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Jan Fehr, Sie forschen zu Global Health. Wie global ist unsere Gesundheit heutzutage?
Jan Fehr: Sie wird immer globaler, mit weitreichenden Auswirkungen, wie wir mit der Covid-19-Pandemie gesehen haben. Momentan plane ich eine Forschungszusammenarbeit mit dem indischen Bangalore. Es geht darum, Antibiotikaresistenzen bei Infektionskrankheiten und im Speziellen bei Tuberkuloseerkrankungen besser zu verstehen. Solche Resistenzen sind höchst problematisch und sie sind kein lokales Phänomen. Sie müssen im Kontext von One Health und Global Health verstanden werden, denn sie verbreiten sich mit Reisenden rund um den Erdball. Geht es um solche gesundheitlichen Herausforderungen, sitzen wir weltweit alle im selben Boot. Und wir können sie auch nur gemeinsam lösen.
Sie beschäftigen sich seit längerem mit Krankheiten wie HIV/Aids, Hepatitis und Tuberkulose – wie verbreitet sind diese Krankheiten?
Sie sind immer noch stark verbreitet und fordern immens viele Menschenleben, zum Beispiel in Afrika. Gleichzeitig wird – insbesondere über Hepatitis und TB – noch immer zu wenig gesprochen, sodass wir von «stillen Pandemien» reden können. Covid-19 hat diese Krankheiten weiter in den Schatten gestellt. Dennoch: Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist, HIV/Aids, Hepatitis und Tuberkulose spätestens bis 2030 respektive 2035 global zu eliminieren. Damit dies gelingt, müssen wir bei den Hotspots ansetzen, den Orten, an denen ein Problem besonders virulent ist.
Wie kann Global-Health-Forschung helfen, diese Krankheiten wirksam zu bekämpfen?
Indem wir alle Register ziehen. Dazu gehört, dass wir nicht nur die Krankheiten bekämpfen, sondern uns auch beherzt für die Prävention einsetzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Schweiz – denn lokal ist global: Mit dem Präventionsprogramm SwissPrEPared schafften wir es, die Zahl der HIV-Neuinfektionen zu senken. Die Schweiz könnte damit erstmals zeigen, dass der HIV-Epidemie tatsächlich ein Ende gesetzt werden kann – in den 1990er-Jahren war so etwas noch undenkbar. Mit dieser Vorreiterrolle übernehmen wir auch globale Verantwortung.
Global Health erfordert die Zusammenarbeit mit Forschenden auf der ganzen Welt. Mit wem arbeiten Sie konkret zusammen und weshalb?
Wir haben weltweit verschiedene Partner. Exemplarisch möchte ich die langjährige Zusammenarbeit mit Uganda erwähnen. Die UZH unterhält schon seit vielen Jahren eine Kooperation mit der Makarere-Universität in Kampala. Mein Team forscht gemeinsam mit dem dortigen Infectious Diseases Institute schwerpunktmässig im Bereich Tuberkulose und HIV. Dies aus der Überzeugung heraus, dass globale Herausforderungen nur in einem globalen Süd-Nord-Setting angegangen werden können. Es ist mir wichtig, zu betonen, dass der globale Norden nicht einfach die Lösungen hat, die er nur noch in den Süden zu «exportieren» braucht. Das greift viel zu kurz. Um echte Lösungen zu finden, muss die geballte Expertise aus Süd und Nord, aus West und Ost genutzt werden. Was wir brauchen, ist ein «We-all-learn-Ansatz» – wir können alle voneinander lernen. Davon können dann auch alle profitieren.
Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Forschungspartner aus und welche Rolle spielt dabei die wissenschaftliche Reputation?
Die Reputationsfrage steht nicht zuvorderst, auch wenn sie natürlich mitspielt. Viel wichtiger ist, zu verstehen, inwieweit mögliche Partner nicht nur auf demselben Feld akademisch tätig sind, sondern beispielsweise auch gemeinsame Werte teilen, ein gemeinsames Problemverständnis haben und einander mit Innovation und Expertise gegenseitig unterstützen können. In diesem Zusammenhang sind die elf Prinzipien wichtig, die die Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften formuliert hat . Sie fordern beispielsweise, dass man wissenschaftliche Errungenschaften redlich teilt. Letztendlich steht und fällt alles mit gegenseitigem Vertrauen.
Was bringt diese Zusammenarbeit konkret?
Sie ermöglicht, im Dialog verschiedene Welten näher zueinander zu rücken. Dies ist die Grundlage für gute, tragfähige Lösungen, die auch nachhaltig sind. In unserem akademischen Kontext heisst dies, Lösungsansätze anhand von Top-Forschung und für die Klinik zu entwickeln – mit einem klaren Nutzen für die Menschen im globalen Süden und im globalen Norden. Die gewonnenen Erkenntnisse fliessen dann auch wieder in der Lehre ein.
Das alte Bild der weissen Retter:innen ist stärker in unseren Köpfen verhaftet, als wir manchmal glauben.
Können Sie dazu ein Beispiel machen?
In Uganda sterben nach wie vor viele Menschen an Tuberkulose. Die Therapien, die uns weltweit zur Verfügung stehen, stammen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Die Medikamente müssen über ein halbes Jahr eingenommen werden und werden von den Patient:innen nicht selten frühzeitig abgesetzt, weil sie starke Nebenwirkungen haben. Wir haben nun zusammen mit unseren ugandischen Kolleg:innen untersucht, ob wir mit den bestehenden Mitteln die Tuberkulosetherapie verkürzen und verbessern können. Wenn dies gelingt, profitiert nicht nur die Bevölkerung vor Ort, sondern viele andere auch.
In der Wissenschaft geht es nicht nur um die globale Zusammenarbeit – als Forscher stehen Sie auch in einem internationalen wissenschaftlichen Wettbewerb mit anderen. Wie sehen Sie das Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz?
Wir sind natürlich nicht die einzigen Partner, die mit Uganda zusammenarbeiten. Da bestehen entsprechend auch Konkurrenzsituationen und unterschiedliche Interessen. Aber die verschiedenen nationalen und internationalen Forschungsgruppen haben ihre spezifischen Expertisen, wir etwa in der Pharmakokinetik, andere in der Genetik. Stellt sich für uns beispielsweise die Frage, ob die Medikamentenkonzentration im Blut von Patient:innen auch von genetischen Faktoren abhängt, könnten Daten der Genetiker für uns aufschlussreich sein. Dann muss man versuchen, mit diesem Forschungsteam eine gute Lösung zu finden.
Wie wichtig ist es für Sie als Forscher, Teil von renommierten Forschungsnetzwerken – beispielsweise Horizon Europe – zu sein?
Diese Netzwerke sind enorm wichtig, um gemeinsam an ganz grossen Projekten zu arbeiten. Diese können auch ein grosser Hebel sein, um wichtige gesellschaftliche Probleme zu lösen. Und zwar nicht nur als Schweizer «Trittbrettfahrer:innen», sondern wirklich auch an vorderster Position. Ich hoffe darauf, dass sich bezüglich Horizon Europe für die Schweiz bald eine bessere Situation ergibt.
Ist es wichtig, dass Nachwuchsforschende aus der Schweiz Erfahrungen im Ausland machen?
Absolut. Richtig gut funktioniert dies aber nur, wenn wir ein reflektiertes Verständnis der Zusammenarbeit mit dem Süden entwickeln und pflegen. Denn gut gemeintes Engagement im globalen Süden kann unter Umständen sogar kontraproduktiv sein, wenn man sich nicht mit der Geschichte und der eigenen Haltung dazu auseinandersetzt. Das alte Bild der «weissen Retter:innen» ist stärker in unseren Köpfen verhaftet, als wir manchmal glauben.
Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen UZH Magazin «Global Forschen»