Gesundheit für Leib und Seele

In welche Konflikte gerät ein christlicher oder muslimischer Intensivmediziner, wenn er mit seinem Team über das Abschalten von lebenserhaltenden Geräten berät? Manche Glaubensgemeinschaften machen medizinische Vorschriften und lehnen z.B. Bluttransfusionen ab – welche Abwägungen müssen Pflegefachkräfte dafür im Notfall treffen? Und wie können Psycholog:innen oder Seelsorger:innen Menschen beim Verfassen einer Patientenverfügung unterstützen?
Alle, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sind in ihrer täglichen Arbeit mit einer Vielzahl von komplexen ethischen Entscheidungen konfrontiert. Zudem gibt es weltweit Bestrebungen, gewisse medizinische Eingriffe wie Schwangerschaftsabbrüche mit Verweis auf religiöse Gründe zu verbieten oder den Zugang zu bestimmten Gesundheitsleistungen aus ökonomischen Überlegungen einzuschränken.
Interdisziplinäre Kompetenzen gefragt
«Viele Entscheidungen im Gesundheitsbereich können besser gefällt werden, wenn sie interdisziplinär abgewogen werden, weil komplexe Sachverhalte zu berücksichtigen sind und verschiedene Berufsgruppen beteiligt sind», betont Michael Coors, Leiter des Instituts für Sozialethik und Dekan der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät (TRF). Er forscht unter anderem zu Fragen der Medizin- und Bioethik.
«Religiöse Überzeugungen sind oft mit bestimmten Moralvorstellungen verbunden», sagt er. «Wir fragen uns, welche Überzeugungen wir im Gesundheitsbereich respektieren müssen und wo allenfalls Grenzen zu ziehen sind. Hier hat die TRF wertvolle Kompetenzen, die wir in Lehre und Forschung einbringen können.»
Gemeinsam mit der Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens, der islamischen Theologin Hadil Lababidi und dem Spiritualitätsforscher Simon Peng-Keller hat Michael Coors deshalb einen neuen interdisziplinären Master-Nebenfachstudiengang konzipiert, der die Schnittstelle von Medizin und Religion aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Aufgegleist wurde er nun unter der Federführung von Hadil Lababidi.
Für alle, die im Gesundheitswesen arbeiten wollen
Der MA Minor «Gesundheit im Kontext von Spiritualität und Religion» mit 30 ECTS kann in drei Semestern studiert werden. Er richtet sich an Masterstudierende aller Fachrichtungen, die sich für ethische Fragestellungen interessieren und religiöse und spirituelle Aspekte ernst nehmen. Sie lernen, auf ethische Dilemmata adäquat zu reagieren und medizinische Interventionen unter Berücksichtigung religiöser Überlegungen kritisch zu reflektieren.
«Wir erwarten ein breites Spektrum von Studierenden mit unterschiedlichen Hauptfächern, vom Psychologiestudenten bis hin zur Ökonomin – alle, die später einmal im Gesundheitswesen arbeiten wollen», sagt Coors. «Auch Medizinstudierende sind an einzelnen Modulen interessiert, auch wenn sie nicht regulär einen ganzen Minor bei uns belegen können.»
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Interdisziplinarität ist immer eine Herausforderung – und wenn sie dann gelingt, eine unglaubliche Chance.
Coors ist sich bewusst, dass es nicht einfach sein wird, die unterschiedlichen fachlichen Prägungen der Studierenden zu integrieren und die Lehrinhalte aus verschiedenen Disziplinen zusammenzuführen. «Wichtig ist, am Anfang eine gute gemeinsame Verständigungsbasis zu entwickeln», sagt er. «Interdisziplinarität ist immer eine Herausforderung – und wenn sie dann gelingt, eine unglaubliche Chance.»
Einen wichtigen Baustein für den vertieften interdisziplinären Austausch bildet in jedem Semester ein Studientag – ein eintägiges Kolloquium, bei dem die Teilnehmenden des Studiengangs ein Fallbeispiel oder ein bestimmtes Thema bearbeiten. «Hier haben wir die Möglichkeit, Expert:innen aus anderen Fachbereichen, aber auch Ärzt:innen und Pflegefachkräfte einzuladen und mit ihnen zu diskutieren», sagt Coors.
Praxisnah und im interprofessionellen Austausch
Das Kernangebot des Studiengangs kommt aus der TRF, wo vorhandene Kapazitäten in den Bereichen Spiritual Care, Medizinethik, Religionen, Weltanschauungen und Spiritualität genutzt werden können. Aber auch Angebote von Instituten anderer Fakultäten werden berücksichtigt wie zum Beispiel des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte (IBME), das an der Medizinischen Fakultät angesiedelt ist.
So wird ein bewährtes Modul zu Spiritual Care angeboten, in dem die positiven und negativen Auswirkungen spiritueller Überzeugungen auf die Gesundheit untersucht werden. Im praktischen Teil des Seminars sammeln die Studierenden während rund zwei Monaten Erfahrungen in der Begleitung von Sterbenden und deren Angehörigen. Die Studierenden lernen dabei, spirituelle Fragen aus der Perspektive der Patient:innen zu begreifen. Dabei wird auch der interprofessionelle Austausch geübt, dem auch der NachdiplomstudiengangCAS Spiritual Care gewidmet ist.