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«Climinator» gegen Greenwasher

Dicke Umweltberichte und Bilder unberührter Landschaften: Firmen geben sich gerne grün. Doch die wenigsten halten ihre Versprechen. Finanzprofessor Markus Leippold sagt der Klima-Schönfärberei mit KI-Tools den Kampf an.
Andres Eberhard
Markus Leippold schaffte das KI-Tool «Climinator», das die Klimadebatte faktenbasierter machen soll, indem es faktenwidrige und schwammige Zitate in Nachhaltigkeitsberichten aufdeckt. (Bild: Ursula Meisser)
Markus Leippold schaffte das KI-Tool «Climinator», das die Klimadebatte faktenbasierter machen soll, indem es faktenwidrige und schwammige Zitate in Nachhaltigkeitsberichten aufdeckt. (Bild: Ursula Meisser)

Wo auch immer der «Terminator» im gleichnamigen Film hinkommt, der Cyborg aus der Zukunft richtet Chaos und Zerstörung an. «I’ll be back», sagt er auf einer Polizeistation, ehe er mit einem Auto ins Revier rast und die Polizisten umbringt. Das Ziel des von Schauspieler Arnold Schwarzenegger verkörperten «Terminators» ist nichts weniger als die Zerstörung der Menschheit.

Mit deutlich besseren Absichten geht der «Climinator» ans Werk. Es handelt sich dabei um ein KI-Tool, dessen Ziel es ist, die Klimadebatte faktenbasierter zu machen – eine Notwendigkeit im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Entwickelt wurde es von UZH-Forschenden um Markus Leippold, Professor für Financial Engineering. Dank künstlicher Intelligenz können faktenwidrige Zitate rund ums Klima in Minutenschnelle entlarvt werden.

Der «Climinator» geht dabei ähnlich zerstörerisch mit falschen Klimafakten um wie der «Terminator» mit seinen Widersachern. Sein Verdikt zur Aussage des neuen SVP-Präsidenten Marcel Dettling, dass niemand die Klimaerwärmung aufhalten könne: «Falsch.» Dass eine Reduktion von Treibhausgasemissionen die Erwärmung kaum bremsen werde: «Irreführend.»

So wortkarg wie das von Arnold Schwarzenegger gespielte Original bleibt der «Climinator» indes nicht. Zu seinem Fazit liefert das KI-Tool nämlich eine mehrseitige Argumentation inklusive Quellenangaben – knapp zwei Minuten benötigt es dafür. Als Quellen dienen ihm Forschungspapiere, die den wissenschaftlichen Konsens wiedergeben, allen voran die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).

«Es funktioniert etwa so wie bei den alten griechischen Philosophen», erklärt Markus Leippold bei einem Treffen in seinem Büro an der Plattenstrasse in Zürich. Das Fact-Checking-Tool prüfe Aussagen, indem verschiedene Sprachmodelle in einer Art Debatte miteinander interagieren. Um blinde Flecken zu verhindern, bauten die Forscher gar extra die Perspektive von Klimaleugnern ein. «Eine Debatte wie bei Sokrates, wobei am Ende wissenschaftliche Argumente für das Verdikt massgebend sind», so Leippold. 

Vage Absichten statt Verpflichtungen

Kürzlich stand Leippold für 15 Minuten auf der Weltbühne, als er in Paris einen sogenannten TED Talk hielt. Die gemeinnützige Organisation TED bietet Expert:innen, deren Ideen sie für bedenkenswert hält, eine Bühne und stellt eine Aufnahme davon ins Netz. Der Youtube-Mitschnitt von Leippolds Auftritt zählt bis heute rund eine halbe Million Aufrufe. Leippold nutzte die Aufmerksamkeit für seine zentrale Botschaft: «Die Klimaerwärmung ist im Kern ein wirtschaftliches Problem», sagte er. Schliesslich entstehen die Emissionen durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen. Und die werde durch die Finanzmärkte koordiniert.

Leippolds Punkt ist der: Um die Klimaerwärmung zu stoppen, müssten Firmen in nachhaltige Technologien investieren. Um das steuern zu können, etwa über Gesetze oder Anreize, benötigen politische Entscheidungsträger Transparenz. Daran jedoch mangelt es zurzeit.

Leippold_portrait

Jedes zweite Versprechen in Nachhaltigkeitsberichten ist nutzlos.

Markus Leippold
Ökonom

Zwar publiziert jede grössere Firma, die etwas auf sich hält, heutzutage einen Nachhaltigkeitsbericht. Doch kaum jemand liest ihn wirklich sorgfältig durch. Die Gefahr von «Greenwashing» beziehungsweise «Klima-Schönfärberei» ist gross. Beispiel Shell: 98 dichtbeschriebene Seiten lang ist der Nachhaltigkeitsbericht der Ölfirma. Auf den Fotos besprechen sich Arbeiter vor einer Solaranlage oder Manager lassen sich von Ansässigen durch prächtige Felder führen. Dabei ist der Konzern einer der grössten CO2-Verursacher der Welt und wurde schon verschiedentlich für sein «Greenwashing» gerügt. Das Problem: Firmen benutzen Worte, die gut klingen, die Firmen aber möglichst zu nichts verpflichten. Deswegen haben Leippold und sein Team ein weiteres KI-Tool entwickelt, das konkret messbare Klimaversprechen von vage formulierten Absichten unterscheiden kann. Oder wie es Leippold in seinem TED-Vortrag sagte: «Wir separieren die Walkers von den Talkers.» 

Das funktioniert mittlerweile sehr gut. Die Erkenntnis der bisherigen Forschung mit der Software ist allerdings erschreckend: Rund jedes zweite Unternehmen hat einen «Cheap Talk Index» von über 50 Prozent. In anderen Worten: Jedes zweite Versprechen in Nachhaltigkeitsberichten ist nutzlos.

Ein Beispiel für eine gut klingende, im Kern aber schwammige Formulierung ist die Absicht, «bis 2050 klimaneutral» zu werden. Dieses häufig gemachte Versprechen kann alles heissen: etwa, dass das betreffende Unternehmen keine Treibhausgase mehr ausstösst. Aber eben auch, dass es sogar mehr Kohlendioxid produziert. Möglich macht Letzteres der Handel mit CO2-Zertifikaten, die einen Klimabeitrag versprechen, etwa den Schutz von Urwald in Afrika oder Lateinamerika. Obwohl die Wirkung solcher Massnahmen sehr umstritten ist, ziehen Unternehmen die eingesparten Emissionen von ihrem eigenen CO2-Ausstoss ab – und werden «klimaneutral». «Es ist etwa so wie früher bei der katholischen Kirche, wo man sich durch Zahlung eines Ablasses von seinen Sünden freikaufen konnte», sagt Leippold dazu.

Getrickst wird aber nicht nur mit Sprache. Auch die effektiven CO2- sowie Methan-Emissionen sind anfällig für Manipulationen, da verlässliche Angaben nur die Firmen selbst machen können. Leippold schwebt darum vor, herauszufinden, wie hoch diese Emissionen sind und wie gross der Einfluss von Unternehmen auf die Biodiversität in der Umgebung ist. Möglich machen könnten das Satelliten, die Daten in Echtzeit liefern. Eine intelligente Bildanalyse-Software könnte diese dann auswerten. Die Forschenden rund um Leippold arbeiten derzeit an der Entwicklung. Für die Forschung zu Greenwashing haben sie 2022 einen Grant des Schweizerischen Nationalfonds über vier Jahre erhalten. 

Mit der KI übers Klima chatten

Damit die Tricksereien auch ans Licht kommen, müssen die Erkenntnisse der Wissenschaftler:innen den Weg aus dem Elfenbeinturm finden. Aus diesem Grund werden alle entwickelten Werkzeuge frei zur Verfügung gestellt, verspricht Leippold. Bereits heute nutzen einige politische Entscheidungsträger und internationale Institutionen das Tool zur Erkennung von Greenwashing bei Unternehmen. 

Ein weiteres von den Forschenden entwickeltes Tool ist bereits heute für jeden nutzbar: Auf «ChatClimate» können Nutzer Fragen zur Klimaerwärmung eingeben, worauf künstliche Intelligenz diese beantwortet. Das Sprachmodell bezieht seine Informationen aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen der IPCC-Berichte.

Leippold sieht in dieser Art von Plattformen ein grosses Potenzial. Es werde immer schwieriger, aus dem Datendschungel im Internet vertrauenswürdige Informationen herauszufiltern. «Als Google vor 25 Jahren ins Leben gerufen wurde, wurden 25 Millionen Websites indexiert. Heute umfasst der Google-Suchindex Hunderte Milliarden von Websites.» Zwar ist «Googeln» praktisch, das Resultat aber nicht immer über alle Zweifel erhaben. Beispielsweise wäre für die Beantwortung der Frage, ob ein Elektroauto gekauft werden soll, eine mit wissenschaftlicher Evidenz gefütterte Suchplattform besser geeignet.

Der Kampf gegen Greenwashing ist für Markus Leippold auch eine persönliche Angelegenheit. Im TED Talk erwähnte er, dass die Geburt seiner Kinder der Auslöser gewesen sei, weshalb er sich als Finanzmathematiker mit der Klimaerwärmung beschäftige. Darauf angesprochen im Gespräch in seinem Büro, faltet er die Hände zusammen und überlegt lange. Dann sagt er: «Ich stelle mir den Moment vor, wo ich meine Enkel frage, was sie in Zukunft einmal machen möchten. Was ist, wenn sie dann zurückfragen: ‹Welche Zukunft?›»

Die Chancen stehen gut, dass sich Leippold von seinen Nachfahren dereinst nichts vorwerfen lassen muss. Schliesslich lässt er nichts unversucht. Kürzlich schickte er sogar dem «Terminator» Arnold Schwarzenegger eine E-Mail. Er hofft auf eine Kooperation mit dem Original – was der Bekanntheit des Fact-Checking-Tools «Climinator» natürlich Schub verleihen würde. Ganz unrealistisch ist das nicht: Der Ex-Gouverneur von Kalifornien hält jährliche Klimakonferenzen in seinem Heimatland Österreich ab. Noch steht Schwarzeneggers Antwort aus. Doch Leippold wird es ohnehin weiter versuchen.

Dieser Artikel stammt aus dem aktuellen UZH Magazin «Kostbare Vielfalt»

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