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Als die ehemalige Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversität Christiane Löwe 1989 aus Deutschland nach Zürich zog, um als Chemikerin an der Forschungsanstalt Empa zu arbeiten, wunderte sie sich ziemlich über die hiesigen Verhältnisse: Gerade erst war Bundesrätin Elisabeth Kopp zum Rücktritt gezwungen worden, weil ihr Amtsgeheimnisverletzung nachgesagt wurde – ein Vorwurf, die sich nicht erhärten liess und einen männlichen Bundesrat kaum das Amt gekostet hätte. Ein Jahr später musste der Kanton Appenzell Innerrhoden vom Bundesgericht gezwungen werden, seinen Bürgerinnen das Stimmrecht zu geben und sich endlich an die Bundesverfassung zu halten, in der die Gleichberechtigung seit 1981 verankert war. «Ich fand schrecklich, dass die Schweizer Politiker einfach schwiegen und niemand versucht hat, die Appenzeller zu bewegen, das freiwillig zu machen», sagt Löwe.
Diese Rückständigkeit zeigte sich auch an ihrem Studienort: Es gab keine einzige Professorin, und einmal wurde ihr völlig zusammenhangslos nahegelegt, dass sie doch auch als Mutter glücklich werden könne. «Ich fand es schade, dass wir kein weibliches Vorbild hatten», sagt Löwe. Sie setzte sich in der Folge für Gleichstellung ein, zunächst an der Empa und dann an der Universität Zürich.
Eine ähnliche Politisierung erlebte auch Autorin und Verlegerin Denise Schmid, die bis vor Kurzem die erste Präsidentin der Alumni-Organisation Zuniv gewesen war: Als sie 1989 ihr Geschichtsstudium in Zürich begann, gab es keine einzige Professorin am Historischen Seminar, nur ab und zu Gastdozentinnen. Ein Kolloquium der deutschen Historikerin Ute Frevert begeisterte damals Schmid und ihre Kommilitoninnen: «Das war eine tolle, kluge Frau! Und wir fragten uns, warum es denn bei uns keine Professorinnen gab.» Aus der Veranstaltung ging eine Gruppe von engagierten Studentinnen hervor. In einer Datenbank trugen sie Forschung zur Frauengeschichte zusammen, um sie zugänglicher zu machen, und sie gründeten die Zeitschrift für Geschlechterforschung «Rosa».
«1991 war ich das erste Mal in meinem Leben an einer Demo, am Frauenstreik!», erzählt Schmid. Das zunehmende feministische Bewusstsein an den Hochschulen war Teil einer breiteren Bewegung jener Jahre: Auch anderswo störten sich Frauen daran, wie wenig sich verändert hatte, seit 1971 die Schweizerinnen das Stimmrecht erhalten hatten. Am landesweiten Frauenstreik, der damals grössten politischen Kundgebung seit dem Landesstreik nach dem Ersten Weltkrieg forderten Hunderttausende Frauen, dass es endlich vorangehen solle mit der Gleichberechtigung. Und als zwei Jahre später die Bundesversammlung der von der SP für den Bundesrat vorgeschlagenen Christiane Brunner einen Mann vorzog, kam es nochmals zu grossen Protesten. Sie wirkten: Mit Ruth Dreifuss wurde doch noch eine Frau gewählt.
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Ich bin mit der Vorstellung gross geworden, dass es bei der Berufswahl überhaupt nicht auf das Geschlecht ankommt, und es hat mich sehr überrascht, dass das nicht alle so sahen.
Diese Aufbruchstimmung erfasste auch die Uni Zürich. Bereits 1987 hatte der Verein Feministische Wissenschaft Schweiz die Schaffung einer Frauenförderungsstelle gefordert – nicht von ungefähr im Umfeld des Jubiläums «120 Jahre Frauenstudium», das daran erinnerte, dass Zürich zusammen mit Paris 1864 die erste europäische Universität gewesen war, die Frauen zum Studium zuliess. Der damalige Rektor, Konrad Akert, ging auf den Wunsch ein, doch mit recht kleinem Einsatz: Seine juristische Mitarbeiterin Sylvia Derrer sollte ab 1989 neben ihren bisherigen Aufgaben einen Tag in der Woche Anlaufstelle bei Diskriminierung sein – eine Situation, die sich wegen der Arbeitsüberlastung schnell als frustrierend erwies. Es brauchte noch einige Anläufe engagierter Frauen, Postulate und Unterschriftensammlungen zuhanden Unileitung und Kantonsrat, bis 1991 die überfakultäre Gleichstellungskommission gegründet wurde und 1996 schliesslich die Uni-Frauenstelle – die heutige Abteilung Chancengleichheit, Diversität , Inklusion – mit Elisabeth Maurer als Leiterin.
Ein unbändiger Durchhaltewille war auch für das Vorankommen einzelner Frauen in den männerdominierten Wissenschaften notwendig. Denise Schmid hat die Biografien von zwei Ärztinnen verfasst, die in Zürich tätig waren: von Marie Lüscher, die von 1953 bis 1975 Chefchirurgin an der Schweizerischen Pflegerinnenschule war – eine Position, die an einem Universitätsspital für eine Frau damals undenkbar gewesen wäre – und von der Anästhesistin Ruth Gattiker, die 1976 als eine der ersten Frauen den Professorinnentitel der Medizinischen Fakultät Zürich erhielt. Schmid sagt: «Diese Pionierinnen mussten unglaublich zäh sein. Und sich in der Regel auch zwischen Beruf und Familie entscheiden. Ruth Gattiker sagte immer: „Man kann nicht alles haben!“» Etwas leichter fiel dieser Entscheid in ihrem Fall möglicherweise, weil die beiden Medizinerinnen zusammenlebten, wenn auch offiziell nur als «Freundinnen» und nicht als Paar.
Zum Verzicht auf Kinder waren Frauen an der Universität nun allerdings immer weniger bereit: Vereinbarkeit von Beruf und Familie war gerade am Anfang ein sehr wichtiges Thema der Gleichstellungsarbeit, das betont auch Christiane Löwe: Kinderkrippen und flexiblere Arbeitszeiten gehörten zu den ersten Dingen, für die gekämpft wurde.
Wie traditionell es in dieser Hinsicht in der Schweiz noch lange zuging, fiel der Politologin Karin Gilland Lutz, die derzeit gerade Löwes Nachfolge antritt, schnell auf, als sie 2003 aus privaten Gründen in die Schweiz zog. Sie war in Schweden aufgewachsen und hatte es als völlig selbstverständlich erlebt, dass ihr Vater genauso für die Kinderbetreuung verantwortlich war wie die Mutter, obwohl beide voll berufstätig waren: «Ich bin mit der Vorstellung gross geworden, dass es bei der Berufswahl überhaupt nicht auf das Geschlecht ankommt, und es hat mich sehr überrascht, dass das nicht alle so sahen.» Im konservativen Irland, wo sie promoviert hatte, gab es zwar an ihrem Institut nur Professoren, doch die hätten sie sehr gut gefördert und es sei auch nicht schwierig gewesen, anschliessend eine feste Stelle in der Wissenschaft zu finden, dank dem Lecturer-System, das auch Dauerstellen ohne Lehrstuhl bietet.
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Ich war nie eine Vorzeigefeministin, sondern wusste einfach, was ich wollte und bin meinen Weg gegangen.
Frisch in der Schweiz fand sie zwar eine befristete Stelle in einem Nationalfonds-Projekt, doch merkte sie schnell, dass es hier als junge Mutter schwierig war, längerfristig als Wissenschaftlerin zu arbeiten. «Ich dachte mir dann, dass ich auch anders glücklich werden kann und lieber etwas anderes mache, als mich mit Mobilitätsanforderungen auseinanderzusetzen.» Deshalb wechselte sie von der Forschung in die Verwaltung und arbeitete unter der Leitung von Elisabeth Maurer an der Abteilung Gleichstellung. «Es war damals recht üblich, dass Leute nach einer Dissertation auf universitäre Verwaltungsstellen gewechselt sind.
Heute wäre das vermutlich nicht mehr so einfach. Es wird erwartet, dass man weiss, wie eine Universität tickt, aber sie müssen noch mehr Skills für diese Jobs mitbringen, eine Dissertation reicht da nicht mehr.» Löwe bestätigt das: «Das ist zwingend nötig. Es braucht Führungs- und Organisationskompetenzen und strategisches Geschick, wenn man sich so zwischen allen Ebenen bewegt, wie wir es tun. Man muss mit verschiedenen Stellen kommunizieren. Denn die Bedürfnisse sind in den verschiedenen Fakultäten oder bei der Unileitung natürlich unterschiedlich.»
Gilland fand mit ihrem Hintergrund als Politologin den Mikrokosmos Universität analytisch sehr spannend: «Universitäten sind faszinierende Organisationen, die historisch ganz anders gewachsen sind als Organisationen in der Privatwirtschaft oder der Verwaltung. Die Hoheit der Fächer und die akademische Freiheit führen dazu, dass Universitäten sehr dezentral organisiert und schwierig zu steuern sind. Sie sind nicht dafür gemacht, sich kohärent auf ein ganz bestimmtes Ziel hinzubewegen.» Denn schliesslich funktioniert wissenschaftliches Denken und Handeln genauso: Man kann nicht bereits vorher wissen, was man herausfinden wird, man muss offen bleiben für neue Erkenntnisse.
Auch Soziologieprofessorin Katja Rost, die von 2019 bis 2024 Präsidentin der Gleichstellungskommission war, bringt diesen Blick von aussen auf die schweizerischen Verhältnisse mit. Sie war in der DDR aufgewachsen und erlebte da eine Gesellschaft, wo Frauen genauso im Beruf arbeiteten wie Männer und wo die Kinderbetreuung staatlich organisiert war. Einen speziellen Blick hat sie deshalb auf das Thema Frauenquote. Sie erzählt: «Meine Mutter war eine typische Quotenfrau. Sie hat mit dreissig als Alleinerziehende die Leitung einer Fachhochschule übernommen.
Ich war damals zwei und musste in eine Wochenkinderkrippe gehen. Eigentlich hätte ein Kollege Schulleiter werden sollen, der schon zwanzig Jahre dort war. Aber sie musste die Frauenquote der DDR erfüllen und wurde dahin befördert. Da war sie am Anfang natürlich nicht so beliebt.» Deshalb verwundert es nicht, wenn Rost feste Frauenquoten ablehnt, sich aber gut vorstellen könnte, dass unter den besten Bewerber:innen um einen Lehrstuhl ausgelost wird, damit Frauen nicht durch unbewusste Vorurteile benachteiligt werden.
Vollzeitlich berufstätig zu sein und Karriere zu machen, war für Rost vor dem Hintergrund ihrer DDR-Kindheit völlig selbstverständlich: «Ich war nie eine Vorzeigefeministin, sondern wusste einfach, was ich wollte, und bin meinen Weg gegangen. Ich kam gar nie auf die Idee, dass ich diskriminiert werden könnte. Auf dieses Thema bin ich erst später durch die Forschung gestossen.» Als sie dann während ihrem Studium in die Schweiz kam, kamen ihr die Verhältnisse hierzulande sehr rückständig vor und sie fand seltsam, wie viele Schweizerinnen gar nicht danach strebten, vollzeitlich berufstätig zu werden – ein Urteil, das sie revidierte, nachdem sie selbst länger in der Schweiz gelebt und dazu auch geforscht hatte. «Es ist ein Wohlstandsphänomen», sagt sie. «In reichen Gesellschaften können Frauen freier entscheiden, was sie machen möchten. Und das tun sie dann entlang bestehenden Geschlechternormen.» Diese Selbstbestimmung, so ist sie überzeugt, ist auch ein Zeichen von Emanzipation.
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Es wird gesagt, die Frauen würden bevorzugt. Doch die Zahlen zeigen, dass das nicht stimmt.
Für viele sei die Universitätskarriere zudem gar nicht so attraktiv, denn sie sei ohne grosse Mobilität nicht zu haben. Ähnlich wie die oben erwähnten Medizinpionierinnen sagt Rost: «Eine wissenschaftliche Karriere gibt es eben nicht geschenkt!» Eigentlich, meint sie deshalb, wäre es gut, schon als Studentin Kinder zu haben, nicht erst dann, wenn ein Karrieresprung ins Ausland nötig sei. Sie findet deshalb, dass die universitäre Gleichstellungsarbeit sich nicht völlig auf den Beruf fokussieren, sondern stärker aufzeigen sollte, wie Studierende auch Familie haben können.
Das überproportionale Ausscheiden von Frauen aus der wissenschaftlichen Karriere wird sichtbar durch das Gleichstellungsmonitoring, das es in Zürich seit 2007 gibt. «Das ist sehr nützlich», sagt Löwe. «Man hat nun Zahlen und es kann nicht mehr wegdiskutiert werden. Auch wenn gesagt wird, dass Frauen jetzt bevorteilt würden. Die Zahlen zeigen, dass das nicht stimmt.» Gilland Lutz ergänzt: «Die Bereitschaft, Daten zur Gleichstellung ernst zu nehmen, hat sehr zugenommen. Das ist ein guter Ansatz – Probleme nicht ignorieren, sondern nach Lösungen suchen.»
Dass es noch zu tun gibt, macht die Zukunftsprognose deutlich: Bei gleichbleibender Berufungsrate wird erst 2050 ein Drittel der Professuren mit Frauen besetzt sein. Zu spät, findet Löwe. Doch was tun? Ein wichtiger Punkt, da sind sich Löwe und Gilland Lutz einig, ist ein Arbeitsklima, in dem sich alle wohl fühlen. Und das betrifft nicht nur beide Geschlechter, sondern gemäss dem Bekenntnis zur Diversität soll niemand aufgrund von Vorurteilen diskriminiert werden, und ganz aktuell ist auch die Inklusion von Menschen mit Behinderung ein wichtiges Thema – auch weil es die von der Schweiz unterzeichnete UNO-Behindertenrechtskonvention fordert. Ab Herbst wird die Abteilung deshalb im Auftrag der Universitätsleitung eine neue Policy für Chancengleichheit, Diversität und Inklusion ausarbeiten.
Ein klares Zeichen für ein gutes Arbeitsklima setzte die Uni Zürich dieses Jahr auch durch ihre Beteiligung am nationalen Tag gegen sexuelle Belästigung. Löwe meint dazu: «Ich bin davon überzeugt, wenn wir es als Gesellschaft schaffen würden, Sexismus und sexuelle Gewalt abzustellen, dann würden viele andere Dinge auch besser an ihren Platz fallen.» Die Universität könne zwar nicht alle Probleme lösen, die von aussen an sie herangetragen werden, doch Gilland Lutz ist sicher: «Es mag das Bild vom Elfenbeinturm geben, doch in Wirklichkeit wird alles was die Gesellschaft bewegt, auch die Universität bewegen.»