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Talk im Turm

«Gesund altern ist eine Lebensaufgabe»

Im Talk im Turm diskutierten die Psychologin Christina Röcke und die Ärztin Claudia Witt darüber, wie wir gesund altern können – mit und ohne Hilfe von Künstlicher Intelligenz.
Stéphanie Hegelbach
Im Talk im Turm diskutierten Christina Röcke (links) und Claudia Witt darüber, wie wir gesund leben und gut altern können und welchen Beitrag die Psychologie und die moderne Medizin dazu leisten können. Moderiert wurde das Gespräch von Roger Nickl (links) und Thomas Gull (rechts). (Bild: UZH Alumni)

«Gesund altern beginnt im Alltag – und früh, nicht erst nach der Pensionierung», stiegen die Moderatoren Thomas Gull und Roger Nickl in das letztwöchige Podiumsgespräch «Talk im Turm» ein. Geistig und körperlich aktiv bleiben, Entspannungsübungen in den Alltag einbauen und soziale Kontakte pflegen sind die gängigen Tipps, um im Alter in Höchstform zu bleiben. Doch was bedeutet es eigentlich gesund zu altern? Und wie könnten uns digitale Technologien dabei unterstützen? Diese zwei Fragen beantworteten die Psychologin Christina Röcke und die Ärztin Claudia Witt an der gut besuchten Veranstaltung.

Realistische Ziele setzen

Aus psychologischer Sicht handle es sich beim Altern um einen Anpassungsprozess an die sich verändernden Ressourcen, sagte Röcke. Wer einen guten Umgang damit findet, nicht mehr alles zu können, ist im Alter zufriedener. Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich keine Ziele mehr stecken soll. Ganz im Gegenteil: Vorhaben sind auch im hohen Alter ein wichtiger Antrieb, doch sie sollen realistisch sein. «Wer in jüngeren Jahren hohe Berge bestieg, der reduziert vielleicht später auf den Uetliberg und schliesslich auf einen Spaziergang im Quartier», machte Röcke ein Beispiel. Wer es schafft, seine Interessen und Pläne immer wieder auf den aktuellen gesundheitlichen Zustand anzupassen, der kann vom Gefühl der Kontrolle und Selbstbestimmtheit zehren. «Vielen älteren Personen bereitet nämlich genau dieser Verlust von Autonomie im Alter Angst», sagte die Psychologin.

Gerade weil wir heute älter werden und dadurch häufig mit Mehrfacherkrankungen konfrontiert sind, sei es zentral, die individuellen Ressourcen zu stärken und nicht auf die Verluste zu fokussieren, betonte die Ärztin Claudia Witt. Sich im Alter gesund zu fühlen, bedeutet nicht, keine Krankheitssymptome zu haben. Das zeigt auch die Definition gesunden Alterns der Weltgesundheitsorganisation WHO auf: Gesundes Altern bedeute die Dinge tun zu können, die einem wichtig sind. Fit bleiben heisst daher für jedes Individuum etwas anderes – abhängig von der jeweiligen Verfassung, der persönlichen Wünsche, Hobbys und Ressourcen.

Wie man sich im Alter engagieren möchte, soll jeder selbst entscheiden dürfen.

Christina Röcke
Psychologin

«Wir müssen mutiger sein»

Damit die Gesellschaft gesund altern kann, braucht es also Platz für die individuelle Entwicklung und vielfältige Angebote für Ältere, um weiterhin zu lernen, sich zu engagieren und aktiv zu bleiben. Leider stellen sich älteren Personen gerade hier viele Hürden in den Weg – seien sie struktureller, finanzieller oder gesellschaftlicher Art. Allein schon das fixe Pensionsalter mache aus Sicht der Forschung überhaupt keinen Sinn, stellte Röcke klar. Für die einen erscheint die Pension als Erlösung, andere möchten gerne länger arbeiten und für manche ist es finanziell gar notwendig im Arbeitsleben zu bleiben. «Wie man sich im Alter engagieren möchte, soll jeder selbst entscheiden dürfen», sagte Röcke.

Um in Zukunft auf die individuellen Bedürfnisse eingehen zu können, muss die Gesellschaft die Menschen im dritten Lebensabschnitt als vielfältige und wertvolle Gruppe anerkennen und sie danach fragen, was sie brauchen. Altersfreundliche Städte, neue gemeinschaftliche Wohnformen, Lernplattformen für ältere Menschen oder andere Erstattungsmodelle für die Pflegekosten: «In all diesen Bereichen müssen wir mutiger und innovativer werden und neue Dinge ausprobieren», meinte Witt.

Talk im Turm als Podcast

Therapeutisches Body Double

«Individualisierung» ist die Zukunftsmusik – auch in der Medizin: Die Ärztin Claudia Witt untersucht, wie digitale Zwillinge die Medizin verbessern könnten. Bei einem digitalen Zwilling handelt es sich um ein Computermodell, das die individuellen Körper- und Lebensfunktionen sowie Präferenzen simuliert. Je mehr persönliche Daten– beispielsweise mit Hilfe von Sensoren für Blutzucker oder Blutdruck – jemand seinem persönlichen Zwilling füttert, umso genauer wird das Modell. «In Zukunft könnten wir Therapien zuerst am digitalen Zwilling testen, um zu wissen, worauf die betroffene Person am besten ansprechen würde», erklärte Witt.

Doch bereits bei der Prävention könnte der Zwilling eine entscheidende Rolle spielen: Basierend auf unseren Vorlieben könnte er uns Vorschläge für gesunde Menüs oder stärkende Bewegungsabläufe machen. «Aus psychologischer Sicht macht das absolut Sinn», sagte Christina Röcke, «denn wenn uns etwas Spass macht, fällt es uns leichter dranzubleiben.»

Wir müssten parallel traditionelle Ärzte und solche, die mit digitalen Technologien arbeiten, ausbilden.

Claudia Witt
Professorin für Komplementär- und Integrative Medizin / Direktorin Digital Socie

Offene Zukunft, klar definiertes Jetzt

Derzeit seien wir jedoch noch weit von einem funktionierenden digitalen Zwilling entfernt, erklärte Witt. Da das Computermodell einem medizinischen Produkt entspricht, muss es zahlreiche Anforderungen erfüllen, was die Entwicklung verlangsamt. Gemäss den Umfragen der Ärztin würden 62 Prozent der Schweizer:innen einen digitalen Zwilling nutzen, vorausgesetzt der Datenschutz ist gewährleistet. Bei einer Umfrage unter den Zuhörinnen und Zuhörer des Talks zeigte rund die Hälfte Interesse an dieser Art von Künstlicher Intelligenz.

 «Wir sollen individuell entscheiden, was uns wichtig ist. Ist es da nicht widersprüchlich, ein digitales Hilfsmittel zu haben, das einem die eigenständige Beobachtung des Selbst abnimmt?», lautete eine kritische Frage aus dem Publikum. Ob man einen digitalen Zwilling habe und wie man diesen nutze, sei jedem selbst überlassen, erklärte Claudia Witt. Eine Herausforderung wird es künftig allerdings sein, für all jene eine gute medizinische Versorgung aufrechterhalten zu können, die keinen digitalen Zwilling haben. «Wir müssten parallel traditionelle Ärzte und solche, die mit digitalen Technologien arbeiten, ausbilden», erklärte Witt.

Doch unabhängig davon, wie sich unsere Zukunft gestaltet: Um gesund zu altern, ist wichtig, was wir im Heute tun – egal, wie alt wir sind. Denn gesund altern ist eine Lebensaufgabe.