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Auf der Terrasse gegen die Rämistrasse hin sitzen Menschen auf Parkbänken unter Bäumen und unterhalten sich angeregt. Studentinnen und Studenten kommen aus den ASVZ-Trainingsräumen im Untergeschoss, eilen an ihnen vorbei ins Lernzentrum im Herzen des Gebäudes. Im Quartierladen unterhalb der Terrasse decken sich die Bewohnerinnen aus der Nachbarschaft mit frischem Gemüse ein. Zwei Rentner trinken Kaffee an einem Gartentisch der Cafeteria, während daneben Studentinnen über ihre Seminararbeit diskutieren.
So präsentiert sich die Vision, die die Architekten Herzog & de Meuron mit ihrem Projekt für das neue Gebäude der Universität Zürich, das FORUM UZH, entworfen haben: «Das FORUM UZH ist ein Motor für das Entstehen von öffentlichem Leben in diesem universitären Quartier», sagt Architekt Jacques Herzog, «der Aussenraum ist ein öffentlicher, begrünter Platz und damit eine frei zugängliche Plattform für die Begegnung von Menschen. Das ist neu, das gibt es bisher nicht in diesem Zürcher Quartier.»
Der begrünte Platz, gleich gegenüber dem Hauptgebäude der Universität zwischen Rämi- und Gloriastrasse gelegen, ist der städtebauliche Auftakt zum FORUM UZH, das mit seinen Dimensionen beeindruckt: Auf rund 37000 Quadratmetern Nutzfläche wird es knapp 6000 Studierende und Mitarbeitende aufnehmen können. Fünf grosse Hörsäle bieten Platz für mehr als 2000 Personen, im Lernzentrum können rund 700 Studierende arbeiten. Dazu kommen vier Turnhallen, Sportflächen für den ASVZ, eine grosse Mensa und mehrere Cafeterias und Verpflegungszonen.
Den zusätzlichen Platz für Lehre und Forschung benötigt die UZH dringend. Rund 30000 Studierende wird die Universität im Jahr 2028 zählen. Es werde eine grosse Herausforderung, bis zum geplanten Bezug des FORUM UZH im Jahr 2029 dafür ausreichend Fläche zur Verfügung zu stellen, sagt François Chapuis, Direktor Immobilien und Betrieb der UZH.
Herzog & de Meuron haben mit ihrem Projekt nicht nur ein Gebäude für die Universität konzipiert, sondern ein Zentrum, das dem ganzen Hochschulquartier zugutekommt. «Die gegenüberliegenden ikonischen Gebäude der Universität und der ETH haben zwar schön gestaltete Vorplätze, aber es sind tote Zonen. Sie laden die Menschen nicht zum Verweilen ein, weil sie nicht dafür gedacht wurden, weder von den Architekten noch von der Gesellschaft damals», so Jacques Herzog. Das FORUM UZH hingegen sei eine «Handreichung an die Gesellschaft», sagt UZH-Rektor Michael Schaepman. «Wir wollen die Universität nicht als monolithischen Block darstellen. Das neue Gebäude soll Zugänglichkeit signalisieren. Also die bewusste Durchmischung von Studierenden, Mitarbeitenden und der Bevölkerung», so Schaepman.
Der öffentlich zugängliche Platz vor dem Gebäude wird mit einem grossen mehrstöckigen Forum im Innern nahtlos weitergeführt. «Es war uns ein grosses Anliegen, ein wirkliches Forum zu schaffen», erklärt Jacques Herzog. «Der Innenraum ist darum wie ein Theatersaal oder vielleicht auch ein bisschen wie ein Parlament konzipiert. Er ist Ort der Begegnung im Alltag und kann auch grosse Veranstaltungen aufnehmen.»
«Eine solche Bühne hat die UZH bisher nicht», freut sich François Chapuis. «Ich hoffe, dass wir als Universität diese Chance ergreifen und dort auch Angebote für die Bevölkerung schaffen, die weit über Lehre und Forschung hinausgehen.» Im Gegensatz zum jetzigen Hauptgebäude von Karl Moser mit seinem markanten, von weither sichtbaren Turm sei das FORUM UZH kein Wahrzeichen, sagt Architekturhistoriker Philip Ursprung. «Das Gebäude von Karl Moser ist eine Stadtkrone. Wie ein Gebirge erhebt es sich über der Silhouette von Zürich. Das FORUM UZH ist das Gegenteil. Es verschwindet im Erdreich und in der Umgebung.»
Darin zeigt sich für Ursprung auch ein Wandel in der Wahrnehmung der Hochschulen in der Gesellschaft. Zur Zeit des Nation Building im 19. und frühen 20. Jahrhundert seien die Universitäten noch Identifikationsinstitutionen gewesen, wie Bahnhöfe oder Opernhäuser. Heute seien sie Institutionen neben anderen, die von vielen Teilen der Bevölkerung sehr skeptisch, ja herablassend betrachtet würden. «Die Hochschulen sind eher geduldet als geliebt», so Ursprung. Die Offenheit, die das FORUM UZH ausstrahle, sei die richtige Antwort darauf. «Es ist ein kluger Schritt, um die Schwelle herunterzusetzen und zu demonstrieren, dass die Öffentlichkeit an der Wissenschaft Anteil haben kann.»
Diese Durchlässigkeit für die Öffentlichkeit und die städtebauliche Aufwertung des Quartiers durch den Stadtplatz hätten die Jury am Projekt besonders überzeugt, sagt François Chapuis. Nicht minder beeindruckt hat ihn aber die innere Organisation des Gebäudes, das einen «fast schon absurden Nutzungsmix» aufweise. «Herzog & de Meuron haben die Kombinationen der vielseitigen Anforderungen brillant gelöst», sagt Chapuis. Die verschiedenen Nutzungen sind in drei Zonen untergebracht und miteinander verschränkt. Der Sockel bietet Raum für Lehre sowie Sport und Verpflegung. Darüber schwebt ein mehrstöckiger Baukörper, der Räume für das Lernzentrum und die Forschung umfasst. Verbunden werden beide Zonen durch das grosse, teilweise fünf Stockwerke hohe Forum, das Raum bietet für öffentliche Veranstaltungen mit bis zu 2000 Personen.
Die Kombination verschiedenster Funktionen in einem Gebäude entspreche der Art, wie Forschung und Lehre künftig verschränkt sein werden, ist Michael Schaepman überzeugt. Die kurzen Wege innerhalb des Gebäudes würden den heute geforderten raschen Wechsel zwischen Lehr- und Forschungstätigkeit begünstigen. «Man geht heute nicht mehr um acht Uhr ins Büro und um fünf Uhr nach Hause und sitzt den ganzen Tag im selben Raum», so Schaepman. Vielmehr wechselten sich verschiedene Tätigkeiten in rascher Folge ab: Forschung im Büro, Lehre in verschiedenen Settings, Austausch per Video-Call mit anderen Forschenden. Für all dies bietet das Gebäude geeignete Arbeitsplätze an.
Die sich ändernde Arbeitswelt prägt auch für Jacques Herzog die Universitäten im 21. Jahrhundert: «Das Leben ist ein ständiges Lernen mit dem Ziel, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Die Welt verändert sich schneller, die digitale Technologie hat dabei eine enorm beschleunigende Wirkung auf die Arbeitswelten.» Die Universitäten sind nach wie vor die wichtigsten Orte für Bildung und für den Austausch von Wissen. Doch die Veränderungen haben Folgen für die räumlichen Anforderungen.» Architektur sei immer ein physischer Ausdruck solcher Transformationsprozesse. «Ich verstehe Architektur als ein Vehikel, um die Welt und diese Veränderungen besser zu verstehen», so Jacques Herzog. Neben Öffnung und Durchlässigkeit sind Flexibilität und Kooperation zwei wichtige Stichworte für diese Veränderungen, die im FORUM UZH spürbar werden. «Viele Fähigkeiten, die man braucht, um in einer modernen Arbeitswelt zu bestehen, haben etwas mit Zusammenarbeit zu tun», sagt Michael Schaepman. Die Universität müsse dies fördern und fordern, dass die Studierenden lernen, in Gruppen zusammenzuarbeiten. «Das Design der Hörsäle ist deshalb viel stärker auf Kooperation und Gruppenarbeit ausgelegt.»
Ein Hörsaal beispielsweise ist dem englischen Parlament nachempfunden, wo sich die Studierenden zum Teil wie auf Tribünen gegenübersitzen. Ein anderer Hörsaal bietet die Möglichkeit, ein Podium für Diskussionsrunden aufzubauen, an denen sich das Publikum beteiligen kann. «Wir haben versucht, in den Hörsälen Settings zu ermöglichen, die wir heute noch nicht haben», erklärt François Chapuis. Grosse Video-Wände oder die technische Ausstattung für hybride Veranstaltungen sollen zu neuen Lehrformaten anregen.
In der funktionalen Vielfalt sieht Philip Ursprung nicht nur ein Erfordernis, sondern auch eine architektonische Qualität des Gebäudes: «Die Hörsäle sind nicht bloss addiert, sondern wirken wie eine Reihe von Va-rianten. Es gibt Diversität statt Symmetrie.» Trotzdem sei die Orientierung im Gebäude einfach. «Statt einzuschüchtern und zu separieren, was viele institutionelle Bauten tun, verbindet der Bau.»
Verbindung schaffen die vielen offenen Räume, die sowohl als Arbeits- wie auch als Begegnungs- und Austauschzonen konzipiert sind. François Chapuis ist überzeugt, dass dieses räumliche Erlebnis sich auch auf die Arbeits- und Kommunikationskultur auswirken wird. «Ich bin ein Fan der These, dass der Raum den Menschen prägt», sagt er. Die offenen Zonen böten Gelegenheit für den informellen Austausch, der ein Nährboden für neue Ideen sein könne. Die Konstruktion des Baus ist dabei so offen, dass die Räume jederzeit sich ändernden Anforderungen angepasst werden können. «Im Forum ist geplant, dass man Wände einbauen und wieder herausnehmen kann», so Chapuis. Vielleicht werde das Gebäude in 30 Jahren ganz anders formatiert, weil sich die Anforderungen geändert haben. «Solche künftigen Anpassungen sind möglich, ohne dass man einen totalen Umbau machen muss.»
Ein Herzstück im FORUM UZH wird das neue Lernzentrum mit der grossen Bibliothek sein. Dieser offene, zweistöckige Raum – «am schönsten Ort des Gebäudes», wie François Chapuis meint – bietet mehr als 700 Arbeitsplätze, an denen Studierende individuell oder in Gruppen lernen können. Auch hier wurde darauf geachtet, unterschiedliche Settings anzubieten, wie auch bei den übrigen Arbeitsplätzen. Überraschend etwa die wie kleine Opernlogen rund um das Forum angeordneten Einzelarbeitsplätze, die gegen den Raum hin offen sind, aber trotzdem Geborgenheit vermitteln.
Für François Chapuis ist das Lernzentrum eines der Highlights des geplanten Baus: «Dieses bibliothekarische Zentrum könnte so inspirierend sein, dass man sich gerne dort aufhalten wird – nicht zum Partymachen, sondern zum Lernen.» Die Universität als Ort sozialer Kontakte ist auch Rektor Michael Schaepman ein wichtiges Anliegen: «Ohne soziale Interaktion wird man einer akademischen Ausbildung nicht gerecht», ist er überzeugt. Denn Widerspruch benötige Diskussion – unter Studierenden wie auch mit den Dozierenden. Und diese finde über Zoom oder Teams viel weniger spontan und intensiv statt. Auch für Philip Ursprung haben die Gebäude für das universitäre Leben trotz digitaler Kommunikationsmöglichkeiten weiterhin eine grosse Bedeutung: «Die besten Ideen entstehen oft in Treppenhäusern, wo man sich begegnet. Und Netzwerke entstehen auf der Wiese in der Pause. Hochschulen sollen nach wie vor Orte mit einer Aura sein.»
Dieser Artikel ist zuerst im UZH Magazin 2/22 erschienen.