Doch nachdem sie in Norwegen den Grant für den PhD knapp verpasst hatte, nahm sie in Genf einen Auftrag bei der WHO an, wo sie die Entwicklung von ethischen Richtlinien für den Umgang mit Tuberkulosenkranken unterstützte. So lernte sie die UN-Organisationen von innen kennen und schärfte ihren Blick fürs globale Denken.
Nach einem Abstecher in die Privatwirtschaft, wo sie sich mit wirtschaftsethischen Fragen beschäftigte, jedoch bald merkte, dass ihr das profitorientierte Denken nicht lag, kehrte sie wieder in den Hilfssektor zurück. Es war die Zeit, in der ethisches Denken in der Wirtschaft salonfähig wurde. Kunden verlangten mehr und mehr Konsumgüter, die verantwortlich produziert werden. Damit schlug gewissermassen Ning Wangs Stunde. Endlich fanden geschäftsethische Konzepte einen Resonanzraum in der realen Welt.
Streng und rational erzogen in China und durch das viele Arbeiten mehr im Kopf als im Körper zuhause, machte mich das Tanzen plötzlich viel weicher und durchlässiger.
Nach dieser intensiven Phase brauchte Ning Wang eine Auszeit. Diesmal verschlug es sie auf einen anderen Kontinent. In Argentinien entdeckte die Technologie-Spezialistin den Tango, der zu ihrer Passion wurde. Wang spricht begeistert vom Tanzen. «Das war für mich eine neue Erfahrung – streng und rational erzogen in China und durch das viele Arbeiten mehr im Kopf als im Körper zuhause, machte mich das Tanzen plötzlich viel weicher und durchlässiger.» Das war der Brückenschlag zwischen Kopf und Körper, body and soul. Seither versucht sie Tango zu tanzen, wenn immer sie Zeit dazu findet.
An der UZH, wo sie am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte den PhD gemacht hat, nenne man sie die «Drohnen-Lady», erzählt Ning Wang und lacht. Dabei sei sie doch die «Ethik-Lady». Wang beschäftigt sich mit den ethischen Faktoren des Einsatzes von Drohnen in Krisengebieten.
Doch wie kommt überhaupt diese Verbindung zwischen Hightech und Hilfssektor zustande? «Humanitäre Organisationen arbeiten oft mit Tech-Firmen zusammen», erklärt die Forscherin. Der Bedarf an ausgeklügelten Technologien ist gross, etwa wenn es zu Einsätzen in zuweilen topografisch oder logistisch komplexen Krisengebieten kommt. «Drohnen werden seit längerem im Hilfssektor eingesetzt, doch gibt es dazu meist nur vage Regelungen», sagt die Ethikerin. In einer Fallstudie in Nepal hat sie den Einsatz von Drohnen nach dem Erdbeben von 2015 untersucht, die dort zur Kartografierung des Geländes gebraucht wurden. «Neben den Vorteilen, die die Technologie bringt, birgt sie auch potenzielle Risiken», erklärt sie. Beispielsweise ist der gleichberechtigte Zugang nicht sichergestellt oder die Datensicherheit ist nicht geklärt und es gibt keinen Schutz vor einer potenziell missbräuchlichen Verwendung der Technologie. Dieser und ein weiterer Fall in Malawi, wo Drohnen zum Transport von Medikamenten zwischen Insel und Festland gebraucht wurden, dienten Wang als Grundlage, um einen ethischen Rahmen für den humanitären Einsatz von Drohnen zu entwickeln.
Zurzeit reist Wang wieder regelmässig nach Genf. Dort trifft sie sich mit Vertretern verschiedener humanitärer Organisationen. Sie entwickelt ein Ethik-Bewertungsinstrument für den humanitären Einsatz von Drohnen, das im Feld eingesetzt werden soll. In Kollaboration mit NGOs und Hilfsorganisationen entsteht ein Frage-Tool. Dabei geht es um Fragen wie und ob der Drohneneinsatz mit humanitären Prinzipien übereinstimmt, wer dafür verantwortlich und ob der Einsatz legal ist. Ziel sei, ein Instrument zu entwickeln, das eine Beurteilung in einem festgelegten ethischen Rahmen ermöglicht, erklärt Ning Wang. «In diesem Fall ist die Forschung in der Praxis angekommen», strahlt die praktische Ethikerin.
Und wenn Tangotanzen gerade nicht möglich ist, wie hält sich die Ethik-Lady in Balance? Mit Yoga!, sagt die engagierte Forscherin mit leuchtenden Augen. Ihre Asanas macht sie täglich. Die Brücke zum Beispiel.
Dieses Porträt erschien zuerst im UZH Magazin 2/2023