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Alle neun Minuten stirbt auf der Welt eine Person an Tollwut. Uganda zählt jährlich über 130 Todesfälle – die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. In über 95 Prozent der Fälle sind Hundebisse die Ursache. Wird jemand von einem tollwütigen Tier gebissen, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Sobald das Virus über die Nervenbahnen das Gehirn erreicht hat und die infizierte Person erste Symptome zeigt, ist das Todesurteil gesprochen. Je näher beim Kopf der Hund zugebissen hat, desto weniger Zeit bleibt, um zu handeln.
«Um zu überleben, muss das Bissopfer eine postexpositionelle Prophylaxe (PEP) erhalten, bevor das Virus die Nervenbahnen und das Rückenmark erreicht», sagt UZH-Veterinärepidemiologin Sonja Hartnack. In Uganda ist das allerdings nicht so einfach: Nur 20 Prozent der Betroffenen erhalten alle fünf nötigen Dosen PEP. «Oft ist nicht genügend PEP vorhanden und die Person wird in ein anderes Gesundheitszentrum geschickt, das teilweise weit entfernt ist», sagt Hartnack, die gemeinsam mit Forschungspartnern an der ugandischen Makarere-Universität die Tollwut-Problematik im Land untersucht.
Den Transport können sich nicht alle leisten, denn Tollwut trifft in der Regel die Ärmsten. Manchmal suchen die Betroffenen auch mangels Wissen keinen Arzt auf oder kontaktieren bei Hundebissen einen traditionellen Heiler, der die bösen Dämonen austreibt. «Kinder werden am häufigsten gebissen. Es gibt tragische Einzelfälle, in denen sie dies den Eltern verschweigen und schliesslich die ganze Familie an Tollwut erkrankt», erzählt Hartnack. Wären Hunde gegen Tollwut geimpft und ihr Impfstatus in einem Register ersichtlich, könnten sich die Familien und das Gesundheitssystem die Behandlung mit PEP sparen. Gemäss Hartnack wäre es viel günstiger, die Hunde zu impfen und die Tollwutübertragung so zu verhindern, als die Menschen zu behandeln. Zugleich würde dies weniger Leid für beide bedeuten.
Dieser ganzheitliche Ansatz, bei dem die Gesundheit von Tier, Mensch und Umwelt zusammen gedacht und gefördert wird, nennt sich One Health. «Er führt nicht nur zu einer besseren Versorgung von Mensch und Tier, sondern senkt auch die Kosten», sagt Hartnack. In Zusammenarbeit mit dem College of Veterinary Medicine, Animal Resources and Biosecurity (CoVAB) der UZH-Partneruniversität Makerere, dem VPHI Institut der Universität Bern und dem Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich sowie der University of Edinburgh arbeitet sie im One-Health-Forschungsprojekt «eRabies». Dieses hat zum Ziel, mit Impf- und Bildungskampagnen und mit verbesserter Diagnostik und Fallüberwachung Tollwut weitgehend auszurotten. Das Projekt steht damit im Einklang mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die anstrebt, dass bis 2030 keine Menschen mehr an Tollwut nach einem Hundebiss sterben.
Die Gründe, warum ein Grossteil der ugandischen Hundehalter:innen ihre Tiere nicht impfen lassen, sind ganz unterschiedlich: «Es gibt Leute, die befürchten, die Impfung entfessle böse Dämonen im Hund», erzählt Hartnack. «Oder dass sie Wachhunde zaghafter macht.» In Flüchtlingscamps dagegen wird eine Impfung oft abgelehnt, weil die Hunde auch als Nahrung dienen.
Es gibt Leute, die befürchten, die Impfung entfessle böse Dämonen im Hund.
Im Rahmen von eRabies testen die Forschenden vier unterschiedliche Impfkampagnen, um herauszufinden, wie sie Hundehalter:innen am wirkungsvollsten dazu motivieren können, ihre Tiere zu impfen. Parallel dazu arbeitet der Veterinärmediziner Samuel Okech des CoVAB mit Bildungskommissionen und Lehrerschaft an den beiden Studienorten Kyegegwa und Soroti zusammen: Ziel ist es, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht lernen, besser mit Hunden umzugehen. Einerseits üben sie das korrekte Verhalten, um nicht gebissen zu werden, andererseits thematisieren die Lehrpersonen die verantwortungsbewusste Hundehaltung. Dazu zählt – neben Schutz und Nahrung – auch die veterinärmedizinische Grundversorgung wie eine Impfung.
Ob ein Hund bereits gegen Tollwut geimpft ist, ist nur in 8 Prozent der Bissvorfälle bekannt. Das macht es für Ärzt:innen schwierig, abzuwägen, ob ein Bissopfer eine Behandlung mit PEP benötigt. Denn einerseits ist PEP mit hohen Kosten für die Familie verbunden, andererseits möchte man das rare Medikament für jene aufsparen, die es tatsächlich brauchen. Damit Ärzt:innen das lebensrettende PEP möglichst nur in Tollwutfällen verabreichen, müssen sie wissen, ob der Hund tatsächlich infiziert war. Denn oftmals bestehen andere Gründe für eine Bissattacke: beispielsweise wenn ein Tier geärgert wird oder eine Hündin ihre Welpen beschützt. «Zudem verabreichen manche Halter ihren Wachhunden Opium, damit sie aggressiver werden, oder freilaufende Hunde werden mit Strychnin vergiftet», sagt Hartnack. «Beide Wirkstoffe können ebenfalls Krämpfe auslösen, die man mit Tollwut verwechseln kann.»
Absolute Gewissheit, ob ein Hund das Virus trägt, gibt nur die Gehirnprobe des Tieres. Allerdings erschlagen Dorfbewohner:innen oder Halter:innen Hunde oft, nachdem sie zugebissen haben. «Für die Probe könnten die Halter den Kopf des Hundes ins Labor schicken, jedoch haben sie Angst, dadurch mit Zauberei in Verbindung gebracht zu werden», sagt Hartnack. Gemeinsam mit einer PhD-Studentin arbeitet sie daran, das ungewöhnliche Transportproblem zu lösen, und sucht zudem nach Alternativen, wie Hunde bereits im Feld auf Tollwut getestet werden können.
Eine Entscheidungshilfe für die Ärzteschaft bietet auch die App «React», die die gemeinnützige Organisation «Mission Rabies» entwickelt hat. Das elektronische Erfassungssystem für Bissfälle fragt alle wichtigen Umstände zum Vorfall ab und erlaubt den Austausch zwischen Veterinär- und Humanmediziner:innen, denn oft melden sich die Bissopfer als Erstes bei den Tierärzt:innen.
Neben der Forschung fliesst ein Grossteil von Hartnacks Energie in den Aufbau von Kontakten, die neue Kollaborationen zwischen der Schweiz und Uganda ermöglichen. So kam auch ein neues gemeinsames Projekt im Queen Elizabeth National Park zustande, das vom UZH Global Strategy and Partnerships Funding Scheme unterstützt wird: Ziel ist es, mit Hilfe eines eigens dazu ausgebildeten Labortechnikers und einer Masterstudentin Tollwutviren von Wildtieren, Haustieren und Menschen zu analysieren. So können die Forschenden untersuchen, wie sich unterschiedliche Virenstämme verbreiten.
Hartnack liegt es am Herzen, dass die Wissenschaft Vorteile für beide Seiten mit sich bringt und die Ausbildung von Ugander:innen unterstützt. «Der Altersdurchschnitt in Uganda liegt bei 15 Jahren: Es gibt viele junge und talentierte Leute», sagt die Tierärztin. In der Vergangenheit haben sich westliche Forschende und Pharmafirmen zu oft im Land bedient und sich mit interessanten Proben versorgt, ohne Nutzen für Uganda selbst. «Es braucht eine hohe Sensibilität, um mit diesem Postkolonialismus umzugehen», sagt Hartnack.
In ihrer täglichen Arbeit richtet sie sich nach den elf Prinzipien für eine faire Zusammenarbeit, die die Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern (KFPE) ausgearbeitet hat. Verantwortungsvolle Forschung in Schwellen- und Entwicklungsländern basiere auf einer reflektierten Haltung den Einheimischen gegenüber, erklärt Hartnack. «Wir sind Arbeitskolleg:innen und verbessern die Situation mit vereinten Kräften.»