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Digitale Spiele erobern die Wissenschaft

Der durchschnittliche Gamer ist mittlerweile 30 Jahre alt. Es ist an der Zeit, das Thema digitale Spiele selbstbewusst in Wissenschaft und Öffentlichkeit anzugehen – findet Hiloko Kato, Chair der DSI Community Gaming.
Hiloko Kato
Szene aus dem Videospiel «Harold Halibut» (Bild: SLOW BROS, MfG)

 

Digitale Spiele sind in unserem Alltag angekommen. Was lange Zeit als suspekte Beschäftigung randständiger Jugendlicher angesehen wurde, hat sich mittlerweile zu einer kollektiven Freizeitbeschäftigung entwickelt, die Generationen verbindet. Insbesondere durch die Pandemie wurde der soziale Faktor von Games ins Zentrum gerückt.

Mit Kampagnen wie #Playaparttogether stellte die Gaming-Industrie grosse Titel kostenlos zur Verfügung. Sie unterstützte damit die Aufrufe der Weltgesundheits­organisation (WHO) während der Pandemie, zu Hause zu bleiben. Zeit mit Freunden verbringen konnte man trotzdem: beim Gamen. Die Gaming-Industrie ist denn auch eine der wenigen Branchen, die trotz COVID-19 zulegen konnte, und hat inzwischen beim Umsatz bereits die Film- und Musikbranche hinter sich gelassen.  

Bereits vor der Pandemie zockte Alain Berset mit Schweizer Entwicklern an der Gamescom und auch Altbundeskanzlerin Angela Merkel strich offiziell die Bedeutung von digitalen Spielen als Innovationsmotor und Kulturgut hervor. In einer digitalen Kultur, bei der transmediale Formen eine einflussreiche Rolle einnehmen, spielen Games eine immer prominentere Rolle: Sie sind nicht mehr nur Transmedia-Ergebnisse wie bei Hogwarts Legacy, The Witcher oder Tom Clancy's Rainbow Six Siege.

Vielmehr werden sie selbst zum Ausgangsmedium von Adaptationen für Filme und Serien wie Assassin’s Creed, Uncharted, Arcane oder The Last of Us zeigen. Bekannte Popstars wie Little X Nas’ produzieren Hymnen für E-Sports-Weltmeisterschaften und Airlines lassen ihre Flugzeuge mit Pikachu bedrucken. Darüber hinaus sammeln das Museum of Modern Art und das Literaturarchiv in Marbach digitale Spiele seit 2012 bzw. seit 2019. Diesen Brückenschlag zu den Künsten zeigt zurzeit die Ausstellung Game Design Today im Museum für Gestaltung in Zürich.

Vom Stiefkind zum wissenschaftlichen Objekt

Die Entwicklung bei der Rezeption digitaler Spiele über die letzten Jahrzehnte hinweg stellt ein bekanntes Phänomen dar, welches neue Medien durchlaufen, wenn sie sich in einer Gesellschaft etablieren: Man sieht sie zunächst als Konkurrenz zu den bisherigen Medien und als Beweis dafür, wie althergebrachte Werte in Gefahr sind.

Dies war bei Radio, Film und Fernsehen nicht anders und wurde auch bei der Literatur ausgehandelt (z.B. mit der gefährlichen Lesesucht, satirisch vorgeführt bei de Cervantes Don Quijote). Bei digitalen Spielen widerspiegelt sich diese kritische Haltung insbesondere in den Medienberichten um Shooter-süchtige Amokläufer und ebenso in der Wissenschaft, wo besonders in den 2010er Jahren dominant über die Verbindung zwischen Gamen und Aggression geforscht wurde.

Sicherlich sind diese kritischen Stimmen nicht nur wegen den teilweise problematisch-einseitigen Fragestellungen und uneindeutigen Ergebnissen zurückgegangen, sondern auch wegen der Tatsache, dass Forschende mittlerweile selbst mit digitalen Spielen aufwachsen und sich mit ihrem Untersuchungsobjekt tatsächlich auseinandergesetzt haben.

So hat die wissenschaftliche Literatur zu den positiven Effekten von digitalem Spiel stetig zugenommen. Sie reichen von kognitiven Aspekten wie schnellerem Reaktionsvermögen oder ganzheitlicherer Wahrnehmung über motivationale Vorteile beim Lernen bis zu einem emotionalen Benefit durch die Möglichkeit, über Online-Spiele ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community zu entwickeln.

Trotz dieser positiven Aufbruchstimmung sollten auch die negativen Seiten von Games nicht klein geredet werden. Seit 2015 ist Gamesucht im ICD-11-Kompendium (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der WHO kategorisiert und wird oftmals mit Glücksspielsucht in Verbindung gebracht.

Eine besonders dunkle Seite von digitalem Spiel ist insbesondere in der Online-Spielwelt zu finden: Manche Spiel-Communities, vor allem im kompetitiven E-Sports-Bereich, sind geprägt von negativem Verhalten, Toxizität und Frauen- wie LGBTQ-Feindlichkeit. Solche Themen sind ein ernst zu nehmendes Problem, das bislang immer noch von nur wenigen Game-Studios ernsthaft angegangen wird.

Mit automatisierter Texterkennung und sofortigem Spielausschluss wird zwar bei gewissen Spielen wie  League of Legends gegen verbale Belästigung und Hassreden vorgegangen, jedoch entwickeln die Spielenden ihrerseits wiederum kreative Lösungen, um diesen Massnahmen zu entgehen, indem sie etwa Buchstaben durch Zahlen ersetzen. Hier zeigt sich, wie toxisches Verhalten kaum an Aktualität verliert und beinahe zum festen Bestandteil gewisser Spielkulturen zu gehören scheint.

Das Potential von digitaler Spielforschung

Motivationstechniken digitaler Spiele sind jedoch, wenn sie greifen, hochgradig erfolgreich. Dies machen sich in letzter Zeit Bereiche zunutze, wo komplexes oder repetitives Wissen vermittelt werden muss. Sprachlern-Apps etwa arbeiten mit simplen Gamification-Elementen wie Belohnungssystemen oder mit dem aus dem Schach entlehnten Elo-System (Erstellung einer Rangliste nach Spielstärke der Teilnehmenden).

Digitale Spiele bieten gamemechanisch jedoch viel mehr als nur Pokale und Gold/Platin-Plaketten: Stärker gamebasiert als diese einfachen Belohnungssysteme und Sammlungsmotivierung sind Playification-Elemente. Zum Beispiel narrativ-angelegte Fortschritts-Belohnungen, die wie filmische Szenen in digitalen Spielen funktionieren oder rundenbasierte Rollenspiel-Elemente, bei denen auch die Bindung an die Lernwelt durch den eigenen Avatar und mit Hilfe von anderen virtuellen Charakteren verstärkt wird.

Genau solche Ansätze werden auch in den Wissenschaften rund um das Thema Wissensvermittlung eingesetzt. Der gesamte Bereich von Game-basierten Forschungs-Ansätzen, zu denen auch so genannte Serious Games gehören, nutzt Einsichten aus dem Game Design, um digitale Spiele zu entwickeln, die nicht primär dem Zeitvertreib dienen, sondern «ernsthafte» Inhalte vermitteln.

Dieser wissenschaftliche Bereich wird ergänzt durch die Forschungsbereiche der Game Studies, die sich mit der Charakteristik und dem Einfluss von digitalen Spielen auf unsere Gesellschaft und Kultur auseinandersetzen. Zu der hier stark vertretenen medien-, filmwissenschaftlichen und psychologischen Forschung sind mittlerweile auch kulturwissenschaftliche und interaktionsanalytische Untersuchungsansätze hinzugekommen. Letztere untersuchen etwa, wie Spielende in Multiplayer-Games miteinander kommunizieren und interagieren oder wie sie reagieren, wenn sie in einer ihnen noch unbekannten Virtual Reality-Spielumgebung agieren sollen.

Dieser Text ist Teil der Reihe «DSI Insights» auf «Inside IT»