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«Das wird die schönste Zeit deines Lebens.» Diesen Satz hören schwangere Frauen immer wieder. Wer ein Kind erwartet, sollte demnach überglücklich sein. Das ist aber nicht immer der Fall. Für 10 bis 20 Prozent der Frauen ist die Schwangerschaft eine psychische Herausforderung: Hormonelle und körperliche Veränderungen, die eigene Lebensgeschichte, soziale oder finanzielle Probleme können Depressionen und Ängste auslösen. Bleibt die Erkrankung unbehandelt, belastet sie nicht nur die Mutter, sie kann sich auch negativ auf die Geburt und das Kind auswirken.
Studien zeigen, dass rund die Hälfte der Kinder von Müttern mit Depressionen ein höheres Risiko haben, selbst psychische Probleme zu entwickeln. Welche biologischen Mechanismen dahinterstecken und wie Mutter und Kind sicher behandelt werden können, untersucht das Horizon-Europe-Projekt «HappyMums». Am Grossprojekt unter der Leitung der Universität Mailand nehmen 17 Universitäten und Organisationen teil – darunter auch die Forschungsgruppen des Phamakologen Urs Meyer und der Pharmakologin Juliet Richetto sowie die Gruppe der Neuro-Epigenetikerin Isabel Mansuy von der UZH.
Die Gründe, weshalb Betroffene oft nicht behandelt werden, sind unterschiedlich: Einerseits hemmt das Klischee des seligen Mutterglücks viele Schwangere, über ihre psychischen Probleme zu sprechen. Andererseits ist es auch für Ärzt:innen schwierig, in dieser Zeit eine Depression zu diagnostizieren, da Symptome wie Stimmungsschwankungen und Müdigkeit übliche Anzeichen einer Schwangerschaft sind. Doch selbst wenn die Frau nachweislich an einer Depression leidet, sind ihre Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. «Zu den meisten Medikamenten fehlen Studien darüber, wie sich diese auf den Fötus auswirken», sagt UZH-Pharmakologin Richetto.
Entsprechend wenig lässt sich auch über den Einsatz von Antidepressiva sagen: Klar ist, dass die Wirkstoffe den Fötus in geringen Mengen erreichen. Doch die Studienergebnisse über deren Auswirkungen auf das Baby sind widersprüchlich: Einige Studien berichten von schädlichen Effekten, während andere keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Babys feststellen konnten.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch die mütterlichen Depressionen selbst den Nachwuchs beeinträchtigen können, sodass die Forschenden ihre Beobachtungen nicht klaren Ursachen zuweisen können. «Wir wissen noch nicht genug, um Frauen umfassend über die Konsequenzen einer Behandlung zu informieren», sagt Richetto. Das soll sich dank «HappyMums» ändern. Bevor die Forschenden jedoch dazu übergehen können, neue Therapien zu entwickeln, müssen sie zuerst die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen besser verstehen: Wie überträgt sich die depressive Veranlagung der Mutter auf das Kind? Und weshalb sind einige Kinder resilient und entwickeln sich trotz mütterlicher Depression ungestört? Im Fokus der Forschenden steht unter anderem die Plazenta, die das Baby im Bauch der Mutter versorgt, nährt und schützt. Doch auch Veränderungen der DNA, des Milieus in der Gebärmutter oder des Gehirns sowie Stresshormone könnten dafür mitverantwortlich sein, dass sich psychische Auffälligkeiten übertragen. «Damit wir diese komplexen Zusammenhänge aufdröseln können, kombinieren wir eine Vielzahl von Daten aus der klinischen und präklinischen Forschung», erklärt Richetto.
«HappyMums» begleitet tausend Mütter und ihre Kinder während und nach der Schwangerschaft. Dabei erheben die Forschenden einerseits Daten zu den Lebensumständen der Mutter sowie ihrer Krankheitsgeschichte. Andererseits messen sie regelmässig die Entzündungswerte und Hormonzusammensetzung im mütterlichen Blut. Nach der Geburt analysieren die Kliniker:innen das Blut des Babys und entnehmen Proben von Nabelschnur, Fruchtwasser und Plazenta. Anhand dieser Proben können die Forschenden das Genom sowie dessen epigenetische Veränderungen untersuchen. Zusätzliche MRI-Aufnahmen geben Aufschluss über die Hirnaktivität von Mutter und Baby.
Die so gewonnenen Daten liefern auch Hinweise auf biologische Merkmale – zum Beispiel Blutwerte –, die mit einer Depression oder einer möglichen Resilienz korrelieren. Kennt man solche Biomarker, wäre es für Ärzt:innen in Zukunft einfacher, Frauen mit hohem Risiko für eine psychische Erkrankung zu identifizieren oder eine Depression zu diagnostizieren.
Die beiden UZH-Forschungsgruppen unter Pharmakologe Urs Meyer und Neuro-Epigenetikerin Isabelle Mansuy wurden aufgrund ihrer Expertise in der präklinischen Forschung mit Mäusen ins Boot geholt. «Gewisse biologische Zusammenhänge lassen sich nur mit Tierversuchen überprüfen, da wir dort zu einem bestimmten Grad intervenieren dürfen», erklärt Richetto, die das Mausexperiment der Meyer-Gruppe an der UZH betreut. Obwohl sich die Schwangerschaft von Mäusen und von Menschen unterscheidet, können die Forschenden molekulare Schlüsselelemente daraus ableiten: Taucht beispielsweise ein Protein in einem zentralen Prozess immer wieder auf, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es auch beim Menschen eine wichtige Rolle spielt, und es wird anschliessend bei den menschlichen Studienteilnehmerinnen und ihrem Nachwuchs überprüft. «Die Tiermodelle dienen nicht nur zur Prüfung von Ursache und Wirkung, sondern sind zugleich richtungsweisend für die weitere Forschung – es ist ein Pingpong zwischen klinischer und präklinischer Forschung», sagt Richetto.
Zu den meisten Medikamenten fehlen Studien darüber, wie sich diese auf den Fötus auswirken.
Dies gilt auch, wenn es darum geht, Hinweise auf erfolgversprechende Therapien zu finden. Dazu testen und vergleichen die Forschenden eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva und eine nichtmedikamentöse Therapie bei Menschen und Mäusen. So erhält eine Gruppe von Müttern in Finnland entweder die eine oder die andere Behandlung. Die Studienteilnehmerinnen, denen eine nichtmedikamentöse Behandlung zugewiesen wird, besuchen eine niederschwellige Online-Therapie, in der sie ihre aktuellen Probleme konkret anpacken können.
Im Tierversuch ersetzen die Forschenden diese kognitive Verhaltenstherapie mit einer Aufgabe, bei der die Mäuse – positiv verstärkt durch Nahrung – ein zuvor erlerntes Verhalten umlernen müssen. Die Teilstudie soll Aufschluss darüber geben, welche Vor- und Nachteile Antidepressiva und nichtmedikamentöse Therapien mit sich bringen. Und sie soll klären, welche Behandlung Mutter und Kind die beste Gesundheit gewährt.
Damit psychisch herausgeforderte Mütter in Zukunft möglichst rasch gute Unterstützung erhalten, wird zudem eine App für Schwangere entwickelt. Damit können sie medizinische Daten und Veränderungen ihrer psychischen Verfassung festhalten. Über eine gesonderte Benutzeroberfläche erhalten die behandelnden Ärzt:innen Zugang zu den freigegebenen Daten. Dadurch könnten sie früh eingreifen, wenn sich eine Depression anbahnt, und mitverfolgen, wie die Therapie wirkt.
Mit den Studienresultaten, die «HappyMums» bis 2026 erarbeitet, erhoffen sich die Forschenden, die psychische Gesundheit von Müttern und Kindern dauerhaft zu verbessern – sei es durch das vertiefte Verständnis der biologischen Abläufe, sichere Behandlungen bei Depressionen in der Schwangerschaft oder die erhöhte Sichtbarkeit der Problematik.