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Todesrituale

Vom Umgang mit dem Tod

Rituale spielen beim Tod eines Menschen eine wichtige Rolle und können den Angehörigen Halt und Orientierung geben. Jede Kultur kennt unterschiedliche Rituale, die sich im Kontext moderner Technologien und gesellschaftlichen Wandels verändern. Eine Tagung an der UZH befasst sich kommende Woche mit diesem Thema.
Marita Fuchs
Dorothea Lüddeckens
Organisieren eine Tagung zu Todesritualen: Dorothea Lüddeckens (rechts) und Lilo Ruther.

 

Noch vor etwa 50 Jahren war es auf dem Land üblich, Tote im Haus aufzubahren. Man wusch die Toten und zog ihnen die besten Kleidungsstücke über. Die Nachbarn waren für den Kranz zuständig. Sie kamen, kondolierten und nahmen Abschied von dem Toten, der im offenen Sarg lag. Je nach Kanton oder Land versammelten sich Alt und Jung um den Sarg und sprachen Gebete. Einige Tage später fand eine Messe statt und der Tote wurde auf dem Friedhof beerdigt. Auch hier begleitet von vertrauten Ritualen.

Individuelle Todesfeier

Rituale wachsen auf dem Boden einer bestimmten Kultur. Sie haben keinen individuellen Urheber, doch wenn die Kultur sich ändert, ändern sich auch die Rituale. Entsprechend geht es heute bei der Verabschiedung von Verstorbenen ganz anders zu und her. In den meisten Fällen stirbt ein Mensch nicht mehr zu Hause, sondern in Institutionen wie Spitälern oder Pflegeheimen. Das Waschen und Aufbahren besorgen professionelle Bestatter. Der Tote – bereits aufgebahrt – wird in der Regel nur von den engsten Angehörigen gesehen. «Interessant ist, dass ähnliche Veränderungen von Todesritualen auch in anderen Kulturen zu beobachten sind, wie etwa in Japan oder bei den Parsen in Indien», sagt Dorothea Lüddeckens, Professorin für Religionswissenschaft. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Todesritualen.

In Zürich werden inzwischen 80 Prozent aller Verstorbenen kremiert. Immer beliebter wird das Verstreuen der Asche, und zwar an jenen Orten, wo der Verstorbene sich besonders gern aufgehalten hat; etwa in den Bergen oder auf hoher See.

Das Bestattungsritual kann ganz unterschiedlich verlaufen: Von der kirchlichen Feier bis zur Party mit bunten Luftballons und dem Abspielen der Lieblingsmusik des Toten. Anstatt des Priesters hält ein Redner eine Ansprache, um dem Verstorbenen zu gedenken. Kreativ gestalten sich oft Bestattungen mit «Freien Ritualleitern». Diese entwickeln gemeinsam mit den den Hinterbliebenen neue Formen, bei denen die Teilnehmenden oft intensiv am Ritual beteiligt sind. Hier kann auch getanzt werden, die Urne mit duftenden Ölen behandelt und von Hand zu Hand zum Grab gereicht werden. Damit haben ganz neue Formen der Bestattung Einzug in unsere Kultur gehalten.

Fankurve auf dem Friedhof

Lüddeckens macht für die heutige Zeit zwei Tendenzen aus: Zum einen verschwinden der Tote und der Tod immer mehr aus dem Gesichtsfeld, vor allem weil professionelle Helfer und bezahlte Anbieter viele Arbeiten übernehmen.

Zum anderen ist laut Lüddeckens eine Individualisierung der Ritualpraktiken zu beobachten. Allgemeinverbindliche Rituale für alle gelten nicht mehr, heute ist der individuelle Lebensstil oft massgebend für die Art und Weise, wie der oder die Verstorbene bestattet wird. Während Einzel- und Familiengräber an Bedeutung verlieren, entwickeln sich neue Formen von Gruppengräbern – unter anderem für Menschen, die sich gemeinsam für etwas begeistern konnten oder einen gemeinsamen Lebensstil hatten, wie zum Beispiel die Fans einer bestimmten Fussballmannschaft. «Mit der Veränderung von Familienstrukturen, der Urbanisierung und Technisierung geht die Tendenz zur Individualisierung von Totenritualen einher», bilanziert Lüddeckens. So verliert die Begräbniskultur ihren verbindlichen Regelsatz und wird vielfältiger.

Death-Awareness

Trauer und Gedenken sind seit geraumer Zeit auch Teil des öffentlichen Raums. Wie im Falle des Todes von Lady Diana oder den jüngsten Anschlägen von Paris wird der Ort des Geschehens zur Gedenkstätte. Aber auch Blumen und Kerzen für Unfalltote an den Strassen wachsen sich zu Erinnerungsorten aus. Früher hatte der Ort des Todes kaum Relevanz, die Begräbnisstätte war wichtiger. Heute wird der Ort eines unfassbaren Schreckens zum Mahnmal.

Dieser Wandel hat historische Ursachen. Seit den 60er Jahren zeichnet sich die Tendenz zur individuellen Todesfeier ab. Angestossen wurde sie durch die Death-Awareness-Bewegung, die aus den USA nach Europa überschwappte, und der Hospizbewegung im Zusammenhang mit der Ausbreitung von AIDS. Kirchliche Rituale spielten für diese Gruppe kaum eine Rolle. Der Wille, den Toten zu gedenken und sie zu feiern, führte zu alternativen Bestattungsformen.

«Unterschiedliche Lebensstile führen offenbar auch zu ganz unterschiedlichen Todes- und Bestattungsritualen, hält Lilo Ruther, wissenschaftliche Assistentin am Religionswissenschaftlichen Seminar der UZH fest. Ruther forscht zu freien Todesritualen in der Schweiz.

Tagung mit Kulturvergleich

Um Kontinuität und Wandel von Todesritualen geht es am 20. und 21. Mai auch an einer Tagung, die Dorothea Lüddeckens und Lilo Ruther gemeinsam mit Philipp Hetmanczyk, der zu chinesischen Bestattungsritualen forscht, organisieren. An der Tagung wird der Wandel von Todesritualen in unterschiedlichen Kulturen und Religionen zur Sprache kommen – neben Europa etwa auch in Benin, Japan oder den USA.