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Wissenschaftsbarometer

Viren und Kriege

Die Schweizer Bevölkerung hält die Wissenschaft in hohem Mass für vertrauens- und glaubwürdig. Dieses Vertrauen ist umso wichtiger, je mehr neue Technologien unseren Alltag bestimmen.
Stefan Stöcklin
Während der Pandemie vertrauten zwei Drittel der Bevölkerung den Expert:innen aus der Wissenschaft. (Bild: istock/lucigerma)

In einer Krise sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so gefragt wie nie: Sie treten ins Scheinwerferlicht und äussern sich zu Fachthemen, von denen die meisten Menschen noch nie gehört haben. Während der Corona-Krise erklärten Fachleute für Epidemiologie, Modellierungen, Virenimmunologie oder RNA-Technologie einer neugierigen Öffentlichkeit den letzten Stand der Dinge. Im Ukraine-Krieg stehen Spezialistinnen und Spezialisten für Militärstrategie, Militärspsychologie, Militärökonomie oder Militärgeschichte im Fokus und löschen den Wissensdurst der verunsicherten Gesellschaft.

Das gesteigerte Vertrauen in Wissenschaft und Forschung zeigt sich exemplarisch im «Wissenschaftsbarometer Schweiz», der regelmässig die Haltung der Bevölkerung zu Wissenschaft und Forschung abfragt: Während der Pandemie zeigten zwei Drittel der Bevölkerung hohes oder sehr hohes Vertrauen in die Wissenschaft. Gemäss der neusten Umfrage im Herbst 2022 sind es 58 Prozent – acht Prozentpunkte weniger. «Viele Menschen vertrauten während der Corona-Krise auf die Wissenschaft», sagt Mike Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation. Das ist wenig erstaunlich, denn Wissenschaft und Forschung hatten am ehesten Lösungen zur Bekämpfung des Virus anzubieten. 

mike schaefer

Wir brauchen eine starke, diversifizierte und kritische Wissenschaftskommunikation, die Ergebnisse aus der Forschung vermittelt.

Mike Schäfer
Kommunikationswissenschaftler

Tradition des Widerspruchs

Auch wenn das Vertrauen seit dem Höhepunkt der Pandemie etwas gesunken ist, so zeigt die regelmässig durchgeführte Befragung auch in Normalzeiten ansehnliche Werte. Eine überwältigende Mehrheit hat sehr hohes oder mittleres Vertrauen in die Wissenschaft, nur gerade fünf Prozent sagten in der letzten Befragung, sie würden der Wissenschaft «überhaupt nicht» vertrauen. Mike Schäfer spricht von «gutem Mittelfeld», wenn man die Schweizer Werte mit anderen deutschsprachigen Ländern vergleicht, denn dort sind die Zahlen teils noch höher.

Die im Vergleich mit Deutschland oder Österreich etwas tieferen Vertrauenswerte erklärt sich Mike Schäfer unter anderem mit der «Tradition des kritischen Widerspruchs» der direkten Demokratie. Wir sind hierzulande gut geübt, gesellschaftspolitische Positionen zu hinterfragen und unsere Meinung zu äussern. Entsprechend werden auch Aussagen von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten kritisch überprüft und angezweifelt. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Diskussion rund um die grüne Gentechnik.

Obwohl eine grosse Mehrheit der Wissenschaft grundsätzlich vertraut, gibt es starke Minderheiten, die bei konkreten Anwendungen aus Wissenschaft und Forschung skeptisch sind. Die Skepsis verschärft sich, wenn Risiken politisch bewirtschaftet werden. Dann kann es schwierig werden, sich im Dickicht widersprechender Aussagen eine eigene Meinung zu bilden. Hier liegt ein grundsätzliches Problem, denn die wissenschaftliche Methode kann unbekannte Risiken aus Prinzip nie ausschliessen.

Dialog auf Augenhöhe

Diese Problematik verschärft sich in unserer hochspezialisierten Gesellschaft. Auch Forschende selbst sind heute kaum noch in der Lage, die Dinge ausserhalb ihres Fachgebiets bis in Details nachzuvollziehen. «Wir alle sind in vielen Lebensbereichen darauf angewiesen, den Spezialistinnen und Spezialisten zu vertrauen», sagt Mike Schäfer. Manche würden an dieser Stelle von Expertenglauben sprechen, doch für Schäfer stimmt dieser Begriff nicht.

Wer glaubt, betrachtet etwas als wahr, unabhängig davon, ob es eine logische Herleitung gibt oder nicht. Forschende hingegen überprüfen ihre Aussagen und streben nach Evidenz. «An dieser Stelle geht es eher um Vertrauen – am besten reflektiertes Vertrauen – in die Wissenschaft, ihre Methoden und die Evidenz», sagt Mike Schäfer.

Wie der Wissenschaftsbarometer zeigt, besteht dieses Vertrauen in der Gesellschaft – dieser Vertrauensbonus ist ein wertvolles Gut. Damit das so bleibt, plädiert Schäfer für eine «starke, diversifizierte und kritische» Wissenschaftskommunikation, durch die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung in die Gesellschaft vermittelt werden.

Diese Aufgabe ist so wichtig geworden, weil die traditionellen Medien in der Krise stecken und im Internet und in den sozialen Medien neben akkuraten Fachinformationen auch viel Desinformation zu finden ist. Gute Wissenschaftskommunikation befähige die Leute dazu, zwischen vertrauenswürdigen und unzuverlässigen Informationen zu unterscheiden.


Wichtig ist, dass nicht nur die wissenschaftsaffinen Menschen angesprochen werden, sondern auch solche mit weniger Nähe zu Akademie und Wissenschaft. «Es braucht unterschiedliche Formate auf verschiedenen Kanälen, von traditionellen bis zu experimentellen Formen», sagt Schäfer. Vor allem reicht es nicht, die Sachverhalte von oben herab zu erklären, wie dies manche Forschende noch immer gerne tun. Statt nur als allwissende Expertinnen und Experten aufzutreten, die Unwissenden die Dinge erklären, braucht es einen Dialog mit Laien auf Augenhöhe und die Bereitschaft auf Seiten der Wissenschaft, zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Die traditionelle Expertenrunde am Fernsehen kann dann ja immer noch stattfinden.

Dieser Artikel erschien zuerst im Dossier «Was wir glauben» im UZH Magazin 1/2023.

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