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Bilanz des abgeschlossenen UFSP «Sprache und Raum»

«Der UFSP hat mit interdisziplinärer Forschung neue Standards gesetzt»

Wie hängt unsere Sprechweise mit den Räumen zusammen, in denen wir uns bewegen? Das war die übergeordnete Frage, die der UFSP «Sprache und Raum», der 2024 ans Ende seiner Laufzeit kommt, in den vergangenen zwölf Jahren erforscht hat. Die ehemalige Ko-Direktorin Elvira Glaser zieht Bilanz und erklärt, was sie am meisten überrascht hat.
Interview: Nathalie Huber
Experimentelle Sprachforschung zur Morphosyntax romanischer Sprachen (Bild: zVg)

Das Thema «Sprache und Raum» wurde im Rahmen des UFSP in den vergangenen zwölf Forschungsjahren aus unterschiedlichen Perspektiven angegangen. Eine zentrale Fragestellung war, wie geografische Räume die Verteilung sprachlicher Merkmale beeinflussen und zur Entwicklung von Dialekten und Akzenten führen. Zudem wurde untersucht, wie Interaktionsräume durch die Wahrnehmungen, Bewegungen und Handlungen der Teilnehmer:innen ständig neu gestaltet werden. Ausserdem beleuchtete der UFSP, wie Menschen den Raum beschreiben und sprachliche Mittel für Räumlichkeit und Bewegung nutzen. Die Forschung wurde interdisziplinär aufgegleist und brachte UZH-Forschende der Linguistik und Geografie zusammen. «Die Zusammenarbeit mit den Geograf:innen, die eine enorme Methodenvielfalt mitbrachten, war sehr bereichernd», zieht die ehemalige Ko-Direktorin Elvira Glaser eine erste Bilanz.

Elvira Glaser Porträt

Wir sind in der Öffentlichkeit mit dem Thema Sprache und Raum auf eine grosse Resonanz gestossen.

Elvira Glaser
Mitbegründerin und ehemalige Ko-Direktorin des UFSP «Sprache und Raum»

Elvira Glaser, welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Resultate des UFSP «Sprache und Raum»?

Elvira Glaser: Das Hauptresultat ist, dass jede Forschungsgruppe neue Methoden entwickelte, um empirisch arbeiten zu können. Im Bereich der Interaktionslinguistik wurde zum Beispiel mithilfe von Eye-Trackern die Rolle des Raums im Gespräch erfasst, indem die Blickbewegungen der Gesprächsteilnehmer aufgezeichnet und analysiert wurden, um zu verstehen, wie räumliche Positionierungen und visuelle Aufmerksamkeit die Interaktion beeinflussen – oder mithilfe von 3D-Scannern konnten grosse Räume modelliert werden, um zu untersuchen, wie räumliche Anordnungen und Bewegungen die Kommunikationsdynamik beeinflussen. Die Geograf:innen nutzten Big Data, um räumliche Verteilungen zu analysieren und zu modellieren, woher Sprachen oder Dialekte stammen und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Ihre Fragestellungen haben unsere linguistische Forschung inspiriert.

Dank des UFSP konnte der Grundstein für die Technologieplattform «Linguistic Research Infrastructure» (LiRI) gelegt werden. Diese ermöglicht mit modernsten Technologien neueste experimentelle Forschung in der Phonetik, Psycho- und Neurolinguistik.

Mein ehemaliger Ko-Leiter Heiko Hausendorf etablierte die Räumlichkeit der Interaktion als Forschungsparadigma, indem er die Auswirkungen verschiedener Raumkonzepte wie Kirchen, Hörsäle, Kunsträume, Verkaufsschalter und Treffpunkte untersuchte. In der Interaktionslinguistik geht es heute nicht mehr nur um die Gesprächsanalyse, sondern immer auch um den Einfluss des Raums.

Zwei Handbücher fassen die Leistungen des UFSP zusammen. Der Band «Pragmatics and Space», herausgegeben von Heiko Hausendorf und Andreas Jucker, emeritierter Professor für Anglistik, ist bereits erschienen. Die anderen beiden Bände zum Themenbereich «Sprachenräume der Schweiz» bündeln die auf die Schweiz bezogene Forschung. Einer davon ersetzt ein vergriffenes Werk über die Sprachen in der Schweiz und ergänzt es um neue Aspekte wie Gebärden- und Migrationssprachen.

Welches Resultat hat Sie persönlich am meisten überrascht?
Obwohl wir mit der Etablierung unseres «Sprache und Raum Labs» die aktuelle technische Entwicklung vorweggenommen haben, hat mich deren rasantes Fortschreiten dennoch überrascht. Die Linguistik hat sich grundlegend verändert, und experimentelle Methoden sind inzwischen unverzichtbar geworden. Dieser Paradigmenwechsel vollzog sich schneller, als ich erwartet hatte.

Wie beurteilen Sie die gesellschaftliche Relevanz des UFSP?

Grundsätzlich sind wir in der Öffentlichkeit mit dem Thema Sprache und Raum auf eine grosse Resonanz gestossen. Ich denke, dass Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Raum die Menschen faszinieren, weil beides eng mit Identität verknüpft ist. Interaktionsräume schaffen Heimat, während die verschiedenen Sprachgebiete in der Schweiz ihre eigenen Räume und Identitäten formen.

Bei Online-Umfragen zu dialektalen Varianten gab es stets eine sehr hohe Beteiligung. Für den Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz hatten wir Lehrmaterialien erstellt, die sehr geschätzt werden. Dazu gibt es nun mit Unterstützung des UFSP-Labs auch interaktive Karten. Mithilfe des LiRI-Labs konnten die zahlreichen Audioaufnahmen aus «Stimmen der Schweiz», einem Archiv mit Tonaufnahmen der Landessprachen aus dem frühen 21. Jahrhundert, visualisiert werden.

Aktuell wenden einige ehemalige UFSP-Mitglieder ihre Kenntnisse aus der Phonetik oder Interaktionslinguistik an – in Berufen im Bereich der Forensik oder in einem Science Center. Oder bei der Gestaltung universitärer Räume, wie jene im geplanten FORUM UZH – dazu konnte Heiko Hausendorf seine Expertise in die Planungskommission einbringen.

Was ist Ihre Bilanz des UFSP «Sprache und Raum»?

Es ist dem UFSP gelungen, die Zusammenarbeit der Linguist:innen an der Universität Zürich zu stärken. Heute wird die Linguistik nicht mehr nur als Bestandteil einzelner Fächer und Institute wahrgenommen, sondern als eigenständige, bereichsübergreifende Disziplin. Seit 2019 wird ein Mono-Masterprogramm in Linguistik angeboten.

Durch die Anwendung neuer Technologien in der Datenerhebung und -verarbeitung sowie die Verbindung von Erkenntnissen der Dialektologie mit der Sprachtypologie und interaktionslinguistischen Forschung erreichte der UFSP ein Alleinstellungsmerkmal. Ich denke, dass wir dadurch ein einzigartiges Profil entwickelt und uns sowohl schweizweit als auch auf europäischer Ebene positioniert haben.

Sprachliche (syntaktische) Distanzen gegenüber Schaffhausen. (Bild: zvg)

Wenn Sie auf die zwölf Jahre UFSP «Sprache und Raum» zurückblicken: Was war für Sie das grösste Highlight?

Ich erinnere mich an eine äusserst anregende, interdisziplinäre Tagung zum Thema «Grenzen» im Kongress- und Kulturzentrum Monte Verità bei Ascona. Forschende aus der ganzen Welt, aus Disziplinen wie Geografie, Psychologie, Soziologie und Linguistik, diskutierten, was Grenzen definiert, wie Geografen:innen Grenzen bestimmen und ob diese Methoden auch für Sprachgrenzen gelten. Ausserdem erörterten wir soziale Funktionen und Auswirkungen von Grenzen, denn Grenzen schaffen Räume. Die Frage nach den Grenzen bleibt für mich ein interessantes Thema.

Wie geht es jetzt mit dem UFSP weiter?

Einige Nachwuchswissenschaftler:innen aus dem UFSP haben mittlerweile an internationale Institutionen gewechselt und setzen dort die Forschung im Bereich «Sprache und Raum» fort. Ein Teilgebiet unseres UFSP – wie sich Sprachen ausbreiten und gegenseitig beeinflussen – wird weiter im NCCR «Evolving Language» untersucht. Auch persönlich denke ich, dass das Sprache-Raum-Thema noch nicht erschöpft ist. Wie kommt es, dass Menschen plötzlich anders sprechen? Wie entstehen Sprachveränderungen, und wie breiten sich bestimmte sprachliche Merkmale in einer Sprachgemeinschaft aus? Welche Faktoren sind dafür entscheidend? Diese grundlegenden Fragen lohnen sich, dass man sie weiter erforscht.

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