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Genetische Vielfalt

Vererbte Anpassung

Genetische Vielfalt ermöglicht Pflanzen, sich anzupassen. Der Pflanzengenetiker Ueli Grossniklaus erforscht die epigenetische Vererbung von Eigenschaften und eröffnet damit neue Perspektiven für die Züchtung von Kulturpflanzen.
Roger Nickl
Ueli Grossniklaus sucht nach neuen Wegen, wie schneller ertragreichere und flexiblere Nutzpflanzen für die Landwirtschaft entwickelt und für die positiven Effekte der Biodiversität genutzt werden können. (Bild: Meinrad Schade)

Vielfalt ist in der Natur Trumpf. Wiesen, Wälder und Felder, in denen ganz unterschiedliche Pflanzenarten wachsen und zusammenleben, sind ertragreicher und robuster als Monokulturen, die nur aus einer Art bestehen. Solche biodiversen Pflanzenkulturen sind nicht nur produktiver und widerstandsfähiger, sie sind auch robuster gegenüber Umweltveränderungen. Dies zeigte unter anderem die langjährige Forschung des mittlerweile emeritierten Umweltwissenschaftlers Bernhard Schmid an der UZH eindrücklich.

Diversität spielt auch in der Genetik eine wichtige Rolle: Pflanzenpopulationen, die über einen vielfältigen Genpool verfügen, können sich relativ gut an eine neue Umgebung anpassen und sind widerstandsfähiger gegenüber Veränderungen ihrer Umwelt. Für viele Nutzpflanzen, die heute weltweit angebaut werden, trifft dies allerdings nicht zu. Reis-, Mais- oder Weizensorten wurden im Züchtungsverfahren derart an lokale Bedingungen angepasst, dass sie möglichst ertragreich sind. Dadurch wurde ihre genetische Diversität immer enger. «Durch die Züchtungen ist ein genetischer Flaschenhals entstanden», sagt Ueli Grossniklaus. Der Pflanzengenetiker macht ein Beispiel: «Maissorten, die in den USA, Italien oder der Schweiz heute angebaut werden, sind ganz unterschiedlich: Sie wurden an die klimatischen Bedingungen vor Ort angepasst und sind deshalb relativ unflexibel gegenüber grossen klimatischen Veränderungen.» Ändern sich die Umweltbedingungen schnell, haben diese Pflanzensorten wenig Potenzial, darauf zu reagieren. Hinzu kommt, dass das Züchten von neuen, angepassten Sorten aufwändig ist und sehr viel Zeit erfordert. 

Deshalb sucht Ueli Grossniklaus nach neuen Wegen, wie schneller ertragreichere und flexiblere Nutzpflanzen für die Landwirtschaft von morgen entwickelt und gleichzeitig die positiven Effekte der Biodiversität genutzt werden können. Anders gesagt: Der Pflanzengenetiker und Co-Direktor des Universitären Forschungsschwerpunkts «Evolution in Action» an der UZH versucht den genetischen Flaschenhals wieder zu öffnen und so für mehr produktive Vielfalt auf dem Acker zu sorgen. Angesichts der stetig wachsenden Weltbevölkerung und des Klimawandels ist das dringend nötig.

Genetischer Flaschenhals

Grossniklaus und sein Team sind nicht die Einzigen, die auf diesem Gebiet forschen. Weltweit erproben auch andere Forschungsgruppen, zum Beispiel am Bundeskompetenzzentrum Agroscope, wie Diversitätseffekte für die Landwirtschaft fruchtbar gemacht werden können. Etwa indem sie verschiedene Kultursorten – zum Beispiel Weizen – gemischt auf einem Feld anbauen. Allerdings haben solche Mischkulturen ihre Tücken. «Ein Feld sollte möglichst homogen sein, um es mit modernen Methoden zu bewirtschaften», sagt Grossniklaus, «das heisst, Pflanzen müssen beispielsweise gleichzeitig blühen und die Samen zusammen ausreifen.» Diesen Gleichtakt zwischen verschiedenen Pflanzensorten herzustellen, damit sie zur selben Zeit geerntet werden können, ist nicht einfach. Doch es gibt erste Erfolge. 

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Anpassungsleistungen wie die frühe Blütezeit einer Pflanzensorte können über mehrere Generationen weitervererbt werden.

Ueli Grossniklaus
Pflanzengenetiker

Grossniklaus verfolgt einen anderen Ansatz: Er versucht die Vielfalt innerhalb einer einzigen Pflanzenart zu fördern und so Diversitätseffekte, das heisst einen grösseren Ertrag und flexiblere, anpassungsfähigere Pflanzenkulturen zu erreichen. Ein Schlüssel dazu ist die Epigenetik. Bei Pflanzen, aber zum Teil auch bei Menschen und Tieren, ist sie eine Art Bindeglied zwischen der Genetik und der Umwelt. Während in den Genen Eigenschaften von Lebewesen festgeschrieben sind, reguliert die Epigenetik, ob diese Gene aktiviert werden oder eben nicht. Mittlerweise kennt die Wissenschaft verschiedene epigenetische Funktionsweisen. Eine der am besten studierten ist die Methylierung, bei der aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen bestehende Methylgruppen an bestimmten Basen des DNA-Strangs angefügt werden und so zum Beispiel Gene stillgelegt werden können.

Epigenetische Eigenschaften vererben

Beeinflusst werden solche epigenetischen Prozesse von der Umwelt: So hat die Forschung mit eineiigen menschlichen Zwillingen, die also genetisch identisch sind, gezeigt, dass sich ihr Epigenom mit zunehmendem Alter deutlich unterscheidet – abhängig von ihren Gewohnheiten und Lebensumständen. Bei Pflanzen können gewisse epigenetische Veränderungen den exakt gleichen Effekt haben wie eine genetische Mutation – zum Beispiel, dass sie später blühen. 

«Epigenetische Veränderungen entstehen allerdings wesentlich schneller und kommen häufiger vor als Mutationen», erklärt Grossniklaus. Das haben Experimente mit der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, ergeben. «Während sich Mutter- und Tochterpflanzen jeweils nur durch eine einzige genetische Mutation unterscheiden, gibt es gleichzeitig Tausende epigenetische Veränderungen», sagt der Pflanzengenetiker, «diese entstehen sehr rasch und sehr häufig.» Für die Forschenden stellte sich deshalb die Frage, ob sie diese Tatsache für die Zucht nutzen können, um innerhalb einer Sorte für mehr Diversität zu sorgen und die Pflanzen anpassungsfähiger zu machen.

Dass dies grundsätzlich möglich ist, konnten Grossniklaus und sein Team in eindrücklichen Laborversuchen mit der Ackerschmalwand zeigen. Die Wissenschaftler:innen konnten belegen, dass epigenetische Eigenschaften – etwa Anpassungsleistungen wie die frühe Blütezeit einer Pflanzensorte – gezielt selektioniert und über mehrere Generationen weitervererbt werden können. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Epigenetik grundsätzlich für die Pflanzenzucht genutzt werden könnte.

Pflanzen stressen

Ebenfalls zeigen konnten die Pflanzenforschenden, dass epigenetische Hybridpflanzen, die also von zwei Eltern mit unterschiedlichem Epigenom abstammen, ertragreicher sind – also etwa mehr Samen produzieren – als die Elternpflanzen. Diesen sogenannten Heterosis-Effekt kennt man bereits aus der traditionellen Pflanzenzucht. Die Forschung der UZH-Pflanzengenetiker zeigt nun, dass er auch auf der epigenetischen Ebene wirkt.

Epigenetische Veränderungen entstehen wesentlich schneller und kommen häufiger vor als Mutationen.

Ueli Grossniklaus
Pflanzengenetiker

«Die Epigenetik erweitert unser Verständnis von Biodiversität massiv», sagt Ueli Grossniklaus. Künftig könnte man beispielsweise genetisch identische Pflanzen mischen, die in unterschiedlichen Umgebungen aufgewachsen sind und entsprechend verschiedene Epigenome aufweisen, meint der Forscher. Das würde für mehr Vielfalt auf dem Feld sorgen – und dies, obwohl die angebauten Pflanzen genetisch praktisch identisch sind. Möglich wäre aber auch, das Epigenom gezielt zu manipulieren – indem Pflanzen etwa mit Chemikalien behandelt oder durch Hitze oder salzhaltige Erde gestresst werden. «Letzteres wurde in einer Studie schon gemacht», sagt Grossniklaus, «es zeigte sich, dass fast anderthalbmal so viele epigenetische Veränderungen auftraten.» 

Auch hier wird also das epigenetische Potenzial, schnell auf Umweltveränderungen zu reagieren, deutlich. Gelingt es, dieses Potenzial künftig gezielt zu nutzen, könnte das die Pflanzenzucht beschleunigen und die Produktivität auf dem Acker steigern. Ob und wann dies zur Realität wird, ist momentan allerdings noch offen. Ueli Grossniklaus’ Studien sind zurzeit noch Grundlagenforschung. Doch daraus sind schon viele bahnbrechende Ideen entstanden. 

Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen UZH Magazin «Kostbare Vielfalt»

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