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Digitale Religion

Künstliche Intelligenz – zwischen Dämon und Gott

Ein Avatar als Priester, beten per App und Künstliche Intelligenz als Gottheit: Die UZH-Anthropologin Beth Singler untersucht, wie sich KI und Religion gegenseitig beeinflussen.
Adrian Ritter
Mindar: betender Android
Der Roboter Mindar ist im buddhistischen Tempel in Kyoto im Einsatz.

Die Amish sind mit Pferd und Wagen unterwegs, denn in ihrer protestantischen Religionsgemeinschaft ist der Besitz von Autos ebenso verboten wie die Nutzung von Strom eingeschränkt ist. Umgekehrt gibt es religiöse Gemeinschaften, die Künstliche Intelligenz als göttliches Wesen verehren. Die Gegensätze könnten nicht grösser sein, wenn es um Religionen und Technologie geht. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel der aktuell meistdiskutierten Technologie, der Künstlichen Intelligenz (KI).

Grund genug für die Anthropologin Beth Singler, sich als Assistenzprofessorin für «Digital Religion(s)» an der Universität Zürich speziell mit dem Verhältnis von religiösen Gemeinschaften und KI zu beschäftigen. Sie geht etwa den Fragen nach: Wie positionieren sich Religionen zum Thema Künstliche Intelligenz? Wie nutzen sie sie?

Dabei ist für Singler klar: «KI und Religion haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick annehmen könnte.» Beide seien Werkzeuge des Menschen, um bestimmte Ziele zu erreichen und bei beiden gehe es schlussendlich um Hoffnungen, Ängste und Chancen. Wenn Religion dabei als ein Relikt aus der Vergangenheit und KI als Instrument in die Zukunft angesehen werde, sei das zu einseitig betrachtet: «Auch in der Religion geht es um die Entwicklung des Menschen und seine Zukunft – etwa in der Vorstellung von Himmel oder Hölle.»

Der Funke der Schöpfung

Angesichts der Parallelen ist es für Beth Singler kein Zufall, dass die Erzählungen und Diskurse rund um KI denen von Religionen ähneln. «Beim Sprechen über KI bedienen sich sogar nicht-religiöse Menschen oft religiöser Bilder und Geschichten», sagt sie. So wird etwa das Fresko in der Sixtinischen Kapelle mit den sich annähernden Fingern von Adam und Gott in heutigen Darstellungen kurzerhand abgeändert und für KI umgedeutet. Die Technologie wird dadurch zum Schöpfungsakt durch den Menschen oder ein Sinnbild der Verbindung der Menschheit mit einer gottähnlichen KI.

beth singler

KI und Religion haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick annehmen könnte.

Beth Singler
Anthropologin

Dass Religion und KI sich gegenseitig beeinflussen, liegt für Singler auf der Hand. Religionen seien Teil der Gesellschaft. Und in dieser sei der Diskurs über KI heute so präsent, dass sich dies zwangsläufig auch auf religiöse Gemeinschaften auswirke. So ringen diese derzeit um eine Position dem Phänomen KI gegenüber. Dabei gibt es die erwähnten Extrempositionen: Die einen erachten KI als Beschwörung von Dämonen und das Werk von Satan, andere sind enthusiastisch und sehen aus Chatbots neue Formen von Göttern entstehen. So wollte die neue religiöse Bewegung «Way of the Future» eine auf KI-basierte Gottheit erschaffen und anbeten. Gegründet von einem Robotikexperten, hat sich die Gruppe inzwischen zwar wieder aufgelöst. Geblieben ist die breitere Bewegung des Transhumanismus. Diese verfolgt die Idee, die Grenzen des Menschen durch den Einsatz technologischer Verfahren zu erweitern und so vielleicht gar Unsterblichkeit zu erlangen.

Die Diversität ist gross

Aber wie sieht es abseits der Extrempositionen aus? «Da ist vor allem sehr viel Diversität zu finden», sagt Singler. So sei es etwa zu einfach, Buddhismus und Hinduismus als grundsätzlich technologieoffener als andere Religionen zu bezeichnen: «Auch innerhalb einer Religionsgemeinschaft können Ablehnung und Begeisterung parallel vorhanden sein.»

Entsprechend fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus, wenn etwa auf Youtube muslimische Influencer wie Imame oder Scheiche darüber sprechen, ob Androide aus der Sicht des Islam verboten sind – weil es nicht erlaubt ist, Menschen bildlich darzustellen. Offizielle Standpunkte einzelner Religionen sind selten, aber es gibt sie. So hat sich etwa die katholische Kirche mit dem «Rome Call» geäussert: KI müsse transparent sein, dürfe niemanden diskriminieren und ein Mensch müsse immer die finale Verantwortung für die Technologie tragen.

«Auseinandersetzungen von religiösen Gemeinschaften mit neuen Technologien sind oft komplizierte und lange Prozesse», sagt Singler. Bei KI treffe das nur bedingt zu. «Die Coronapandemie hat dazu geführt, dass auch religiöse Gruppen beispielsweise plötzlich virtuelle Räume für Gottesdienste nutzen mussten», so Singler. Dass bei solchen Anwendungen auch KI zur Anwendung komme, sei den Nutzenden vielleicht nicht einmal bewusst.

Pragmatischer Einsatz

Auch ganz bewusst wird Künstliche Intelligenz pragmatisch immer häufiger für religiöse Zwecke genutzt. Bisweilen lassen Pfarrer:innen ihre Predigt mit ChatGPT schreiben oder KI-basierte Apps werden zur Seelsorge eingesetzt und um religiöse Lehren zu vermitteln. Die reformierte Kirche in Nürnberg liess versuchsweise einen Avatar als Priester auftreten. In Japan ist im buddhistischen Tempel in Kyoto der Roboter Mindar im Einsatz – eine Postdoktorandin von Beth Singler untersucht derzeit vor Ort, wie Mensch und Maschine dabei interagieren.

Interessant ist aus wissenschaftlicher Sicht auch der Blick in die Vergangenheit: So lehnten beispielsweise einige fundamentalistische christliche Kirchen in den USA das Kino zuerst vehement ab, da es ihre Anhänger vom Glauben und Kirchgang ablenke. Die spätere Anpassung an die neue Technologie führte bis zu heutigen christlichen Streamingdiensten. «Keine Technologie hat aber je zuvor derart stark die Form einer gestalteten Persönlichkeit angenommen wie KI», sagt Singler. Einen Film konsumieren wir, mit der Künstlichen Intelligenz aber interagieren wir immer stärker so, als wäre sie eine Person.

Erfahrung mit metaphysischen Fragen

Entsprechend stellen sich neuartige Fragen philosophischer und metaphysischer Art – etwa nach Bewusstsein und Intelligenz. Dabei haben Religionen bei der Suche nach Antworten aufgrund ihrer Tradition auch Vorteile. Denn sie sind sich Fragen gewohnt wie: Was macht den Menschen aus? Was bedeutet Schöpfung?

Gerade der Begriff der Schöpfung führt zu interessanten Interpretationen: So gibt es aus religiöser Sicht die Meinung, der Mensch solle sich nicht anmassen, etwas erschaffen zu wollen, dass menschenähnlich ist. Andere sehen Gottes Willen am Werk, wenn seine menschliche Schöpfung KI erschafft.

Was die Zukunft bringen wird, darüber mag Beth Singler nicht spekulieren. Zu offen sei die Entwicklung, zu schnell gingen die technologischen Veränderungen voran. Klar ist für die Anthropologin: «Die Fortschritte in der Fähigkeit von KI zu Konversation sind beeindruckend.» Entsprechend werde KI wohl auch immer ausgefeiltere Predigten schreiben können.

Wird KI sogar zunehmend Priester ersetzen? Singler sieht die Entwicklung nicht in diese Richtung. Eher werde KI noch vermehrt genutzt werden, um religiöse Texte zu vermitteln, in sozialen und spirituellen Fragen zu beraten – und um mit technologischen Innovationen mehr Menschen in die Kirche zu locken. Dass unsere Kultur und Gesellschaft in Zukunft immer stärker von KI geprägt sein wird, davon ist Beth Singler überzeugt. Entsprechend werde auch das Verhältnis von KI und Religion noch enger werden.

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