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Falschinformationen

Langsamer Denken

Fake News sind allgegenwärtig und erreichen dank künstlicher Intelligenz eine neue Qualität. Sich dagegen zu wappnen, ist nicht so einfach – viele Menschen glauben lieber eingängigen Falschinformationen als komplizierten Sachverhalten.
Stefan Stöcklin
Fehlinformationen begegnen uns auf Schritt und Tritt. Zur Entlarvung hilft es oft, die Informationsquelle etwas genauer anzuschauen.(Bild: istock/RichVintage)

Anfang Jahr sorgte eine überraschende Nachricht zu elektrischen Steinen für Aufsehen: Mineure entdeckten im Kongo ein Mineral, das ähnlich einer Batterie Ladung speichert. Im dazugehörigen Video hält ein junger Mann einen Draht an den silbern glänzenden Stein, worauf ein Lämpchen aufscheint. Die Meldung ist in den sozialen Medien auf einige Resonanz gestossen – ebenso wie eine Nachricht über den Kommunikationsstandard 5G. In diesem Text wird dargelegt, dass für die schnelle Datenübertragung ein höherer Frequenzbereich um 60 Gigahertz verwendet wird, für den gefährliche Gesundheitsrisiken belegt seien.

Gäbe es die Faktenchecker der Nachrichtenagenturen nicht, die Falschinformationen hätten wohl noch weitere Kreise gezogen. AP hat die Meldung aus dem Kongo entlarvt, denn Mineralien können keine Elektrizität speichern, höchstens leiten. Im Fall von 5G zeigt eine Recherche, dass die dafür verwendeten Frequenzen viel tiefer sind als die behaupteten 60 GHz und im selben Bereich liegen wie jene für gängige 4G-Netzwerke oder WLAN.

Falschmeldungen und Fake News dürften wir alle schon begegnet sein. Wie häufig sie sind, zeigt eine repräsentative Befragung zu Covid-19-Fehlinformationen im Frühling 2021 durch Sabrina Kessler vom Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung (IKMZ) und Kolleginnen. Ein Viertel der Befragten gaben an, dass sie mitunter täglich mit Fehlinformationen konfrontiert werden. Und laut dem neusten Wissenschaftsbarometer vom Herbst 2022 haben die befragten Schweizerinnen und Schweizer «gelegentlich» den Eindruck, sie sollten gezielt mit wissenschaftlichen Fehlinformationen getäuscht werden.

Sabrina Kessler

Wer meint, er oder sie sei gegen Fake News gefeit, täuscht sich. Im Prinzip sind wir alle anfällig dafür, zumindest in Gebieten, in denen wir uns nicht auskennen.

Sabrina H. Kessler
Kommunikationswissenschaftlerin

Fehlende Kontrollinstanz

Während in den traditionellen Medien Fehlinformationen eher eine Ausnahme darstellen, grassieren sie online in den sozialen Netzwerken. «Alle können in den sozialen Medien Nachrichten ohne Belege produzieren und verbreiten», sagt Sabrina Kessler. Die Oberassistentin am IKMZ erforscht in mehreren Projekten Fehlinformationen und Fake News und weist auf die fehlenden Gatekeeper in den sozialen Medien hin. Anders als in den etablierten Medien, wo Journalistinnen und Journalisten Quellen und Bilder prüfen, fehlen Kontrollinstanzen auf diesen Kanälen weitgehend.

Verstärkt wird die Verbreitung durch unsichtbar agierende Algorithmen, die auf möglichst viele Interaktionen zwischen den Usern und Userinnen abzielen. Was geklickt, geliked oder geshared wird, steigt in der Hierarchie auf und wird im Feed besser sichtbar. Dass in diesem Wettbewerb um Aufmerksamkeit emotionalisierte und vereinfachte Informationen besser abschneiden, begünstigt die Tendenz zu Fehlinformationen. Untersuchungen zeigen, dass das Hinzufügen emotionalisierender Wörter die Reichweite eines Posts erhöht.

Die rasch fortschreitende Digitalisierung ermöglicht neue Formen der Irreführung, Stichwort künstliche Intelligenz. Die Systeme erkennen Stimmen, Sprachen und Gesichter immer besser und erlauben neue Formen von Desinformation. Bereits kursieren so genannte Deepfakes von prominenten Politikern, denen falsche Aussagen in den Mund gelegt werden, die sie mit ihrer Stimme artikulieren. Der Chatroboter ChatGPT führt gegenwärtig vor, welche Potenz in den KI-basierten Sprachsystemen liegt. «Die generierten Inhalte strahlen vermeintliche Objektivität und Verlässlichkeit aus, die sie nicht besitzen», sagt Sabrina Kessler. Umso wichtiger sei, dass die mit Chatrobotern generierten Inhalte gekennzeichnet werden.

In den aufgeklärten Demokratien des Westens besteht Einigkeit darüber, dass Desinformation und Verschwörungstheorien schädlich sind: Sie untergraben das Vertrauen in die Institutionen und in die Wissenschaft, können zur Ausgrenzung von gesellschaftlichen Gruppen führen und sogar Gewalt legitimieren. Anschauungsunterricht zu den schädlichen Auswirkungen von Fake News bot und bietet die Corona-Pandemie.

Rund um die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen grassierten unzählige Fehlmeldungen – sei es zur Gefährlichkeit der Technologie, zur Kontamination des Impfstoffs oder zur Schädlichkeit der Impfung. «Fehlinformationen können bei ohnehin eher skeptischen Menschen die Bedenken verstärken und dazu führen, dass sie sich nicht impfen lassen», sagt Sabrina Kessler. Ein Verhalten, das nicht nur die Skeptiker gefährde, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Auf der anderen Seite nutzten manche Menschen aufgrund von Fehlinformationen abstruse Heilmethoden wie zum Beispiel giftiges Methanol: Im März 2020 tranken im Iran über 1000 Menschen den Alkohol, der vor dem Virus schützen sollte. Fast 300 starben.

Die Vorherrschaft des schnellen Denkens macht uns anfällig für Desinformation und Halbwissen – und fokussiert unsere Aufmerksamkeit auf Nachrichten, die uns bekannt erscheinen. Das langsame Denken befähigt zur Analyse und Einordnung.

Fatale Falschmeldungen

Die zersetzende Wirkung von Falschmeldungen zeigen neben Covid-19 auch die Fake News zum Klimawandel. Die jahrelange Leugnung der wissenschaftlichen Evidenz verzögert die Umsetzung von Massnahmen. Wie Recherchen gezeigt haben, wusste die Ölindustrie seit den 1970er-Jahren vom menschengemachten Klimawandel und bestritt ihn gegen besseres Wissen, nicht zuletzt durch die Verbreitung von Desinformationen.

Die Beispiele werfen ein Schlaglicht auf die fatalen Auswirkungen, die Fehlmeldungen für die Gesellschaft haben können. «Deshalb ist es eine grosse gesellschaftliche Herausforderung, der Verbreitung von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien entgegenzuwirken», sagt Sabrina Kessler. Dazu erst einmal eine ernüchternde Erkenntnis: «Wer meint, er oder sie sei gegen Fake News gefeit, täuscht sich. Im Prinzip sind wir alle anfällig dafür, zumindest in Gebieten, in denen wir uns nicht auskennen», sagt Sabrina Kessler. Wer kann schon auf Anhieb eine Meldung über Quantenphysik oder Kryptografie einordnen oder die Mechanismen hinter den Energiepreisen.

Im durchgetakteten Alltag nehmen wir uns oft nicht genügend Zeit, komplexe Nachrichten zu analysieren und zu verstehen. Stattdessen agieren wir im schnellen Denkmodus, begnügen uns mit intuitiven Erklärungen und vertrauen Aussagen eher, wenn wir sie schon einmal gehört haben. Dies gilt auch für Fehlinformationen, weshalb Kessler ungern Beispiele nennt, um eben Wiederholungen zu vermeiden, die sich in den Köpfen festsetzen.

Innere Konflikte vermeiden

Die Unterscheidung zwischen schnellem und langsamem Denken geht auf eine Theorie des Neurowissenschaftlers Daniel Kahnemann zurück. Das schnelle Denksystem arbeitet intuitiv, emotional und unbewusst, das langsame System funktioniert weniger schnell, logisch und bewusst. Die Vorherrschaft des schnellen Denkens macht uns anfällig für Desinformation und Halbwissen – und fokussiert unsere Aufmerksamkeit auf Nachrichten, die uns bekannt erscheinen. Das langsame Denken befähigt zur Analyse und Einordnung. In der Realität sind die beiden Denksysteme verbunden und wirken mit- und nebeneinander.

Allerdings ist der Einfluss der schnellen und langsamen Denkmodi auf Einstellungen und Meinungen nicht so einfach nachzuweisen: «Viele Menschen recherchieren durchaus unabhängig von ihren Meinungen im Internet, das zeigt auch meine Forschung», relativiert Sabrina Kessler. Gleichzeitig passen nicht alle ihre Meinungen an, wenn die recherchierten Informationen ihren Anschauungen zuwiderlaufen. Vor allem Menschen mit «ausgeprägten Überzeugungen» sind viel weniger bereit, ihre Ansichten zu revidieren, und beharren lieber auf alternativen Fakten und Fake News, die sie in ihrem Weltbild bestärken.

Ignorante oder starrköpfige Menschen lassen sich auch von Fakten und Beweisen von ihren Überzeugungen nicht abbringen. Manchmal passiert sogar das Gegenteil: Vermutlich haben wir alle schon in Diskussionen erlebt, dass die Widerlegung eines Arguments beim Gegenüber zu einer Verstärkung seiner Ansichten führt. «Wir sprechen von einem Bumerang-Effekt» sagt Sabrina Kessler, der sich auch in Befragungen zeigt. «Die Rezeption eines Widerlegungstextes kann bei den Probanden die falschen Überzeugungen verstärken.» Was da passiert, erklärt Kessler mit kognitiver Dissonanz: Sich widersprechende Meinungen erzeugen einen inneren Konflikt, ein ungutes Gefühl. Um diesem zu entgehen, bestärken sich Personen «mit starken Ansichten» in ihren Meinungen und suchen nach Argumenten für ihre falschen Überzeugungen. Statt sich von realen Fakten überzeugen zu lassen, ignorieren sie diese.

Gegen Fake News immunisieren

Während diese psychologischen Mechanismen den Kampf gegen Fehlinformationen erschweren, bleibt die Entlarvung von Fake News eine Herkulesaufgabe. «Es braucht umsetzbare Regulierungen im Internet, Fact-Checking-Organisationen, die Förderung von Wissenschaftskommunikation und Bildungsangebote», sagt Sabrina Kessler, um nur einige Massnahmen zu nennen, die in einer Expertenumfrage genannt wurden.

Weil sich Fehlinformationen einfacher in den Köpfen verankern, als sie nachträglich widerlegt werden können, wäre es für die Prävention am effektivsten, wenn sich die Leute sozusagen dagegen immunisieren könnten. Tatsächlich empfehlen Expertinnen und Experten eine Art Impfung gegen Fehlinformationen. Sie soll Menschen helfen, sich auf mögliche Fake News vorzubereiten, und liefert im besten Fall bereits im Voraus die Gegenargumente. «Im Endeffekt bedeutet die Impfung in erster Linie, Fehlinformationen zu entlarven», so Kessler. Das wäre im Fall der elektrisch geladenen Steine einfach gewesen, die Meldung besass fast alle üblichen Merkmale von Desinformation.

Dieser Text stammt aus dem Dossier des UZH Magazins 1/2023

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