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Ökonomieprofessor David-Yanagizawa-Drott hat seinen Doktorierenden ein spezielles Forschungsseminar angeboten: eine Feldstudie in Ghana. «Die Idee war, dass sie erleben können, was es bedeutet, angewandte Entwicklungsökonomie zu machen, und mit welchen Herausforderungen das verbunden ist», erklärt Yanagizawa-Drott. Das Angebot fand Anklang und so machten sich im April dieses Jahres fünf Doktorierende und zwei Masterstudierende mit ihm auf den Weg in die ghanaische Hauptstadt Accra mit der Mission, zu analysieren, wie Mikrokredite vergeben werden und ob es Unterschiede bei der Vergabe an Frauen und an Männer gibt.
Dazu arbeiteten sie mit der grössten Mikrokredit-Firma des Landes zusammen, Quick Credit. Quick Credit hat gut 200000 Kund:innen und vergibt jede Woche Kredite in Höhe von 5 Millionen Dollar. Das UZH-Team recherchierte, wie diese Kredite vergeben werden und ob es dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Dazu wurden einerseits Daten von 400000 Krediten analysiert, andererseits wurden Interviews geführt mit Kreditnehmer:innen, den Frauen im Callcenter, die Kreditanträge entgegennehmen, und den Agenten, die vor Ort abklären, ob die Kleinunternehmen kreditwürdig sind und welchen Betrag sie erhalten sollen.
Den Kontakt zu Quick Credit stellte Kobbina Awuah her, der an der UZH doktoriert, jedoch in Ghana lebt. Dort gehört ihm die grösste Restaurantkette des Landes und er ist als Investor an mehreren Firmen beteiligt. Deshalb hat er gute Kontakte zu den lokalen Unternehmen. «Für mich ist dieses Projekt eine grossartige Gelegenheit, meinem Land etwas zurückzugeben», sagt Awuah.
Dreh- und Angelpunkt bei der Registrierung für einen Kredit ist das Callcenter. Dort werden die Kreditanfragen entgegengenommen und die wichtigsten Informationen der Kund:innen abgefragt: die Art des Geschäfts, Alter und Geschlecht der Kreditnehmer:innen und die Höhe des erwünschten Betrags. Oft beraten die Mitarbeitenden im Callcenter die Antragsteller:innen, etwa indem sie ihnen vorschlagen, den gewünschten Kreditbetrag zu erhöhen. Das macht durchaus Sinn. Denn wie die jungen UZH-Ökonom:innen herausgefunden haben, beantragen Frauen bei ihrer ersten Anfrage im Durchschnitt um 30 Prozent tiefere Kredite als die Männer. Zudem spricht ihnen Quick Credit weniger Geld zu als den Männern.
Diese Unterschiede lassen sich mit tief verankerten Rollenbildern erklären: «In Ghana sind die Geschlechterrollen noch sehr traditionell», erklärt Stine Helmke vom Forschungsteam, «oft wird dem Mann die finanzielle Verantwortung in der Familie zugeschrieben.»
Das hat drei unerwünschte Folgen: Den Frauen steht weniger Geld zur Verfügung, um ihr Geschäft zu entwickeln und damit Erfolg zu haben; die Mikrokredit-Firma kann weniger Kredite vergeben, was nicht in ihrem Interesse ist, auch weil Frauen zuverlässiger sind bei der Rückzahlung der Kredite; und die Geschlechter werden nicht gleich behandelt.
Mit diesen Informationen im Gepäck kehrte die Gruppe nach einer Woche intensiver Feldforschung in Ghana in die Schweiz zurück. Hier stellte sich das Team die Frage: Wie können wir das ändern? Wie können wir Frauen dazu bewegen, höhere Kredite zu beantragen, wenn sie diese benötigen? Die Antwort war: «Wir geben den Kreditnehmer:innen bei ihrer Anfrage im Callcenter Informationen, die ihnen helfen, den von ihnen erwünschten Betrag einzuordnen», erklärt Stine Helmke.
Unser wichtigstes Ziel ist, dass Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Krediten bekommen.
Diese Idee wurde bei der zweiten, zehntägigen Expedition, die im Juli stattfand, in einer Pilotstudie umgesetzt. Die Doktorierenden sassen im Callcenter bei den Mitarbeiterinnen, die die Anfragen entgegennahmen. Sie notierten in Echtzeit die Informationen, die diese abfragten, und fütterten damit ihr in Zürich entwickeltes maschinelles Lernmodell. Dieses generierte darauf zwei Zahlen: Die eine zeigte an, wie viel andere Frauen mit den gleichen Charakteristiken im Durchschnitt angefragt hatten, die andere, wie hoch die Anfragen von Männern mit denselben Voraussetzungen waren. Diese Informationen wurden dann an die Kreditnehmer:innen weitergegeben.
Wie haben sie darauf reagiert? «Viele der Frauen haben ihre Beträge nach oben korrigiert und sich damit den Summen angenähert, die genannt wurden», sagte Stine Helmke. Interessanterweise schien dabei für die Frauen meist der Betrag massgebend, den andere Frauen durchschnittlich nachgefragt hatten. «Das war für uns überraschend. Offenbar imitieren Frauen nicht Männer, sondern ihre eigene sozialen Gruppe», sagt Helmke dazu.
Wie können die Ergebnisse der Pilotstudie eingeordnet werden? «Wir haben das Ergebnis erhalten, das wir uns erhofft hatten», erklärt Sara Rabino, die wie Helmke zum Forschungsteam gehörte, «das Experiment hatte zum Ziel, festzustellen, ob die Frauen aufgrund der Informationen höhere Beträge nachfragen. Etwa jede Vierte hat das tatsächlich getan.»
Aufgrund der vielversprechenden Pilotstudie hat das Team nun eine grössere Studie entwickelt, mit der etwa 1000 weitere Kund:innen erreicht werden sollen. Durchgeführt wird die dritte Phase des Projekts Ende dieses Jahres. Die Ergebnisse sollten Anfang 2024 vorliegen.
Diese kleinen und wenig aufwändigen Interventionen könnten grosse Wirkung haben: «Wenn die geschlechtsbedingten Vorurteile bei der Anfrage und der Vergabe von Krediten überwunden werden können, reduziert das für die Frauen den finanziellen Stress bei einer Firmengründung. Und es kann den Männern helfen, nicht zu hohe Beträge zu verlangen und damit ihr Risiko, Konkurs zu machen, zu verringern», schreiben die Doktorierenden in ihrem Forschungsplan für die dritte Stufe ihres Projekts. Die von ihnen gesammelten Informationen könnten Firmen wie Quick Credit helfen, die Kreditvergabe den Bedürfnissen ihrer Kund:innen anzupassen und so nicht nur mehr Kredite zu vergeben, sondern auch mehr zu verdienen. Ob sie das tun werden, wird die Zukunft zeigen. «Unser wichtigstes Ziel ist, dass Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Krediten bekommen», betont Stine Helmke. Sara Rabino ergänzt: «Gut wäre, wenn eine Nachfolgestudie untersuchen könnte, ob sich höhere Kredite positiv auf die Geschäfte der Frauen auswirken und diese profitabler machen.»
Das Forschungsprojekt in Ghana sei eine tolle Erfahrung gewesen, sind sich Rabino und Helmke einig. «Es war für uns ein Crashkurs in Entwicklungsökonomie. Und wir haben gesehen: Es ist machbar, auch wenn es manchmal stressig war», bilanziert Rabino. «Spannend war, selbst Daten zu sammeln, auszuwerten und daraus eine Strategie zu entwickeln. Und es hat Spass gemacht, all die Leute kennenzulernen und mit ihnen arbeiten.» Kobbina Awuah ist zuversichtlich, dass das UZH-Projekt verändert, wie Quick Credit künftig Kredite vergibt: «Ich konnte bereits mit dem Gründer der Firma sprechen. Er ist begeistert von den ersten Ergebnissen. Er sieht die Chance, mehr und höhere Kredite an Frauen zu vergeben und so ihre Beteiligung an der lokalen Wirtschaft zu steigern.» Und, fügt Awuah hinzu, «Quick Credit ist der Marktführer. Wenn sie ihre Geschäftspraktiken anpassen, werden das andere auch tun.»