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Neue Prorektorin gewählt

«Mehr Zeit fürs Wesentliche»

Andrea Schenker-Wicki, Professorin für Betriebswirtschaft und Direktorin des Management-Weiterbildungsstudiengangs Executive MBA, übernimmt per August 2012 als Prorektorin Rechts- und Wirtschaftswissenschaften die Nachfolge von Egon Franck. Sie ist die dritte Frau in der Geschichte der UZH, die Mitglied der Universitätsleitung wird.  
Interview: David Werner
Andrea Schenker-Wicki: «Kreativität braucht Zeit, das ist nun einmal so.»

Frau Schenker-Wicki, herzliche Gratulation zu Ihrer Wahl zur Prorektorin!

Andrea Schenker-Wicki: Vielen Dank. Ich bin sehr glücklich darüber, dass der Senat und der Universitätsrat mir das Vertrauen ausgesprochen haben.

Wie interpretieren Sie Ihre zukünftige Rolle als Prorektorin?

Ich sehe mich vor allem in einer Dienstleistungsfunktion. Ich will mithelfen, die Bedingungen an der Universität so zu gestalten, dass Forscherinnen und Forscher sich auf ihre Kernaufgaben - Forschung und Lehre - konzentrieren und Studierende sich optimal auf das vorbereiten können, was draussen auf sie wartet. Das Berufsleben ist härter, anforderungsreicher geworden. Die heutige Studierenden-Generation wird einem grösseren Wettbewerb ausgesetzt sein und aufgrund der demographischen Entwicklung grössere Lasten zu tragen haben als meine Generation. Es ist daher eine Aufgabe von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, die jungen Leute entsprechend vorzubereiten.

Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin schon seit langem mit der Frage, wie man Hochschulen am besten organisiert. Hochschulmanagement ist einer Ihrer Forschungsschwerpunkte. Haben Sie sich aus diesem Grund für das Amt der Prorektorin zu interessieren begonnen?

In der Tat, das war einer der Gründe. Ich hoffe, dass ich in die Universitätsleitung einiges Wissen einbringen kann, das zur Weiterentwicklung unserer Hochschule von Nutzen ist.

Gibt es eine Quintessenz Ihrer Forschung über Hochschulmanagement?

Auf einen einfachen Nenner gebracht, geht es mir immer um die Frage, wie man aus den vorhandenen Ressourcen das Beste macht und die Organisation so gestaltet, dass der Lehrkörper seine Kernkompetenzen wahrnehmen kann und nicht durch Administratives unnötig belastet wird. Mit dieser Fragestellung trete ich nun auch an meine Aufgaben als Prorektorin heran. Die Universität Zürich ist bereits auf einem sehr guten Weg: Wir gehören zu den führenden Forschungsuniversitäten, im Shanghai-Ranking belegen wir zurzeit den stolzen Platz 56 unter 10'000 Colleges und Universitäten weltweit. Aber je weiter vorne man steht, desto schwieriger wird es bekanntlich, sich noch weiter zu verbessern: Das braucht einen grossen gemeinsamen Effort und natürlich auch finanzielle Ressourcen.

Welche Aufgabe werden Sie als Prorektorin als erstes anpacken?

Ich werde zuerst einmal viel zuhören. Ich schiesse nicht gleich mit Vorschlägen drein. Bei den zahlreichen Hearings, zu denen ich im Zuge des Bewerbungsverfahren um die Prorektorats-Stelle geladen war, habe ich realisiert, wie vielfältig unsere Universität ist und wie unterschiedlich die Gepflogenheiten und Denkweisen der einzelnen Fakultäten sind. Da muss ich noch viel lernen.

In einer Ihrer jüngsten Studien haben Sie untersucht, ob Reformprozesse die Innovationsfähigkeit von Hochschulen bedrohen. Was war das Ergebnis?

Die Studie hat gezeigt, dass es ein Problem ist, wenn an Hochschulen vertraute Strukturen in kurzen Abständen immer wieder geändert werden. Dann kommen die Leute nicht zur Ruhe. Es gilt die Faustregel: Pro Hierarchiestufe braucht es ein Jahr, bis eine Reform verdaut ist. Reformen müssen daher sorgsam und mit Augenmass angegangen werden. Verschleppen darf man sie dabei aber auch nicht. Sonst hinkt man plötzlich der Realität hinterher und die Motivation schwindet.

Wie ist Ihrer Meinung nach die Bologna-Reform gelungen?

Ich halte diese Reform für eine sehr wichtige Reform, die dem europäischen Hochschulraum sehr gut ansteht. In der Schweiz ist die Umsetzung der Reformen etwas einfacher gewesen als in Deutschland oder Österreich – auch dank grösserer finanzieller Mittel. Ich halte es jetzt aber für opportun, dass man gewisse Entwicklungen und Umsetzungsmodi überdenkt. Zum Beispiel die Aufsplitterung gewisser Studiengänge in Kleinstmodule. Das führt zu einem Übermass an Prüfungen und dazu, dass die Studierenden den Stoff ins Kurzzeitgedächtnis pressen und dann wahrscheinlich auch grosse Teile wieder vergessen, da sie sich eiligst auf die nächste Prüfung vorbereiten müssen. Das kann nicht der Zweck eines Studiums sein.

Eine zentrale Aufgabe der Universität ist die Nachwuchsförderung. Haben Sie Ideen, in welche Richtung die Entwicklung im Mittelbau gehen soll?

Der Mittelbau ist ganz wichtig. Er ist unsere Zukunft. Der Mittelbau stellt uns aber auch vor grosse Herausforderungen: Nicht alle Doktorierenden werden später Professorinnen und Professoren. Wir bilden im Mittelbau auch Leute für Führungspositionen in der Wirtschaft und im Staat und in der Gesellschaft aus. Ein Doktorat hat für diese Gruppe eine ganz andere Funktion als für künftige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir müssen Lösungen finden, wie wir diesen Unterschieden besser Rechnung tragen.

Ihre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen des Hochschulmanagements erfolgte aus spezifisch ökonomischer Perspektive. Kann man eine Hochschule wie ein Unternehmen allein nach Effizienzkriterien führen?

Ich bin Ökonomin, klar, das lässt sich nicht leugnen. Aber das heisst nicht, dass mir die Unterschiede zwischen Unternehmen und Hochschulen nicht bewusst wären. Wenn ich davon spreche, an Hochschulen die Effizienz zu steigern, dann meine ich damit nicht, dass die Produktion blindwütig angekurbelt und der Output auf Teufel komm raus erhöht werden soll. Mir geht es darum, durch geschickte Organisation möglichst viele Freiräume für kreative Leistungen in der Forschung zu schaffen. Wir müssen alles daran setzen, die Zeitressourcen der Forschenden zu schonen. Denn Kreativität braucht Zeit, das ist nun einmal so. Ich möchte, dass man von unserer Universität sagt: «Die UZH ist ein wunderbarer Ort für Forschung, hier steht einem neben einer sehr guten Infrastruktur auch noch genügend Zeit dafür zur Verfügung.» Wir müssen der Musse Sorge tragen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich als Lateinschülerin die Vokabel «otium» –  «Musse» – lernen musste, und überhaupt nicht verstand, was das ist. Es war mir ein Rätsel, warum alle diesem «otium» so hohe Bedeutung beimassen. Heute weiss ich es.

Sie möchten die Forschenden von administrativen Aufgaben entlasten, um mehr Freiräume für die eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit zu schaffen. Bedeutet dies, dass die Angestellten in den zentralen Diensten mehr und schneller arbeiten müssen?

Aber nein! Ich habe grossen Respekt vor der Leistung der Zentralen Dienste, sie sind die Voraussetzung für das Funktionieren der Universität. Ich kenne den Verwaltungsbereich auch aus meiner Zeit beim Bund sehr genau und weiss, dass dort hart gearbeitet wird. Vieles ist aber auch hier eine Frage der Organisation, und ich bin mir fast sicher, dass man einige Prozesse noch optimieren könnte.

Nochmals zurück zum Thema Forschungs-Freiräume: Wann haben Sie persönlich realisiert, wie wichtig es ist, Musse zu haben?

Es war Ende der Neunzigerjahre, bevor ich als Professorin an die Universität Zürich kam und noch als Chefin der Sektion Hochschulen beim Bundesamt für Bildung und Wissenschaft tätig war. Damals war das neue Hochschulförderungsgesetz in Arbeit. Das war eine sehr strenge Zeit, und ich kam oft an die Grenzen meiner Kapazität, weil ich gleichzeitig noch als Privatdozentin in St. Gallen tätig war. Dabei realisierte ich: Wenn die Freiräume fehlen, bleiben auch die guten Ideen aus. Dann ist alles nur noch blinde Mechanik.

Wann kommen Ihnen die besten Ideen?

Im Bett, im Bad und im Bus. Auf diese drei «B’s» schwöre ich.

Was tun sie in Ihren Mussestunden?

Ich interesse mich leidenschaftlich für Geschichte, speziell für Wirtschaftsgeschichte. Ich lese gern Biografien. Und ich höre viel Musik, insbesondere Klavierkonzerte. Die lasse ich, wenn sonst niemand daheim ist, gern schallend durchs Haus dröhnen. Das entspricht meinem Temperament. Wenn allerdings die Kinder heimkommen, muss ich sofort runterschalten. Die beschweren sich immer mit: «Mami viel zu laut, stell ab!»

Sie sind Professorin für Betriebswirtschaft, zugleich sind Sie Direktorin des erfolgreichen Weiterbildungsprogramms Executive-MBA . Als Prorektorin werden Sie zumindest in einem der beiden Bereiche kürzer treten müssen.

Ich werde in der Lehre zurückstufen müssen, das EMBA, das sich selbst aufgebaut habe, werde ich nach Möglichkeit weiter betreuen.

Was sagte Ihre Familie zu Ihrem Entscheid, Prorektorin der Universität zu werden?

Mein Mann und meine beiden Kinder haben mich sehr unterstützt, sonst hätte ich diesen Schritt nicht getan. Meine siebenjährige Tochter sagte – was mich sehr rührte: «Du musst machen, was für dich gut ist.»

Wie haben Sie es als Professorin geschafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen?

Ohne die Hilfe meines Mannes, der sich ebenfalls stark an Erziehungsaufgaben beteiligt, würde es nicht gehen. Zudem habe ich das Glück, dass wir direkt neben meinen Eltern wohnen, die einen guten Teil der Kinderbetreung übernehmen und immer wieder einspringen, wenn Not ist.

Soviel Glück haben nicht alle Frauen, die Kinder haben und eine akademische Karriere machen wollen. Werden Sie sich speziell für Gleichstellungs-Anliegen einsetzen?

Ich habe immer gesagt: Wenn mehr Frauen an den Hochschulen bleiben sollen, müssen wir die Angebote zur Kinderbetreuung deutlich verbessern. Wir brauchen mehr Krippenplätze und längere Öffnungszeiten in den Krippen. Ausserdem finde ich es dringend nötig, dass die Scientific Community sich auf Standards einigt, die den Wettbewerbsnachteil ausgleicht, den Forschende mit Erziehungspflichten nun einmal haben. Kinder erfordern Zeit und Kraft, und insbesondere in der Babypause können Frauen kaum mehr forschen und publizieren. Dem muss man mehr Rechnung tragen.

Es ist wichtig, dass auch gut ausgebildete Frauen in anspruchsvollen Stellen Kinder und Familie haben und diese Dimension des Lebens leben können. Und es ist wichtig, dass mehr Frauen in Führungsfunktionen gelangen. Gemischte Führungsgremien haben nämlich eine viel bessere Performance als reine Männer- oder reine Frauengremien. Das ist empirisch erwiesen.

Das verheisst ja viel Gutes für die künftige Konstellation in der Universitätsleitung.

Ich glaube, wir werden in diesem Gremium gut zusammenarbeiten, und ich freue mich sehr darauf. Jeder, der mich kennt, weiss, wofür ich stehe. Und alle sollen wissen, dass man mit mir gut diskutieren kann und ich guten Argumenten niemals abgeneigt bin.