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Sprachwissenschaft

Das Sterben wird öffentlich

Das Private wird im Internet zunehmend öffentlich und allgegenwärtig. Das gilt auch für Themen wie Tod und Trauer. Die Sprachwissenschaftlerin Karina Frick untersucht, nach welchen Regeln online getrauert wird.
Karina Frick
Soziale Medien ermöglichen neue Formen kollektiver Trauer: Dieses Bild wurde nach dem Terroranschlag vom Dezember 2016 in Berlin auf Twitter verbreitetet.

 

Verstirbt heutzutage eine Person des öffentlichen Lebens, werden unsere Newsfeeds mit #RIP-Hashtags, Beileidsbekundungen und Nachrufen überflutet. Längst hat der Tod und die damit einhergehende Trauer im Internet Einzug gehalten – nicht nur auf virtuellen Friedhöfen, wo man eine Gedenkseite einrichten, eine virtuelle Kerze anzünden oder sich in ein Kondolenzbuch eintragen kann. Auch auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram findet man Trauerbekundungen, auch dort wird bei einem Todesfall mit Sprache, Bild und Ton getrauert, getröstet und kondoliert.

Gemeinsam mit der Sprachwissenschaftlerin Christa Dürscheid befasse ich mich am Deutschen Seminar mit solch neuartigen Formen digitaler Trauer. In unserer Forschung fragen wir nach den charakteristischen sprachlichen Merkmalen von Online-Trauer. Zudem interessiert uns, wie sich der öffentliche Umgang mit Trauer im Internet auf unser gesellschaftliches Konzept von Trauer auswirkt – darauf also, was wir mit dem Begriff Trauer verbinden und welche kommunikativen Handlungen (z.B. Beileidsbekundungen) das Trauern nach sich zieht.

Über die Kerngruppe hinaus

Noch vor nicht allzu langer Zeit galten Tod, Trauer und das Abschiednehmen von einem geliebten Menschen als private Themen, die dem engsten Familien- und Freundeskreis vorbehalten waren und strengen gesellschaftlichen Konventionen unterlagen. Diese bezogen sich beispielsweise darauf, wer über einen Todesfall informiert wird, wie darüber informiert wird und in welcher Art und Weise man sein Beileid zum Ausdruck bringt.

Heute hingegen sind Trauer und Tod in der Öffentlichkeit des Internets nicht nur allgegenwärtig, sondern grundsätzlich auch (fast) allen zugänglich. Dadurch können sich Personen zu einem Todesfall äussern, die im traditionellen Verständnis nicht zur Kerngruppe der Trauernden gehören und die verstorbene Person vielleicht nicht einmal persönlich gekannt haben.

Das ist nicht nur bei Todesfällen von Prominenten zur gängigen Praxis geworden. Auch bei tragischen Ereignissen wie Terroranschlägen oder Flugzeugabstürzen, bei denen viele Menschen gleichzeitig ihr Leben verlieren, wird das Mitgefühl mit den Hinterbliebenen auf diese Weise zum Ausdruck gebracht.

Während Friedhöfe zunehmend verwaisen, boomen virtuelle Gedenkstätten im Internet. (Foto: Ikar.us, Wikipedia)

Virtuelle Trauergemeinschaften

Gerade in solchen Kontexten bilden sich im Internet virtuelle Trauergemeinschaften, die über Hashtags, auf Gedenkseiten oder in Trauerforen zusammenfinden und sich gegenseitig Trost spenden oder – besonders bei als bedrohlich empfundenen Geschehnissen – sich Mut zusprechen und sich gegenseitig beruhigen.

Darin liegt sicherlich ein wichtiger Grund für die Nutzung digitaler Trauerangebote: Man kann seine Gefühle mit Menschen teilen, die angesichts der schrecklichen Vorkommnisse ähnlich empfinden – ob diese Empfindung am Ende Trauer, Angst oder Wut ist. Dass diese Emotionen oft nahe beieinanderliegen, zeigt sich gerade im Nachgang zu Ereignissen mit politischer Dimension (z.B. Terroranschläge), wenn Solidaritätsbekundungen und Shitstorms nah aufeinanderfolgen.

Zweifel an der Echtheit

Insofern überrascht es kaum, dass das öffentliche Trauern und Abschiednehmen immer wieder zu Kritik führt, sowohl bei den Internetnutzerinnen und -nutzern selbst als auch in der massenmedialen Berichterstattung über dieses Thema: von «Pseudosolidarität» ist dabei ebenso die Rede wie von einem «Betroffenheitsgetue», das lediglich dem Sammeln von Likes – der wichtigsten Aufmerksamkeitswährung im social media-Zeitalter – diene.

Ein zentraler Kritikpunkt in diesen Diskussionen ist also, dass die geteilten Trauergefühle nicht echt seien, dass sie nur der Selbstinszenierung dienten. Gerade der partizipative Charakter des Internets, das alle zum Mitmachen einlädt, scheint der geforderten Echtheit im Ausdruck von Gefühlen im Weg zu stehen. Dass es offenbar noch keine klaren Regeln gibt, wie man im Internet trauert, das macht diese neuartigen kollektiven Trauerformen zu einem ebenso interessanten wie vielversprechenden Untersuchungsgegenstand.