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Blockchain

Verteiltes Vertrauen

Mehr Transparenz beim Autokauf: Die Blockchain verspricht, alte Geschäftsmodelle umzuwälzen. Das setzt Vertrauen in die Technologie voraus. Liudmila Zavolokina studiert, wie Nutzerinnen und Nutzer auf die neuen Anwendungen vertrauen – oder eben nicht.
Daniel Saraga
Liudmila Zavolokina
«Man sollte den Nutzern helfen, die Prinzipien der Blockchain-Technologie zu verstehen», sagt die Mathematikerin Liudmila Zavolokina, fotografiert im Technorama Winterthur. (Bild: Ursula Meisser)

 

Der Blockchain-Hype nimmt kein Ende. Darauf basierende Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether sind heute mehr als zwei Billionen Dollar wert, doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Auf dem Kunstmarkt ist gerade Krypto-Art ein heisses Thema. Letztes Jahr wurden rein virtuelle Werke zu Millionenbeträgen versteigert. Und fast täglich werden neue Anwendungen der Blockchain entwickelt.

Was sich hinter dieser zukunftsträchtigen Technologie versteckt, ist für die meisten Menschen so unfassbar wie das Innenleben eines selbstfahrenden Autos. Am besten lässt sich die Blockchain mit dem Hauptbuch, das aus der doppelten Buchführung bekannt ist, vergleichen. Wie in einer Buchführung werden in der Blockchain alle Transaktionen in einem Netzwerk digital und dezentral gespeichert.

Weil alle Einträge miteinander gekoppelt sind, würde eine Manipulation sofort auffallen. Die Blockchain gilt als fälschungssicher und verspricht neue, von privaten und staatlichen Akteuren unabhängige Dienstleistungen in den Bereichen Finanzen, Logis-tik, Versicherung, Authentifizierung oder eben der Kunst.

Keine zentrale Instanz

An der UZH beschäftigt sich unter anderen die Wirtschaftsinformatikerin Liudmila Zavolokina mit den komplizierten Algorithmen, die das Potenzial haben, bestehende Geschäftsverhältnisse umzukrempeln. Die gebürtige Russin ist Teil der Digital Society Initiative der UZH und analysiert die vielfältig einsetzbare Technologie unter dem Aspekt des Vertrauens. Das mag zunächst erstaunen. Denn Blockchains schaffen eine fälschungssichere Umgebung, in der sich die teilnehmenden Parteien, die untereinander Transaktionen abschliessen, grenzenlos vertrauen sollten.

Allerdings sei die Blockchain kein Allheilmittel gegen Misstrauen, sagt die Forscherin. «Wir müssen immer noch den Algorithmen, den Computerspezialisten sowie den anderen Teilnehmern vertrauen. Und in manchen Fällen auch den Institutionen, die das System eingeführt haben.» Dazu kommt, dass Blockchain-Anwendungen keine zentralen Instanzen haben, die zur Rechenschaft gezogen werden können. «Das macht Sanktionen im Falle von Betrug unmöglich», sagt die Forscherin. Die meisten Leute erwarten jedoch, dass Menschen oder Institutionen verantwortlich gemacht werden können.

Die 32-jährige Wissenschaftlerin hat damit ihr ideales Forschungsfeld gefunden. Aus einer Physikerfamilie in Moskau stammend, entschied sie sich «aus Rebellion» zum Studium der Mathematik, wie sie sagt. Danach arbeitete sie in Russland für eine italienische Software-Firma und fand Gefallen an Themen an der Schnittstelle zwischen IT und Wirtschaft.

Für ihre Doktorarbeit suchte sie aufgrund von Empfehlungen ihres damaligen Chefs nach einer Stelle in der Schweiz und stiess auf die UZH, wo sie 2015 am Institut für Informatik anheuerte. Unterdessen arbeitet sie als Postdoc der Digital Society Initiative, ist Mitglied des Blockchain Center (siehe Kasten) und untersucht, wie dezentrale digitale Plattformen der Öffentlichkeit nützen könnten.

Blockchain für Gebrauchtwagenmarkt

Eine visionäre Anwendung betrifft zum Beispiel den Markt für Gebrauchtwagen, bei dem Vertrauen eine besonders wichtige Rolle spielt. Könnten fälschungssichere Blockchains das Misstrauen von potenziellen Käufern gegenüber Händlern zerstreuen? Für ihre Doktorarbeit entwickelte Zavolokina zusammen mit drei Doktorierenden und unter der Leitung von Gerhard Schwabe, Professor für Informationsmanagment, eine entsprechende Plattform.

Die in Zusammenarbeit mit der Auto- und der IT-Branche entwickelte Blockchain enthält alle wichtigen Daten und Ereignisse im Lebenszyklus eines Autos: Von der Einfuhr über Reparaturen und Besitzerwechsel bis hin zur endgültigen Entsorgung ist alles digital hinterlegt. Beteiligt sind alle wichtigen Akteure wie Autoimporteure, Werkstätten, Online-Marktplätze, Versicherungen, Banken und kantonale Verkehrsämter.

Seit zwei Jahren ist die Plattform betriebsbereit. «Anfänglich war es schwierig, die Partner zur Teilnahme zu bewegen, weil nicht alle bereit waren, Informationen und Daten mit den Konkurrenten zu teilen», sagt Liudmila Zavolokina. Unterdessen zählt die Plattform 25 Mitglieder und über elf Millionen Einträge zu Fahrzeugen.

Für Liudmila Zavolokina bot das Projekt «Cardossier» eine perfekte Gelegenheit für ihre Forschung zum Thema Vertrauen. Eine ihrer ersten Thesen lautet: «Vertrauen für die Blockchain-Technologie muss aufgebaut werden.» Dafür seien drei Aspekte entscheidend, sagt sie, und zählt die englischen Begriffe auf: Performance, Process und Purpose. Das heisst, eine Blockchain muss die erwartete Leistung erbringen und ihre Prozesse sowie ihr Zweck müssen nachvollziehbar sein.

Nicht mit Details überlasten

Zavolokina führt aus, dass die Leistung einer Blockchain-Anwendung stark von der Qualität der Daten abhängt, mit denen sie gespeist wird. Daten müssen ohne Fehler – ob absichtlich oder nicht – erfasst und aufgezeichnet werden. Autowerkstätten, Händler oder Versicherer könnten zum Beispiel Anreize haben, die Aufzeichnung einer Reparatur zu vergessen. «Daten sollten kontrolliert, überprüft und genehmigt werden, beispielsweise durch Dritte», sagt sie. Eine Automatisierung der Datenerfassung helfe, das Risiko von menschlichen Fehlern oder Manipulationen zu verringern.

Der zweite Aspekt betrifft die Komplexität der Blockchain-Technologien und ihrer komplizierten Konzepte wie Proof-of-Work, kryptografische Hashfunktionen oder Smart-Contracts. Detaillierte Erklärungen dieser Prozesse können jedoch kontraproduktiv sein, meint Zavolokina: «Man sollte den Nutzern helfen, die Prinzipen der Technologie zu verstehen, ohne sie mit Detailinformationen zu überlasten.»

Beim Zweck geht es darum, die Vorteile einer Blockchain ins rechte Licht zu rücken. Im Prinzip beugt die Technologie Manipulationsrisiken vor, aber dies könnte die Vorstellung erwecken, dass andere Nutzer und Interessenvertreter böswillig sein könnten. Durch die Betonung der Betrugsgefahr, die sie eigentlich verhindern sollen, könnten Blockchain-Anwendungen paradoxerweise potenzielle Nutzer abschrecken.

Claudio Tessone vom Blockchain Center der Universität Zürich ergänzt: «Das Vertrauen in eine Blockchain-Anwendung ist ziemlich abstrakt.» Man müsse nicht jedem einzelnen Teilnehmer vertrauen. «Das Netzwerk ist grösser als die Summe der Teile und bietet eine gewisse Sicherheit.»

Transparenz schaffen

Das Cardossier-Projekt profitierte davon, dass bekannte Unternehmen sowie Behörden an Bord waren, sagt Zavolokina: «Dies hat geholfen, Vertrauen aufzubauen. Generell ist es hilfreich, wenn die Nutzer wissen, wer hinter einem Projekt steht.» Das sei bei kleinen Konsortien eher möglich als bei grossen internationalen und dezentralisierten Plattformen.

Die lokale Kultur spielt jedoch eine wichtige Rolle: «In der Schweiz vertrauen die meisten Bürgerinnen und Bürger den Behörden und privaten Unternehmen.» Anders als in Russland, wo sie herkommt. Dort würde die Beteiligung des Staates das Vertrauen in eine Blockchain-Anwendung eher verringern als erhöhen, sagt sie und zitiert einen beliebten russischen Slogan: «Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.» Die Losung stammt von Lenin.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im UZH Magazin 1/22

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