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Coins schürfen

Kryptowährungen wie Bitcoin wurden geschaffen, um das Geldmonopol von Staaten und Zentralbanken zu unterlaufen. Die digitalen Währungen sollten demokratischer funktionieren und breit gestreut werden. Passiert ist das Gegenteil, wie Blockchain-Forscher Claudio Tessone feststellt.
Thomas Gull
Um Missbrauch zu verhindern, braucht es Gesetze, die die Kryptowährungen regulieren, sagt der Informatiker Claudio Tessone. (Bild Jos Schmid)

Die Geschichte der ersten erfolgreichen Kryptowährung Bitcoin beginnt mit einer wissenschaftlichen Arbeit, die zugleich ein Manifest ist: Im Oktober 2008 veröffentlicht ein gewisser Satoshi Nakamoto ein rund elfseitiges Paper mit dem Titel. «Bitcoin: Ein elektronisches Peer-to-Peer-Cash-System». Darin erklärt er, wie eine neue elektronische Währung funktionieren könnte, die direkte Zahlungen unter Nutzern ermöglicht, ohne Banken als Relaisstationen. «Satoshi wollte Staaten und Banken das Monopol über die Währungen und den Zahlungsverkehr entziehen», erklärt Claudio Tessone, «statt zentral organisiert und kontrolliert sollten Währungen und ihr Wert ‹demokratisch› geschaffen und überwacht werden. Diese Idee war anarcho-kapitalistisch. Der Markt sollte sich selbst regulieren, ohne staatliche Eingriffe.» Tessone ist UZH-Professor für Blockchain and Distributed Ledger Technologies. Er erforscht die ökonomischen Anreize der Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie, die diese ermöglicht.

Vertrauen schaffen

Satoshi Nakamoto, dessen wahre Identität unbekannt ist, liess den Worten Taten folgen und machte 2009 die Bitcoin-Software öffentlich zugänglich. Er hat die ersten 50 Bitcoins «geschürft» und die Regeln festgelegt, wie weitere geschürft werden können. Der englische Fachbegriff dafür ist «mining», übersetzt als abbauen oder schürfen. Das Schürfen ist der Prozess, mit dem neue Bitcoins geprägt und in Umlauf gebracht werden.

Nakamoto hat auch festgelegt, was es dafür braucht: den Nachweis von Arbeit (proof of work). Bei den Kryptowährungen bedeute dies, dass die Teilnehmer, genannt «Miner/Bergarbeiter» nachweisen müssen, dass sie den Aufwand erbracht haben, um einen Block von digitalen Datensätzen, aus dem die Blockchain besteht, zu verifizieren und diesen als nächsten Block an die bestehende Blockchain anzuhängen. Diese Arbeit ist fundamental für die Blockchain, denn diese besteht aus der Aufzeichnung sämtlicher Transaktionen, die verifiziert sind. Die lückenlose Dokumentation dieser Transaktionen soll das notwendige Vertrauen schaffen beziehungsweise jenes ersetzen, das die Marktteilnehmer üblicherweise in Institutionen wie Zentralbanken haben. Nakamoto hat das so formuliert: «Es braucht ein Zahlungssystem, das auf kryptografischen Nachweisen statt Vertrauen beruht und es zwei Parteien ermöglicht, ohne Rückgriff auf eine vertrauenswürdige dritte Partei Transaktionen untereinander abzuwickeln.»

Anfänglich waren Bitcoins nahezu wertlos. Der Softwareentwickler Laszlo Hanyecz ging in die Geschichte ein, weil er die allererste Transaktion mit einer Kryptowährung tätigte: Er bezahlte für zwei Pizzas 10000 Bitcoin. Das entsprach beim Höchststand des Bitcoin über 600 Millionen Dollar. Wie kolportiert wird, bereut Hanyecz seine Entscheidung nicht. Aus seiner Sicht war sein Pizzakauf ein entscheidender Schritt, um Kryptowährungen als Zahlungsmittel zu etablieren.

Nur noch wenige Marktteilnehmer

Im Januar 2013 überschritt der Wert eines Bitcoin zum ersten Mal die 1000-US-Dollar-Marke. Ein paar Haussen und Crashes später kostet ein Bitcoin heute mehr als 30000 Franken. «Meine Frau kritisierte mich früher manchmal dafür, dass ich keine Kryptowährungen gekauft hatte, obwohl ich mich seit mehr als zehn Jahren wissenschaftlich damit befasse», sagt Claudio Tessone. Der Krypto-Forscher erklärt das mit seiner Aversion gegenüber Risiken. Hinzu kommt, und das dürfte nicht unwesentlich sein, dass Tessone dank seiner Forschung weiss, mit welchen Problemen die Kryptowährungen heute kämpfen.

Die meisten dieser Währungen haben sich ganz anders entwickelt als von ihren Gründern beabsichtigt. Das gilt vor allem für die Idee, die Macht zu dezentralisieren und auf möglichst viele Teilnehmer zu verteilen, indem sich viele verschiedene Parteien an der Schaffung des Kryptogeldes beteiligen. «Was wir heute sehen, ist genau das Gegenteil», erklärt Tessone, «mittlerweile gibt es nur noch einige wenige sehr grosse Marktteilnehmer, die in der Lage sind, neue Coins zu schürfen.»

Wer hat, dem wird gegeben

Weshalb? Mit dem Wachstum der Krypto-Systeme braucht es mittlerweile sehr viel Rechenpower und damit sehr viel Computer-Hardware und Energie, um die Datenketten zu verifizieren. Das ist teuer und braucht deshalb viel Kapital. Ein einzelner Marktteilnehmer mit seinem Computer hat deshalb keine Chance mehr, diese Arbeit zu machen und so das Recht auf neue Coins zu erwerben.

Einige Blockchains verlangen deshalb statt den Nachweis von Arbeit den Nachweis von Anteilen (proof of stake). Dafür braucht es weniger Rechenleistung, es werden aber jene Marktteilnehmer bevorzugt, die bereits über mehr Anteile verfügen. Beide Mechanismen führen zu einer Konzentration der Macht innerhalb der Kryptowährungen und Blockchains. Damit sollte das Vertrauen schwinden, denn dieses basiert auf der kollektiven Kontrolle der Teilhaber, die ein Interesse haben, dass alles fair verläuft. «Wenn es nur noch ganz wenige sind – weshalb sollte man ihnen vertrauen?», fragt Tessone, «zumal sie auch noch anonym sind.» Die Konzentration der Macht sei gefährlich, sagt der Blockchain-Forscher, weil sie zum Missbrauch geradezu einlädt. «Es braucht deshalb Gesetze, die die Kryptowährungen regulieren.»

Wie konnte es so weit kommen? Tessone macht die falsch gesetzten Anreize dafür verantwortlich. Da von Anfang an transparent war, wie man neue Coins schürfen kann, haben sich die Teilhaber überlegt, wie sie das System ausnutzen können. Etwa indem sie sich grossen Rechenpower zugelegt haben, um den Arbeitsnachweis zu erbringen. «Heute beobachten wir in der Kryptowelt die gleichen Phänomene wie in der realen Wirtschaft: Wer hat, dem wird gegeben. Die Reichen werden reicher», sagt Tessone. Zudem werden die Kryptowährungen meist nicht eingesetzt, um damit zu bezahlen. Die Coins werden vielmehr als spekulative Vermögensobjekte gehortet.

Nützlicheres tun

Für Claudio Tessone ist die Entwicklung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen ein Beispiel dafür, «dass es trotz der besten Absichten schieflaufen kann». Das gilt mit Sicherheit für Bitcoin, dessen Gründer Nakamoto wollte, dass sich jeder mit seinem Computer beteiligen kann. Was Satoshi Nakamoto darüber denkt, ist nicht bekannt. Er hat im Dezember 2010 im Onlineforum «bitcointalk» seine letzte Nachricht veröffentlicht. Seit April 2011 gibt es von ihm keine Spuren mehr.

Haben Kryptowährungen eine Zukunft? Claudio Tessone hat bei seinen Analysen festgestellt, dass einige Währungen versuchen, ihr System so zu gestalten, dass die Konzentration auf einige wenige Teilnehmer weniger stark belohnt wird. Ob das reicht, um die Konstruktionsfehler der Systeme zu korrigieren, muss sich zeigen. Tessone sieht den Wert der Kryptowährungen eher in den Innovationen, die sie hervorgebracht haben. «Diese könnten in die übrige Wirtschaft transferiert werden, um damit etwas Nützlicheres zu tun», bilanziert der Krypto-Forscher.

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