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Jahr der Quantenwissenschaft

«Wir sind in der zweiten Quantenrevolution»

Vor 100 Jahren legte Erwin Schrödinger an der UZH die Basis für die Quantenmechanik. Diese veränderte das physikalische Weltbild fundamental und befeuerte neue Technologien. Physiker Titus Neupert zu Quantencomputern, neuen Sensoren und zur Stabilität von Tischen.
Interview: Thomas Gull und Roger Nickl; Bilder: Stefan Walter
Drei Portraitbilder von Titus Neupert
«Die Quantenmechanik entzieht sich völlig unserer Intuition und erscheint zuweilen fast magisch», sagt Physiker Titus Neupert.

Titus Neupert, 2025 ist von der UNO zum Jahr der Quanten­wissenschaft und der Quanten­technologie ausgerufen worden. Was wird da gefeiert?

Titus Neupert: Historisch gesehen wird gefeiert, dass vor 100 Jahren die Quanten­mechanik (Glossar) als physikalische Theorie formuliert wurde. Mehrere Physiker haben dazu massgeblich beigetragen. Vor allem sind Werner Heisenberg zu nennen, der diese Theorie mit Hilfe von Matrizen formulierte, und Erwin Schrödinger, der hier an der Universität Zürich die nach ihm benannte Schrödinger-Gleichung entwickelte. Damit sind wir hier an der UZH an einem ganz besonderen Ort und, was das Jubiläum anbelangt, in einer speziellen Verant­wortung. Deshalb planen wir dazu verschiedene Veranstaltungen (siehe Kasten unten). Die Schrödinger-Gleichung ist eine der tragenden Säulen der Quantenmechanik.

Kleines Glossar zur Quantenphysik

Quantenmechanik

Die Quantenmechanik beschreibt ganz neu, was Materie ist und wie sie mit Naturkräften wechselwirkt. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Quantenobjekte – also etwa Elektronen oder Photonen – je nachdem, wie sie gemessen werden, sowohl als Wellen als auch als Teilchen interpretiert werden können. Erwin Schrödinger ist es mit seiner Gleichung in den 1920er-Jahren gelungen, diesen so genannten Wellen-Teilchen-Dualismus mathematisch anschaulich zu beschreiben.

Quantensprung

Hält man ein schwingendes Pendel auf einer bestimmten Höhe fest, dann hat es hat es potenzielle Energie. Gemäss der klassischen Physik kann diese Energie stufenlos beliebige Werte annehmen. Gemäss der Quantenmechanik gibt es jedoch Abstufungen, sodass nicht jeder Energiewert eingestellt werden kann. Diese diskreten Werte sind die Quanten. Der Begriff des Quantensprungs benennt den Sprung von einem Energieniveau auf ein anderes. Die Energieunterschiede im Atom sind zwar klein, die Niveaus aber kategorisch unterscheidbar. Aus diesem zweiten Grund steht der Quantensprung umgangssprachlich für eine klare Veränderung.

Quantencomputer / Quantenbits

Quantencomputing ist ein Konzept, das im Vergleich zu klassischen Computern eine exponentiell grössere Rechenpower verspricht. Ein Quantencomputer besteht aus Quantenbits, die einzeln angesteuert und miteinander gekoppelt werden müssen. Quantenbits (Qubits) können gleichzeitig in mehreren Zuständen existieren (Superposition) und miteinander verschränkt sein. Das ermöglicht extrem schnelle Berechnungen für komplexe Probleme.
Siehe auch: DSI-Spotlights zu Quantencomputing

Quantenverschränkung

Das Phänomen der Quantenverschränkung ermöglicht es, dass man etwa Photonen oder Atome über grosse Distanzen hinweg miteinander in ein und denselben Zustand bringen kann. Das ist heute über 1000 Kilometer möglich – beispielsweise von einem Satelliten zur Erde – und eröffnet ganz neue technologische Perspektiven wie zum Beispiel abhörsichere Kommunikation in einem zukünftigen Quanten-Internet.

Was hat sich mit der Quantenmechanik fundamental geändert?

Neupert: Für die damaligen Physiker:innnen erschreckend war, dass sie plötzlich vor philosophischen Problemen standen. Die physikalischen Theorien bis dahin waren komplett deterministisch. Nun merkte man, dass Messergebnisse wie beim Lotto vom Zufall abhängig sind und dass man auch die Personen, die Messungen durchführen, nicht unabhängig vom System betrachten kann. Darauf war man konzeptionell nicht vorbereitet. Hinzu kommt, dass Längen-, Zeit- und Energieskalen, die wir aus unserem Alltag kennen, fast komplett irrelevant sind. Das heisst, die Quantenmechanik entzieht sich völlig unserer Intuition und erscheint zuweilen fast magisch.

Was heisst das konkret für die Physik?

Neupert: Das war ein radikaler Wechsel der Perspektive, die die gesamte Physik betrifft. Im Prinzip steht fast alles, was Physiker:innen heute machen, auf quantenmechanischen Füssen. Die Quantenmechanik ermöglicht uns, fundamentale Dinge zu verstehen, etwa die Stabilität von Materie. Der Umstand, dass der Tisch, an dem wir gerade sitzen, stabil ist und nicht in sich zusammenfällt, lässt sich nur mit Hilfe der Quantenmechanik erklären. Was man auch sehen muss: Die Entwicklung der Teilchenphysik wäre ohne Quantenmechanik völlig unmöglich gewesen. Und sie hat ein riesiges Feld von technischen Möglichkeiten für die Halbleiterindustrie, die Pharmabranche, die Chemie und die Materialwissenschaft aufgetan. Momentan sind wir mitten in der zweiten Quantenrevolution.

Worum geht es in dieser zweiten Quantenrevolution?

Neupert: In der ersten Quantenrevolution ging es unter anderem mit Erwin Schrödinger darum, die Quantenmechanik als Naturphänomen möglichst gut zu beschreiben. In der zweiten Quantenrevolution steht nun die Nutzbarmachung dieser quantenmechanischen Systeme in der Technologie im Mittelpunkt. Heute beschäftigen sich Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen mit Quantenkryptografie und damit, wie man Quantencomputer (Glossar) bauen und Quantensensoren entwickeln kann.

Ein Mann mit Bart und Brille (Titus Neupert) gestikuliert während des Sprechens

Quantencomputing verspricht im Vergleich zu klassischen Computern eine exponentiell grössere Rechenpower.

Titus Neupert
Physiker

Was kann denn zum Beispiel die Quantenkryptografie, was herkömmliche Kryptografie nicht kann?

Neupert: Klassische Kryptografie-Methoden basieren auf Logik. Deshalb ist es prinzipiell möglich, einen Schlüssel zu knacken. Die Quantenkryptografie beruht dagegen auf physikalischen Prinzipien. Aufgrund der Quantenverschränkung (Glossar) lassen sich Informationen so übertragen, dass sie absolut abhörsicher sind. Es gibt erste kommerzielle Produkte in diesem Bereich, aber wir sind sicher noch ein gutes Stück davon entfernt, dass diese breitere Anwendung finden.

Das grosse Thema in der Quantentechnologie ist die Entwicklung von Quantencomputern. Wo steht da die Entwicklung und was können solche Rechner besser als klassische Computer?

Neupert: Es gibt heute bereits Quantencomputer auf dem Markt. Das Problem ist aber, dass Quantencomputer eine gewisse Grösse haben müssen, damit exponentielles Wachstum in der Rechenleistung möglich wird und sie unsere herkömmlichen Computer übertrumpfen. Dies setzt voraus, dass die Computer zwei- bis dreimal grösser sind als die, die aktuell gebaut werden können.

Was braucht es, um solche Computer zu bauen?

Neupert: Viele Faktoren spielen da zusammen. Woraus man die besten Quantenbits (Glossar) baut, ist dabei noch eine offene Frage – mehrere Konzepte konkurrieren miteinander. Hier kann auch die Materialforschung einen Beitrag leisten.

In welche Richtung könnte das gehen?

Neupert: Bei den klassischen Computerchips ist Silizium unschlagbar. Bei den Quantencomuptern gibt es noch nichts Vergleichbares. Momentan wird etwa mit kleinen, supraleitenden Bauelementen gearbeitet oder ultrakalten Atomen. Die Ingenieur:innen die sich damit beschäftigen, Geräte für das Quantencomputing zu entwickeln, müssen verstehen, wie Quantenmechanik funktioniert, wenn sie leistungsfähige Computer bauen wollen.

Verfügen sie bereits über dieses Wissen?

Neupert: Bisher noch nicht genügend, weil es noch nicht zu ihrer Ausbildung gehört. Aber das ändert sich, etwa mit Vorlesungen für angehende Ingenieur:innen zur Quantenmechanik. Dasselbe gilt für die Informatiker:innen, denn irgendjemand muss die Quantencomputer programmieren. Google und Microsoft haben bereits entsprechende Programmierumgebungen entwickelt.

Ein Mann mit Bart und Brille (Titus Neupert) gestikuliert während des Sprechens

Dank stark verbesserter Sensorik und Datenverarbeitung könnte man künftig massgeschneiderte Medikamente herstellen.

Titus Neupert
Physiker

Wir haben über Quantencomputer und Quantenkryptografie gesprochen. Erwähnt haben Sie auch die Pharmabranche. Welche Perspektiven eröffnet die Quantentechnologie für die Medizin?

Neupert: Krankheiten wie beispielsweise Krebs manifestieren sich auch auf kleinster, chemischer Ebene in einzelnen Zellen. Fortschrittliche Quantensensoren können solche Veränderungen sehr genau messen, etwa die Bildung von Radikalen. Man kann so Krankheiten nicht nur besser erkennen, sondern auch ihren Fortschritt und den Behandlungserfolg genauer einschätzen. Schliesslich kann man Quantencomputer nutzen, um Medikamente zielgerichtet zu entwickeln. Das knüpft an das grosse Thema der personalisierten Medizin an.

In welchen Bereichen wird aktuell an der UZH in der Quantenmechanik geforscht?

Neupert: Der eine Forschungsstrang ist die Teilchenphysik. Dort geht es darum, fundamentale Naturgesetze zu prüfen und zu erweitern, indem man sehr genaue Messungen bei extremen Bedingungen macht. Das zweite Gebiet sind die sogenannten Quantenmaterialien, dazu gehören die Supraleiter. Solche Supraleiter könnten dereinst auch in Quantencomputern eingesetzt werden. Diese Arbeiten sind sehr experimentell, hochkomplex und mit ungewissem Ausgang. Möglicherweise entsteht so etwas Neues, Unerwartetes.

Weshalb sind Supraleiter so wichtig?

Neupert: Die Supraleitung ist ein Phänomen, das nur dank der Quantenphysik besteht, aber dramatische, wahrnehmbare Konsequenzen hat. Im Zustand der Supraleitung verschwindet bei einer bestimmten Temperatur der elektrische Widerstand von Materialien komplett. Quantenmechanisch kann man das so beschreiben, dass die Elektronen in diesem Supraleiter in einen speziellen Wellenzustand treten und in diesem Wellenzustand völlig reibungslos durch das System gleiten können. Momentan kann man Supraleitung allerdings nur bei sehr tiefen Temperaturen erreichen.

Wo sehen Sie das Potenzial der Quantentechnologie für die Zukunft?

Neupert: Eben beispielsweise in der Medizin, wo man dank stark verbesserter Sensorik und Datenverarbeitung künftig massgeschneiderte Medikamente herstellen könnte. Im Moment ist es allerdings noch nicht vorstellbar, sehr teure Medikamente individuell zu produzieren. Realistischer ist, bestehende Medikamente noch gezielter einzusetzen und damit die Wirkung zu verbessern und die Nebenwirkungen zu minimieren.

Die Medizin ist ein Einsatzgebiet, das für die Menschheit einen grossen Nutzen bringen könnte. Quantentechnologie kann aber auch in Bereichen eingesetzt werden, die potenziell sehr gefährlich sein können, beispielsweise für militärische Zwecke. Wie sehen Sie das?

Neupert: Die Quantentechnologie könnten die Militärtechnologie komplett revolutionieren. Etwa wenn man an Sensoren denkt, die bei Drohnen wichtig sind. Mit Quantensensoren, die viel genauer messen, könnte die Navigation verbessert werden.

Sie haben von der zweite Quantenrevolution gesprochen, in der wir uns jetzt gerade befinden. Weshalb hat es denn 100 Jahre gedauert bis zu dieser zweiten Phase?

Neupert: Um die Quantentechnologie vorantreiben zu können, mussten andere Technologien wie das klassische Computing weit genug entwickelt sein. Das hat einfach so lange gedauert. Doch jetzt stehen wir kurz davor, hier einen weiteren grossen Schritt zu machen. Ich bin optimistisch, dass das gelingt.