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Rechtswissenschaften

In der Champions League des internationalen Handelsrechts

Dem diesjährigen Studierenden-Team des Vis Moot Court ist eine ganz besondere Premiere geglückt: Erstmals konnte in gleich zwei Kategorien der erste Platz unter allen Teilnehmenden erreicht werden. Im Interview mit UZH News beschreibt Rechtsprofessor Leander D. Loacker, warum die Teilnahme an Moot Courts für die Studierenden und die UZH wichtig ist.
Marita Fuchs
moot court
Das Vis-Moot-Team des Studienjahrs 2023/2024: Nathalie Kneisel, Giovanni Giusti, Andrea Staudenmann, Mila Grönros, Franco Fischer, Annalena Schläpfer (v.l.n.r.)

Seit 2018 nehmen Sie, Herr Loacker, zusammen mit Ihrem Kollegen Rechtsprofessor Helmut Heiss die wissenschaftliche Gesamtleitung der Moot Courts an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät wahr. Im März wurde Ihre Arbeit besonders belohnt: Am Vis East Moot in Hongkong erhielten Ihre Studierenden den ersten Platz. Könnten Sie kurz beschreiben, um was es beim Vis Moot Court geht?

Prof. Loacker: Es geht beim Vis Moot Court um die Bearbeitung internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten im Rahmen eines simulierten Verfahrens vor einem Schiedsgericht. In diesem Jahr ging es beispielsweise um Rechtsfragen, die sich mit Blick auf Cyberangriffe und Zahlungsverzug in einem Fall ergeben haben, dem Sensorlieferungen für die internationale Automobilindustrie zugrunde lagen. Kurz gefasst, geht es um komplexe Rechtsfragen in Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Kaufverträgen im Business-to-Business-Bereich. Es geht sozusagen um die grossen Fische und die entsprechend grossen Wirtschaftsfälle.

Was war besonders knifflig an diesen Fällen?

Loacker: Knifflig sind sowohl die materiellrechtlichen wie auch die verfahrensrechtlichen Fragen solcher internationalen Streitfälle. Denn anders als bei herkömmlichen Inlandsfällen kann man – aus schweizerischer Perspektive – nicht einfach auf das vertraute Obligationenrecht oder die nationale Zivilprozessordnung zurückgreifen. Stattdessen verlangt die Bearbeitung dieser Fälle einerseits vertiefte Kenntnisse im Bereich des sogenannten «UN-Kaufrechts» (CISG) und andererseits im Bereich des Schiedsverfahrensrechts. Letzteres ist deshalb massgeblich, weil dem Fall jeweils eine Schiedsvereinbarung der Streitparteien zugrunde liegt, was seiner Behandlung vor staatlichen Gerichten entgegensteht. Genau diese nicht-staatlichen Schiedsgerichte müssen die Studierenden dann als Parteienvertreter auf Kläger- oder Beklagtenseite jeweils von ihrem Rechtsstandpunkt überzeugen.

Dass das ausnahmslos auf Englisch erfolgen muss, macht die Sache zusätzlich anspruchsvoll. Blosses Verständlichmachen reicht hier sicher nicht aus, gefordert ist vielmehr ein souveränes Beherrschen der Rechtssprache im Mündlichen wie im Schriftlichen – auch wenn diese Fachsprache nicht auf der eigenen Muttersprache basiert.

Nach welchen Kriterien werden die Fälle konzipiert?

Loacker: Anders als beim – auf Zürcher Studierende beschränkten – sogenannten «Zürich Moot Court», der an der UZH als eine Art «Vorauswahlverfahren» für den Vis Moot Court konzipiert ist, suchen beim globalen Vis Moot Court nicht wir die Fälle aus, sondern es wird ein einheitlicher Fall für alle Teams weltweit von den Organisatoren zur Verfügung gestellt. Das steigert die Vergleichbarkeit der Leistungen. Typischerweise ist der jeweils gestellte Sachverhalt relativ stark von einem oder mehreren Fällen aus der realen Rechtswelt geprägt. Ebenfalls typisch ist, dass er Probleme zum Gegenstand hat, die entweder in Lehre und Rechtsprechung besonders umstritten sind oder mit denen (wie etwa vor einigen Jahren in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie) teilweise «juristisches Neuland» betreten wird.

Leander Loacker

Im Fall des Vis Moot hat man als Lehrender die Chance, hautnah dabei zu sein, wenn sich grosse Erfolge einstellen.

Leander D. Loacker
Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht

Was müssen sie Studierenden mitbringen, um die anspruchsvolle Aufgabe zu bestehen? Ist Teamgeist gefragt?

Loacker: Neben einem ausgeprägten Interesse an internationalrechtlichen Fragestellungen sind sicherlich gute analytische Fähigkeiten und überdurchschnittliche Englischkenntnisse ein grosser Vorteil. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass gerade diejenigen, die insofern nicht von der besten Position aus starten, teilweise trotzdem besonders eindrücklich reüssiert haben. Das liegt dann jeweils am persönlichen Einsatz und gerade er ist es auch, auf den es letztlich ankommt: Die Teilnahme am Vis Moot Court ist am Ende des Tages etwas für Enthusiasten und diejenigen, die mehr wollen, als nur den Standardstoff einigermassen zu beherrschen.

Trotz aller Wettbewerbsorientiertheit des ganzen Projekts ist der Teamgeist sicher das, was nötig ist, um – aufbauend auf exzellenten Leistungen der Einzelnen – ganz vorne dabei zu sein. Alleine kann man einen Moot nicht gewinnen. Und auch auf Durststrecken, die während des Semesters unweigerlich zu bewältigen sind, gibt es nichts Motivierenderes, als Teil eines tollen Teams zu sein. Auch das ist etwas, was im Studienalltag nicht immer genügend gewürdigt werden kann, im Berufsleben aber entscheidend ist: Komplexe Wirtschaftsrechtsstreitigkeiten sind auch dort kein Betätigungsfeld für verbissene Einzelkämpfer.

Wie viele Studierende traten in Hongkong an? Gab es ein Auswahlverfahren?

Loacker: In Hongkong traten rund 150 Teams weltweit an, in Wien waren es über 370 Teams, die von Fakultäten rund um den Globus zur Teilnahme an den Wettbewerb entsandt wurden.

Von der Zürcher Rechtsfakultät wurden sechs Teilnehmende von uns im Vorjahr für eine Teilnahme ausgewählt. In diesen kleinen Kreis zu gelangen, ist überaus kompetitiv. Das liegt aber keineswegs daran, dass wir hier künstlich hohe Hürden aufbauen wollen, sondern schlicht daran, dass das internationale Niveau des Vis Moot extrem hoch ist. Man kann sicher von einer Champions League des internationalen Handelsrechts sprechen. Dort zu bestehen, verlangt überdurchschnittliches Talent und – noch mehr vermutlich – überdurchschnittliche Motivation.

Worin besteht aus Ihrer Sicht der Vorteil für die Studierenden, wenn sie am Moot Court teilnehmen?

Loacker: Lassen Sie es uns so sagen: Unser Dekan meinte kürzlich, dass die diesjährigen Vis Moot-Teilnehmer an das Semesterabschlussessen der Fakultät eingeladen werden – als Zeichen der Anerkennung ihrer Erfolge. Allerdings sei unklar, wie viele von ihnen dann auch tatsächlich erscheinen werden, denn die meisten werden nach ihrer Teilnahme mit Jobangeboten aus Kanzleien regelrecht geflutet und sind schon im Sommer teilweise gar nicht mehr im Zürich, sondern auf Auslandspraktika etc.

Dem ist nichts hinzuzufügen, ausser, dass dieser Befund zutreffend und einer jener Gründe ist, die eine Teilnahme für angehende Wirtschaftsjurist:innen so lohnenswert machen. Davon abgesehen ist aber auch die ganze Atmosphäre während des Wettbewerbs und seiner langen Vorbereitung regelmässig unvergesslich für die Teilnehmenden. Nicht selten ergeben sich so Freundschaften fürs Leben. Uns ist ein Fall bekannt, in dem die Teilnahme am Vis Moot sogar zum Bund fürs Leben, also zur Heirat geführt hat. Der betroffene Kollege ist heute erfreulicherweise Teil unseres Coaching-Teams.

All das zeigt, dass es beim Vis Moot zwar um einen Wettbewerb geht, aber um einen solchen, der bei allem Kampfgeist doch immer sehr amikal geführt wird und von gegenseitiger Wertschätzung getragen ist.

Was treibt Sie und Ihren Kollegen Helmut Heiss an? Schliesslich ist die Vorbereitung mit sehr viel Aufwand verbunden.

Loacker: Es stimmt, mit der Teilnahme eines Fakultätsteams an einem Vis Moot ist ein grosser Aufwand verbunden, der von personellen über organisatorische bis hin zu beachtlichen finanziellen Belangen reicht. So ist beispielsweise schon das Einwerben von Sponsorengeldern für die Reisekosten der Teilnehmenden eine Herausforderung. Diesen Aufwand muss man tragen wollen. Nach dem diesjährigen Triple-Erfolg (insgesamt drei erste Plätze für die besten Schriftsätze des Gesamtwettbewerbs) tut man sich allerdings schwer, die Regel einzuhalten, nach der man als Betreuer aufhören soll, wenn es am schönsten ist.

Es macht einfach zu viel Freude, zu sehen, welche Entwicklung die jungen Kolleg:innen nehmen, die im September eines Jahres noch als neugierige Interessierte beginnen und Ende März des Folgejahres eine Persönlichkeitsentwicklung aufweisen, die sie vielleicht in mehreren Jahren davor nicht gemacht haben. Das wiederum ist geradezu ein Idealziel der universitären Lehre. Während sich aber solche Erfolge ansonsten oft erst nach geglücktem Berufseinstieg einstellen, hat man im Fall des Vis Moot als Lehrender die Chance, hautnah dabei zu sein, wenn sich diese Erfolge einstellen. Das ist ein Privileg, das wir gerne wahrnehmen. Und dass die Rechtswissenschaftliche Fakultät durch den Vis Moot in schöner Regelmässigkeit in das internationale Blickfeld gerät, wenn es um die führenden Ausbildungseinrichtungen im juristischen Bereich geht, ist gleichsam das Sahnehäubchen dazu.

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