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Personalisierte Medizin

Das persönliche Kapitel im Buch des Lebens

Zum Auftakt der neuen Ringvorlesung über personalisierte Medizin vermittelten Molekularbiologe Michael Hengartner und Systembiologin Christina Ludwig dem zahlreich erschienenen Publikum biologisches Grundlagenwissen.
Marita Fuchs
«Lediglich der tausendste Teil der DNA ist für individuelle genetische Unterschiede verantwortlich», erklärt Molekularbiologe Michael Hengartner. Rechts im Bild: Systembiologin Christina Ludwig. (Bild: Marita Fuchs)

Unter dem Titel: «Personalisierte Medizin: Hoffnung oder leeres Versprechen?» bietet «Life Science Zürich» in diesem Semester eine spannende Vorlesungsreihe an, die dem Phänomen der personalisierten Medizin auf den Grund gehen will und sie von verschiedenen Aspekten aus beleuchtet. Am vergangenen Donnerstag machte Molekularbiologe Michael Hengartner, designierter Rektor der UZH, zusammen mit Christina Ludwig vom Institut für Molekulare Systembiologie an der ETHZ, den Anfang.

Massgeschneiderte Medikamente

Die personalisierte Medizin will Prävention und Therapie von Krankheiten auf die individuelle genetische Prägung von Patienten ausrichten. Der Schlüssel dazu liege im Genmaterial – der DNA, sagte Hengartner.

Die Gene der Menschen gleichen sich zu 99.9 Prozent. Und doch sieht jeder von uns anders aus und verhält sich individuell. Wie kommt das? Lediglich der tausendste Teil der DNA sei für die genetischen Unterschiede verantwortlich, so Hengartner. Was sich nach wenig anhöre, sei im Reich der Genomik sehr viel: Hinter den 0.1 Prozent stehen mehrere Millionen Unterschiede in den Gensequenzen, die letztendlich bestimmen, ob wir grüne oder blaue Augen haben, blonde oder braune Haare, lange oder kurze Beine. Dies sei sozusagen das individuelle Kapitel im Buch des Lebens, erklärte Hengartner.

Seitdem man das menschliche Genom analysiert hat, besteht nun die Möglichkeit, die genetischen Unterschiede jedes Einzelnen in der Medizin zu nutzen. Noch vor kurzem war die Analyse und Interpretation der menschlichen Erbsubstanz mit ihren rund 25'000 Genen teuer und aufwändig. Heute kann man Teile seines Genoms in wenigen Tagen sequenzieren lassen, und die Preise dafür fallen noch viel schneller als diejenigen von Computerchips. Massgeschneiderte, auf das Individuum abgestimmte medikamentöse Therapien treten damit in den Bereich des Möglichen.

Gefährliches Rattengift

Hengartner nannte «Warfarin» als ein Beispiel. Es ist eine Substanz, die als Rattengift entwickelt wurde. In hohen Dosen lässt sie die Nager innerlich verbluten. Als Blutgerinnungshemmer wirkt sie jedoch auch beim Menschen, wobei die Dosierung verständlicherweise sehr kritisch ist.

Viele Menschen, die einen Gerinnungshemmer benötigen, profitieren von Warfarin und bauen es in der davor vorgesehenen Zeit in der Leber ab. Andere jedoch reagieren mit einem verzögerten Abbauprozess. Bei diesen Menschen kann Warfarin toxisch wirken und die Einnahme kann lebensbedrohlich sein. Eine weitere Gruppe baut die Substanz in der Leber so schnell ab, dass das Medikament erst gar nicht zur Wirkung kommt. Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Aktivität der Warfarin-abbauenden Enzyme. Da mit einem genetischen Test leicht der Enzym-Typ eruiert werden kann, ermöglicht diese Information die individuelle Medikamentierung von Warfarin.

Es steht nicht alles in den Genen

Allerdings sind Ursache und Wirkung häufig nicht so eindeutig wie beim Warfarin. Oft haben Krankheiten viele Ursachen und die genetischen Dispositionen sind komplex. Hinzu kommt, dass sich die Genexpression auch während des Lebens verändert. Eineiige Zwillinge haben zwar dieselben Gene, deren Expression divergieren jedoch mit der Zeit. Deshalb sterben eineiige Zwillinge auch nicht zum gleichen Zeitpunkt an ein und derselben Krankheit.

Steuernde Proteine

Zudem spielen nicht nur die Gene im Gesamtgeschehen eine Rolle. Wie Christina Ludwig von der ETH Zürich im zweiten Teil der Veranstaltung ausführte, sei mit der Genomik noch längst nicht alles erklärt. Bis vor einigen Jahren habe man noch gedacht, ein Gen gebe den Befehl, ein Protein zu bauen und dieses Protein übernehme eine spezifische biologische Aufgabe und bestimme so auch Eigenschaften des Organismus. Heute wisse man, dass es nicht so einfach sei. «Die Kartierung des Genoms war und ist eine grossartige Sache», sagte Ludwig, doch sie sei erst der Startpunkt und nicht das Ende der Wissenschaft vom Leben.

Weitere Erkenntnisse erhoffe man sich nun von der Proteomik. Es handelt sich dabei um ein relativ neues Fachgebiet, das die Genomik ergänzt. Proteomik ist die Lehre von den Proteinen, die die Gesamtheit aller Proteine in der Zelle samt all ihren Interaktionen zu erfassen sucht. Das Geschehen in der Zelle ist komplex: Da gilt es fein austarierte Regelkreise, Steuersignale, Rezeptoren und Reaktionskaskaden zu verstehen. Christina Ludwig nannte als Beispiel die Entwicklung des Brustkrebswirkstoffs Herceptin.

Der Wirkstoff blockiert auf der Oberfläche der Krebszellen den sogenannten Her2/neu-Rezeptor. Da über diesen Rezeptor das Zellwachstum gefördert und der Zelltod verhindert wird, soll Herceptin das Krebswachstum hemmen. Nur jede fünfte Brustkrebspatientin hat besonders viele Her2-Rezeptoren auf ihren Brustkrebszellen; wer zu dieser Gruppe gehört, kann mit einem Test ermittelt werden, der die Konzentration von Her2/neu dank Antikörper-Bindung misst.

Offene Fragen

Neben der Proteomik gibt es noch weitere Player im Spiel: Ergänzend zur Genomik und Proteomik müssen auch auf dem Gebiet der Transkriptomik, dem «Kopieren» von Genen, und der Metabolomik geforscht werden, erklärten Ludwig und Hengartner. Metabolomik befasst sich mit den Metaboliten, kleinen organischen Molekülen, die an verschiedenen zellulären Prozessen beteiligt sind und die aufzeigen, wie der Stoffwechsel einer Zelle oder eines Lebewesens funktioniert. Auch hier stehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erst am Anfang ihrer Suche nach dem individuellen Kapitel im Buch des Lebens.