Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Gendermedizin

Schützende Gene

Männer erkranken und sterben häufiger an Krebs als Frauen. Bei den meisten Krebsformen sind sie stärker betroffen. Das liegt nicht nur an der Genetik, sondern auch am Verhalten.
Stefan Stöcklin
Frauen haben ein stärkeres Immunsystem. Das dürfte dazu beitragen, dass ihr Abwehrsystem bösartige Tumorzellen im Anfangsstadium effizienter erkennt und eliminiert. (Illustration: Cornelia Gann)

Geht es um Krebs, sind Frauen gegenüber Männern im Vorteil. So erkranken und sterben in der Schweiz gut ein Fünftel mehr Männer als Frauen an Tumoren, wie die Krebsliga nachgezählt hat. Diese Unterschiede zeigen sich bei den drei häufigsten Krebsformen, die bei beiden Geschlechtern vorkommen (Lungenkrebs, Dickdarmkrebs und schwarzer Hautkrebs) und sind bei manchen Formen deutlich: Blasenkrebs oder Speiseröhrenkrebs treten bei Männern dreimal so häufig auf wie bei Frauen, demgegenüber haben Frauen ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs. Die beiden häufigsten Tumore, Brustkrebs und Prostatakrebs, sind aus naheliegenden Gründen geschlechtsabhängig, wobei eine kleine Zahl von Männern auch an Brustkrebs erkrankt. Eierstockkrebs hingegen betrifft nur Frauen.

Geschlechtschromosomen im Verdacht

Die Genderunterschiede zeigen sich weltweit und sind in vielen Ländern ausgeprägter als hierzulande. Sie sind umso bemerkenswerter, als Frauen deutlich länger leben als Männer und die Zahl der Krebserkrankungen mit dem Alter steigt. Lange Zeit wurden die Geschlechtsunterschiede mit dem Verhalten erklärt: Männer trinken mehr Alkohol, ernähren sich schlechter und rauchen mehr – was sich im Übrigen gerade ändert. Auch die Arbeitswelt wurde als Erklärung beigezogen, man denke an chemische Fabriken oder Pestizide in der Landwirtschaft – Bereiche, in denen früher mehrheitlich Männer tätig waren. Doch unterdessen mehren sich die Hinweise, dass biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen für die beobachtete Differenz zumindest mitverantwortlich sind. In einem Hintergrundpapier für die UZH hat die Ärztin Alessandra Curioni geschlechtsspezifische Unterschiede im Bereich der Onkologie zusammengestellt.

Geht man davon aus, dass genetische Vorgänge bei der Bildung und Verbreitung von Krebszellen eine Rolle spielen, rückt das Genom – die Gesamtheit aller Erbinformationen in den Zellen – ins Blickfeld des Interesses. Männer sind in dieser Hinsicht eindeutig schlechter bestückt als Frauen: Statt zwei X-Chromosomen besitzen sie nur eines, ergänzt von einem kleineren Y-Chromosom, auf dem nur noch wenige Gene meist mit spezifisch männlichen Funktionen liegen. Dieser augenfällige Unterschied spielt nach ersten Hinweisen auch eine Rolle bei den geschlechtsbedingten Tumor-Unterschieden. Die molekularbiologischen Vorgänge sind einigermassen kompliziert, denn eines der beiden X-Chromosomen von Frauen wird im Verlauf der Embryonalentwicklung inaktiviert, ein in der Evolution entstandener Schutzmechanismus, um Gendisparitäten zwischen Männern und Frauen zu reduzieren.

Aber diese Inaktivierung ist nicht immer vollständig und bewirkt, dass spezielle Gene vom stillgelegten X-Chromosom reaktiviert werden, die vor Tumoren schützen (Tumorsuppressor-Gene). Im Fall von Leukämien beispielsweise haben Forschende entsprechende Tumorsuppressoren entdeckt, die der X-Inaktivierung entgehen. Molekulargenetiker, die sich mit Krebs befassen, kommen zum Schluss, dass die auf den X-Chromosomen liegenden genetischen Faktoren einer der Gründe für die geschlechtsspezifischen Unterschiede sein dürften. Wobei Tumorsuppressor-Gene auch auf den anderen Chromosomen vorkommen.

Tumorzellen effizienter erkennen

Und es sind nicht nur diese schützenden Gene, sondern weitere unterschiedliche Genvarianten von Männern und Frauen, die in die biochemischen Regelkreise eingreifen und geschlechtsspezifisch Tumore begünstigen können. Insgesamt hat diese molekulargenetische Forschung zu Genderaspekten bei Krebs eben erst begonnen.So führen Onkolog:innen auch altbekannte biologische Unterschiede auf: Beispielsweise haben Frauen generell ein stärkeres Immunsystem. Das dürfte dazu beitragen, dass ihr Abwehrsystem bösartige Tumorzellen im Anfangsstadium effizienter erkennt und eliminiert.

Wir wissen zwar, dass es bei Krebs geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Aber die Ursachen sind noch zu wenig erforscht, um daraus geschlechtsspezifische Therapien oder Präventionsmassnahmen abzuleiten.

Anja Lorch
Leitende Onkologin, USZ

Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es auch bei manchen Enzymen, die Medikamente abbauen und aus dem Körper entfernen, wodurch Wirkstoffe verschieden lang aktiv bleiben. Im Fall von Darmkrebs überraschen anatomische Besonderheiten: Frauen erkranken häufiger im oberen proximalen Bereich, wo er schwerer zu diagnostizieren ist als im absteigenden, distalen Bereich. Gerade beim Darmkrebs sind unterdessen eine ganze Reihe von hormonellen und genetischen Faktoren bekannt, die sich geschlechtsspezifisch unterscheiden können. Für manche Fachleute ist dieser Krebs denn auch ein Beispiel dafür, dass in Zukunft vermehrt gendermedizinische Aspekte bei Diagnose und Therapie berücksichtigt werden sollten. Im Moment ist dies noch Zukunftsmusik. «Wir wissen zwar, dass es bei Krebs geschlechtsspezifische Unterschiede gibt», sagt Anja Lorch, stellvertretende Direktorin der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie am USZ. «Aber die Ursachen sind noch zu wenig erforscht, um daraus geschlechtsspezifische Therapien oder Präventionsmassnahmen abzuleiten.» Erst wenn die Befunde in präklinischen und klinischen Studien weiter gefestigt werden können, dürften neue Ansätze wie genderabhängige Dosen oder geschlechtsspezifische Medikamente entwickelt werden.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers zur Gendermedizin aus dem UZH Magazin 1/24.

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen