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Pflanzenphysiologie

Natürlicher Ersatz für Pestizide

Bisher garantierten Pestizide hohe landwirtschaftliche Erträge. Doch die chemischen Mittel verlieren zunehmend ihre Wirkung. Pflanzenimmunologen der UZH sind nun einer Alternative auf der Spur. Das Beste daran: Sie stammt aus dem natürlichen Abwehrsystem der Pflanzen selbst.
Santina Russo
Cyril Zipfel erforscht Peptide, die Pflanzen resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge machen könnten.
Cyril Zipfel erforscht Peptide, die Pflanzen resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge machen könnten. (Bild Marc Latzel)

Pestizide waren bisher zweifellos sehr nützlich. Sie bewahren unsere Nutzpflanzen vor allerlei Schädlingen und lassen sie besser gedeihen. Dass Pestizide auch schädlich sind, ist längst bekannt: Sie übersäuern Böden und Gewässer und bedrohen die Biodiversität einheimischer Pflanzen und Tiere. Dennoch, die chemischen Mittel sorgen für hohe Erträge in der Landwirtschaft, was ihren Gebrauch bisher für viele rechtfertigte. Allerdings: So allmächtig sind die Pflanzenschutzmittel gar nicht.  

Bereits heute gehen trotz Pestiziden und spezialisierten Züchtungen weltweit bis zu 40 Prozent der Nahrungsmittelpflanzen durch Schädlinge und Krankheitserreger verloren. Das hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO ermittelt. In Zukunft dürfte sich dieses Problem deutlich verschärfen. «In den nächsten zehn Jahren wird ein Grossteil der heutigen Pflanzenschutzmittel nicht mehr nutzbar sein», sagt Cyril Zipfel, Professor und Leiter des Labors für molekulare und zelluläre Pflanzenphysiologie an der Universität Zürich. 

Denn einerseits werden immer mehr Pestizide verboten oder ihr Einsatz strenger reguliert, weil sie der natürlichen Pflanzen- und Tierwelt schaden können. Andererseits entwickeln sich bei den Krankheitserregern, gegen die die Mittel schützen sollten, zunehmend Resistenzen – sodass das Spritzen nicht mehr hilft. Beispielsweise sind die parasitären Erreger des Kartoffelmehltaus teilweise resistent geworden, ebenso wie Pilzerreger, die Sojabohnen und weitere Pflanzen befallen. «Darum brauchen wir dringend Alternativen, und zwar am besten solche, die die Natur nicht belasten», sagt Zipfel.

Gestresste Pflanzen

Der Pflanzenimmunologe untersucht eine solche mögliche Alternative: Signalisierungspeptide aus dem pflanzeneigenen Immunsystem. Auf diese ist er gestossen, als mit seinem Team untersuchte, wie Pflanzen auf Stress reagieren, etwa auf Erreger wie Bakterien und Pilze oder auf Hitze und Wassermangel. Konkret analysierten die Forschenden, welche pflanzlichen Gene in bestimmten Stresssituationen hochreguliert werden. Dabei erkannten sie, dass unter den Tausenden aktivierter Gene besonders viele als DNA-Vorlage für solche Signalisierungspeptide dienen.

Zwar kannte man die Peptide bereits als wichtige Pflanzenhormone. Doch Zipfels Arbeit zeigt nun, dass diese Moleküle viel zahlreicher und vielfältiger sind als zuvor angenommen. Und dass sie in unterschiedlichen Pflanzen eine ganze Reihe von Prozessen steuern. «Inzwischen wissen wir, dass die Signalisierungspeptide jeden Aspekt des Pflanzenlebens regulieren: von der Samenentwicklung über die Keimung, das Wachstum und die Fortpflanzung bis zu den Reaktionen auf die Umwelt», sagt Zipfel.

Der Clou daran: Die Peptide bilden eine Auswahl an möglichen Schaltern, über die sich Pflanzen steuern lassen – unter anderem könnte man sie resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge machen. Und dies ganz ohne Pestizide, sondern rein mit den natürlichen Mitteln der Pflanzen selbst. «Dazu müssen wir die Signalisierungspeptide aber erst einmal besser verstehen lernen», sagt Zipfel.

Ein komplexes Unterfangen: Schon beim Versuch, möglichst viele dieser Peptide in verschiedenen Pflanzenarten zu identifizieren, stossen die Forschenden auf Herausforderungen, weil die Peptide derart vielfältig aufgebaut sind. Einerseits können sie unterschiedlich gross sein: Manche bestehen aus über hundert Aminosäuren, andere nur aus deren fünf. Andererseits ist in den Peptiden jeweils nur ein Teil relevant für ihre biologische Funktion, manchmal ist das nur ein Bruchteil der ganzen Peptidkette. Das bedeutet auch, dass sich auf der Ebene der DNA nur ein Teil ihres Gens überhaupt als Muster unter den Tausenden anderen Pflanzengenen erkennen lässt. 

Darum muss Zipfels Team teilweise neue computergestützte Methoden entwickeln, um die Signalisierungspeptide zu identifizieren. Dazu kommt die schiere Menge dieser Schaltermoleküle: «Schaut man sich das Erbgut der Pflanzen an, hat jede einzelne davon das Potenzial, Hunderte bis Tausende Signalisierungspeptide zu produzieren», sagt Zipfel.

Wirkung von Signalisierungspeptiden

Nun arbeiten die Forschenden daran, die Vielfalt der Signalisierungspeptide zu dokumentieren und zu untersuchen, wie sie in den Pflanzen wirken. Dafür haben sie das Erbgut von mehreren Hundert Pflanzen ausgewählt, die einen Querschnitt durch den Stammbaum aller Pflanzenfamilien bilden, von Moosen über Blütenpflanzen zu Getreide- und anderen Nutzpflanzen. 

Diese Genome analysieren die Forschenden in einem ersten Schritt mit computergestützten Methoden, um die Peptide zu identifizieren und Hinweise über deren mögliche Funktion zu erhalten. Danach müssen Methoden entwickelt werden, um sie im Labor herzustellen. Schliesslich braucht es jeweils Tests, mit denen sich ermitteln lässt, ob die Peptide tatsächlich die vorhergesagte biologische Aktivität zeigen und mit welchen anderen Molekülen und Proteinen sie interagieren. 

So ermittelt das Team beispielsweise, welche Peptide an welche Rezeptoren in den Zellmembranen binden. Diese Rezeptoren sind essenziell für das Informationssystem der Pflanzen und können Antworten auf verschiedene Reize auslösen. Die Forschenden haben bereits einige Rezeptor-Peptid-Paarungen identifiziert, die zusammenspielen, um eine bestimmte Stressantwort auszulösen. Unter anderem nutzen sie dazu auch künstliche Intelligenz (KI). Genauer: KI-gestützte Modellierung, um die Struktur der Peptide zu bestimmen und Hinweise darauf zu erhalten, an welchen Rezeptor sie binden. Diese Vorhersage bestätigen sie dann im Labor.

Riesiges Puzzle

Zudem hat Zipfels Team beobachtet, dass die meisten untersuchten Peptide zu Beginn ihrer Wirkungskette ähnliche charakteristische Antworten in der Zelle auslösen, und zwar innerhalb von wenigen Millisekunden. Sie aktivieren Kinasen, also Enzyme, die wiederum andere Proteine mit einer Phosphatgruppe versehen und so weitere Signale innerhalb der Zellen auslösen. Und sie schalten an den Zellmembranen den Transport bestimmter Ionen ein, beispielsweise von Calcium-Ionen in die Zellen hinein. 

«Normalerweise ist die Calciumkonzentration in Pflanzenzellen sehr niedrig», erklärt Zipfel. «Dadurch, dass diese plötzlich steigt, wird ein Signal gesendet, das seinerseits weitere Signalprozesse anstösst.» Auf diese Weise lösen die Peptide Kaskaden von Regulierungssignalen aus.

Mehr noch: Manche der Peptidfamilien besitzen zudem eine direkte antimikrobielle Wirkung – und sind theoretisch als Ersatz für Antibiotika denkbar, die aufgrund von Resistenzen immer weniger wirken. Dazu brauche es aber noch ordentlich Forschungsarbeit, sagt Zipfel. «Das Ganze ist ein riesiges Puzzle, das wir zusammenzusetzen versuchen. Inzwischen kennen wir schon einige Puzzleteile und arbeiten daran, herauszufinden, wie sie zusammenpassen. Daneben gibt es Teile, die wir erst noch identifizieren müssen.»

Peptide in der landwirtschaftlichen Praxis?

Künftig will das Team noch mehr von typischen Labormodellpflanzen wie der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) wegkommen und sich auf Nutzpflanzen konzentrieren. Bereits laufen Projekte zu Kartoffel, Tomate und Gerste. Offenbar, so die Erkenntnis des Teams, haben sich die Signalisierungspeptide entlang der Pflanzenstammbäume auseinanderentwickelt. So gibt es Peptide, die nur in Tomaten und ihnen verwandten Arten vorkommen, andere gibt es nur in Getreide.

Eine nächste Herausforderung wird darin bestehen, herauszufinden, wie sich die Peptide in der landwirtschaftlichen Praxis einsetzen lassen. «Dazu braucht es eine enge Zusammenarbeit mit Chemikern und Agronomen», sagt Zipfel. «Besonders spannend wird es, wenn wir für verschiedene Nutzpflanzen jene Peptidfamilien inklusive deren Wirkung kennen, die an der Stressreaktion beteiligt sind.» Genau diese könnten Pflanzen gegen allerlei Gefahren widerstandsfähiger machen – ein natürlicher Ersatz für Pestizide.