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UZH-Sonderausstellung «Bits, Bytes & Biodiversität»

Mit Künstlicher Intelligenz gegen den Biodiversitätsverlust

Die UZH-Sonderausstellung «Bits, Bytes & Biodiversität» im Schweizerischen Nationalpark zeigt vielversprechende digitale Methoden in der Ökologie auf – verweist aber auch darauf, dass Natur- und Artenschutzprojekte nur funktionieren, wenn sie von allen mitgetragen werden.
Anne-Christine Schindler
Ansicht des Videopavillons «Triggered by Motion» von innen (© Yanik Bürkli)

Jede achte Spezies ist heute vom Aussterben bedroht. Dieser Biodiversitätsverlust ist eine riesige, globale Herausforderung. Ökologinnen und Ökologen untersuchen, wie Tier- und Pflanzenwelten auf menschliche und klimatische Einflüsse reagieren – und wie wir sie schützen können. Dabei greifen sie immer mehr auf digitale Hilfsmittel zurück.

Mit «Bits, Bytes & Biodiversität», der ersten Sonderausstellung im neu inszenierten Nationalparkzentrum in Zernez, thematisiert die Universität Zürich den Einsatz moderner Technologien in der Ökologie. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit über 40 Forscherinnen und Forschern der Universität Zürich und Forschungsinstitutionen auf der ganzen Welt entstanden und lässt ihre Besucher:innen in aktuelle Forschungsprojekte der Universität Zürich eintauchen.

Junge Besucher:innen in Nicolas Buzzis Musikinstallation «Zuzuhören gerufen» (© Yanik Bürkli)

Eine transdisziplinäre Kollaboration

Die Musikinstallation Zuzuhören gerufen ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Sound Artist Nicolas Buzzi (Komposition/Produktion) und Kathelijne Koops, Professorin am Institut für Evolutionäre Anthropologie der UZH. Seit zwei Jahrzehnten erforscht Kathelijne Koops das Verhalten wilder Schimpansen in den Nimba-Bergen in Guinea. Ihr Forschungsteam setzt auf eine Vielzahl innovativer Methoden – unter anderem Kamerafallen –, um zu untersuchen, wie und weshalb Menschenaffen ihre kulturellen Fertigkeiten entwickeln. Nicolas Buzzi hat diese Kamerafallendaten künstlerisch interpretiert und einer Komposition zugrunde gelegt, die westliches Musikdenken nichtmenschlichen Kulturen gegenüberstellt.

Als Werk an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie hat «Zuzuhören gerufen» mehrere miteinander verzahnte Wirkungsabsichten. Zum einen legt es das Datenmaterial offen, auf dessen Grundlage Naturschutzprojekte ausgearbeitet werden, und schafft so emotionale Anknüpfungspunkte zum wissenschaftlichen Natur- und Artenschutz. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit sei ein Schlüsselelement für wirksame Schutzmassnahmen, sagt Kathelijne Koops. In ihrer Arbeit setzt sie deshalb auf aussagekräftige Bilder, um Geschichten zu erzählen und Menschen zu erreichen. «Die Zusammenarbeit mit Nicolas verleiht dieser Art des kreativen Geschichtenerzählens eine ganz neue Dimension», sagt sie, «und ermöglicht es uns, die Kluft zwischen Wissenschaft und Kunst zu überbrücken».

Kreative Impulse für die Forschung

Zum anderen bietet der transdisziplinäre Austausch hinter der Installation kreative Impulse für die Forschung. Das Konzept von Tierkulturen ist im Artenschutz relativ neu. Dementsprechend ist umstritten, inwiefern es in die Praxis einfliessen könnte oder sollte. Nicolas Buzzis künstlerische Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlicher Materie und Diskursen eröffnet frische Perspektiven, auf deren Grundlage sich neue kritische Denkweisen entwickeln können. So soll «Zuzuhören gerufen» Perspektiven auf menschliche und nichtmenschliche Kulturen erweitern und befragen. Denn wenn auch andere Menschenaffen komplexe kulturelle Ausdrucksformen entwickeln – was macht uns dann menschlich?

Nicht zuletzt schafft die Installation ein Bewusstsein für das Verschwinden von Lebensräumen im Anthropozän. Durch Palmöl- und Kaffeeplantagen, durch Abholzung und den Abbau von Bodenschätzen gehen immer grössere Flächen des natürlichen Habitats von Schimpansen verloren. Auch in den Nimba-Bergen sind sie bedroht. Die Region, die wegen ihrer hohen Biodiversität Anfang der 1980er-Jahre zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde, steht heute auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Das ist die dringlichste Botschaft hinter «Zuzuhören gerufen»: Wir müssen jetzt handeln, um die Schimpansengemeinschaften von Nimba zu schützen und ihre kulturelle Vielfalt in freier Wildbahn zu erhalten.

Besucher:innen vor dem Magnetwand-Memory «Spot the spots» (© Yanik Bürkli)

Ein Memory für die Forschung

Im Modul Spot the spots ist Mitmachen gefragt. Das Magnetwand-Memory vermittelt altersgruppengerecht, wie und weshalb in der Giraffenforschung Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Besucherinnen und Besucher können versuchen, Giraffen anhand ihrer Fellmuster zu erkennen und die Bildpaare mit denselben Mustern zu finden – denn genau wie Fingerabdrücke sind auch die Fellmuster von Giraffen einmalig und bleiben ein Leben lang unverändert.

Entstanden ist «Spot the spots» in Zusammenarbeit mit Monica Bond, Wildtierbiologin am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften. Gemeinsam mit ihrem Team am Wild Nature Institute überwacht und erforscht sie in Tansania fast 4000 Massai-Giraffen. «Ohne die Kombination von Künstlicher Intelligenz mit Digitalfotografie könnten wir niemals diese riesige Stichprobengrösse erreichen», erklärt sie: «Spot the spots vermittelt, wie schwierig es ist, auch nur eine Handvoll einzelner Giraffen von Auge zu erkennen. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie versuchen dasselbe mit Tausenden Giraffen anhand von Zehntausenden von Fotos!»

Informationen für Schutzmassnahmen

Mithilfe von KI-Anwendungen halten Monica Bond und ihr Team die Geburten und Todesfälle ihrer 4000 Studientiere fest und beobachten, wie die Giraffen miteinander interagieren und wie sie sich durch ihre Lebensräume bewegen. Mit dieser Forschung liefern sie wichtige Informationen für die Ausarbeitung von Schutzmassnahmen. Es sei ihr ein Anliegen gewesen, auch das zu vermitteln, erzählt Monica Bond: «Massai-Giraffen sind gefährdet und wir müssen handeln, um sie vor dem Aussterben zu bewahren. Das Zielpublikum des Nationalparks bringt bereits ein Interesse an der Natur und an Wildtieren in die Ausstellung mit – und ist somit das perfekte Publikum für die Botschaft, dass wilde Giraffen unsere Hilfe brauchen, um in freier Wildbahn zu überleben.»

Ein internationales Forschungsnetzwerk            

Die begehbare Videoinstallation Triggered by Motion, an der über 40 Forscherinnen und Forscher der UZH und von Forschungsinstitutionen weltweit beteiligt sind, ist ebenfalls Teil der Ausstellung. Der Pavillon, der vom Designer Dino Rossi in einer algorithmenbasierten visuellen Programmiersprache entworfen worden ist, vereint Kamerafallendaten von allen Kontinenten. So lässt er seine Besucher:innen eine Reise um die Welt erleben. Über QR-Codes können sie die Forschungsprojekte kennenlernen, die Teil des Projekts sind.

Alice Brambilla, die am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften Steinböcke erforscht, sieht im Videopavillon ein grosses ästhetisches und kommunikatives Potential – denn als Wanderausstellung erreicht «Triggered by Motion» ein breites internationales Publikum. Parallel zur Ausstellung in Zernez reist eine transportierbare Version des Pavillons um die Welt. Zurzeit ist sie in der Dongdaemun Design Gallery in Seoul zu sehen; ab September wird sie für neun Monate in der Science Gallery Bengaluru in Bangalore ausgestellt.

Ein zentrales Forschungsgebiet der UZH

Ökologie ist ein zentrales Forschungsgebiet der Universität Zürich, die in diesem Fachgebiet weltweit auf Platz 11 rangiert (GRAS Global Ranking of Academic Subjects 2022). «Bits, Bytes & Biodiversität» soll den Austausch zwischen Forschung und Öffentlichkeit fördern. Denn auch wenn die Zukunft digitaler Methoden in der Ökologie vielversprechend ist, funktionieren Natur- und Artenschutzprojekte nur, wenn sie über Fachkreise hinaus breite Unterstützung finden.