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Berufliche Grundbildung an der UZH

Grössere Chancen für Geflüchtete auf eine Lehrstelle

Dreizehn verschiedene Berufslehren (sogenannte «berufliche Grundbildungen») können Jugendliche derzeit an der UZH absolvieren. Neu haben auch anerkannte Geflüchtete eine bessere Chance, eine der beliebten Lehrstellen zu erhalten – dank der Integrationsvorlehre INVOL. Auch ein Vorbereitungspraktikum kann Menschen mit Migrationshintergrund den Einstieg in eine Lehre an der UZH erleichtern.
Brigitte Blöchlinger
Semere Gebru hat als Erster an der UZH eine Integrationsvorlehre INVOL absolviert und fängt diesen August am Irchel die Lehre als Gärtner EBA an. Wie es dazu kam, erfahren Sie in der Fotogalerie ganz unten. (Foto Brigitte Blöchlinger)

«Vermutlich denken die meisten beim Wort Lehre an der UZH eher an eine Vorlesung als an eine Lehrstelle», sagt Thomas Meyer, Koordination Berufliche Grundbildung UZH in der Abteilung Personal. «Auf jeden Fall ist es noch zu wenig bekannt, dass die UZH auch ein breites Spektrum an beruflichen Grundbildungen anbietet.» Das soll sich ändern – sowohl auf Wunsch der UZH als auch der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. 2018 hat die Universität Zürich entschieden, ihren gesellschaftlichen Bildungsauftrag stärker wahrzunehmen.

UZH-Experte im Bereich berufliche Grundbildung ist Philipp Gonon, der 2004 den Lehrstuhl für Berufsbildung am Institut für Erziehungswissenschaft an der UZH aufgebaut hat. Gonon hat 19 Jahre lang intensiv zur (früher belächelten) beruflichen Grundbildung geforscht und gelehrt sowie Generationen von Berufsschullehrpersonen ausgebildet. So konnte er 2014 der Universitätsleitung eine Studie vorlegen, die aufzeigte, dass die UZH bei der beruflichen Grundbildung Nachholbedarf hatte und andere Hochschulen professioneller vorgingen. «Die Universitätsleitung stand dem Anliegen, das Ausbildungsangebot für Lernende auszubauen und zu verbessern, sehr positiv gegenüber – bis heute», sagt Gonon.

Für die Erarbeitung der konzeptionellen und reglementarischen Grundlagen wurde 2018 eine strategische Begleitgruppe gebildet. Diese setzte sich aus folgenden Mitgliedern zusammen: Professor Philipp Gonon (Institut für Erziehungswissenschaften), Professorin Marta Manser (Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften), Dr. Kai von Massenbach (Zentrum für Zahnmedizin), Roberto Mazzoni (Zentrale Informatik), Nicole Nussbaumer (Tierspital), Steve Rast (Institut für Biochemie) und die beiden Lernenden Deniz del Priore (Hauptbibliothek der Universität Zürich) und Andrea Turrin (Institut für Chemie).

Auf dieser Basis wurde unter der Leitung der damaligen Koordination Berufliche Grundbildung UZH ein Reglement zur beruflichen Grundbildung und der «Leitfaden für die berufliche Grundbildung an der UZH» erarbeitet und sämtlichen Berufsbildner:innen der UZH vorgelegt. Reglement und Leitfaden wurden 2019 durch die Universitätsleitung genehmigt.

 

Noura Abedrehman beginnt im August eine Lehre als Fachperson Information und Dokumentation an der Universitätsbibliothek im Bereich Geschichte, Kultur und Theologie – wie sie das geschafft hat, erfahren Sie in der Bildergalerie zuunterst. (Foto Brigitte Blöchlinger)

Gestiegene Wertschätzung

Philipp Gonon arbeitet auch nach seiner Pensionierung im Jahr 2021 weiterhin in der Fachgruppe «Berufliche Grundbildung UZH» mit. Er konnte beobachten, dass die Berufsbildung in den letzten Jahrzehnten an Prestige gewonnen hat. Mittlerweile ist es in der Gesellschaft angekommen, «dass man auch mit einer Lehre Karriere machen kann». So sind zahlreiche andere Länder an der beruflichen Grundbildung interessiert sind; der UZH-Experte wird regelmässig als Referent eingeladen. «Das Thema ist gefragt», so Gonon.

Der von ihm aufgebaute Lehrstuhl wurde nach seiner Emeritierung wieder besetzt, mit Katrin Kraus, die sich auf Berufs- und Weiterbildung spezialisiert hat. An der Philosophischen Fakultät der UZH herrscht heute gemäss Gonon ein «wohlwollendes Anerkennen der Bedeutung der Berufsbildung als Forschungsgebiet». Die viel gelobte Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystem hat an der UZH auch eine kulturelle Veränderung bewirkt: Einer Zusammenarbeit mit Fachhochschulen steht nichts entgegen.

Lehrstellenangebot ausbauen

Thomas Meyer, Koordination Berufliche Grundbildung UZH in der Abteilung Personal, hat beobachtet, dass die UZH ein attraktiver Ausbildungsort für Lernende ist: «Die Lehrstellen an der UZH sind begehrt.»

Derzeit überlegt die Fachgruppe «Berufliche Grundbildung UZH», der Gonon und Meyer angehören, wie das Lehrstellenangebot weiter ausgebaut werden könnte. «Das ist nicht so einfach, wie man meinen könnte», sagt Gonon. Die Institute und Abteilungen müssen erst einmal davon erfahren und dann auch bereit sein, eine entsprechende Stelle zu finanzieren. «Das benötigt manchmal längere Lernprozesse», so Gonon. Auch braucht es fähige Berufsbildner:innen, die die Betreuung der Lernenden ernst nehmen.

Ermunterung zur Berufsmaturität

Die Berufsbildung ist ein sehr heterogenes Feld, das sich stetig weiterentwickelt. Nicht nur kommen und gehen neue Lehrstellenfavoriten – früher waren in der Schweiz z.B. Dentalhygienikerin oder Laborant sehr beliebt, heute die Kaufmännische Lehre. Ausserdem hat der Trend zum lebenslangen Lernen auch die berufliche Grundbildung erfasst. So unterstützt die UZH die Lernenden, die eine Berufsmaturität absolvieren möchten – was ihnen den Zugang zu den Aus- und Weiterbildungsangeboten der Fachhochschulen ermöglicht.

Geflüchtete und Lernende mit Migrationshintergrund

Seit neuem haben auch Kandidat:innen mit Migrationshintergrund an der UZH bessere Chancen auf eine Lehrstelle. Viele sind geeignet und hochmotiviert, passen jedoch vom Alter oder von der Vorbildung her nicht ins klassische Raster von Lernenden. Sie können seit kurzem an der UZH die sogenannte Integrationsvorlehre INVOL absolvieren: Dabei arbeiten sie ein Jahr lang einen Tag pro Woche im Team ihrer zukünftigen Lehrarbeitsstelle mit und besuchen an den restlichen Wochentagen unterstützende Kurse. Davon profitieren insbesondere Geflüchtete, die erst als Erwachsene in die Schweiz gekommen sind oder deren Vorbildung nicht dem schweizerischen Niveau entspricht.

Semere Gebru: Integrationsvorlehre INVOL

Semere Gebru ist der Erste an der UZH, der die neue Integrationsvorlehre INVOL absolviert hat. Er stammt aus Eritrea, ist 36 Jahre alt, lebt seit sechs Jahren in der Schweiz und wohnt als anerkannter Flüchtling mit seiner Familie in Zürich. Im August 2023 fängt er in der Gärtnerei am UZH-Standort Irchel eine zweijährige Lehre als Gärtner mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA) an. Schon in seinem Ursprungsland Eritrea war er, wie seine Eltern, Bauer. Für die INVOL hat er vor einem Jahr auch im Detailhandel und in der Logistik erste Eindrücke gewinnen können. Von der Migros hatte er bereits eine Zusage, als auch noch die Zusage der Irchel-Gärtnerei im Briefkasten landete. «Ich hätte jede Lehre gemacht. Aber Gärtner am liebsten», sagt Semere Gebru glücklich.

  • Eintritt nur für Personal

    Eintritt geschafft

    Semere Gebru hat als Erster an der UZH die neue einjährige Integrationsvorlehre (INVOL) gemacht. INVOL richtet sich an anerkannte Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene, spätzugewanderte Personen aus EU-, EFTA- oder Drittstaaten sowie Personen mit Schutzstatus S, die motiviert sind, in der Schweiz eine Berufsausbildung zu absolvieren. Und der 36-jährige Semere Gebru, der vor sechs Jahren aus Eritrea geflüchtet ist und mit der Familie in Zürich wohnt, ist hoch motiviert für die Gärtnerlehre an der UZH.

  • Den Rasen trimmen

    Vielfältige Gärtnerarbeiten

    Nach der einjährigen Integrationsvorlehre INVOL in der Irchel-Gärtnerei kennt Semere Gebru die Arbeiten, die im Laufe des Jahres anfallen. Heute hat er alle Pflanzen in den Gebäuden auf dem Irchel-Campus gegossen – «das dauert ein paar Stunden», so viele sind es. Dann war Jäten der Blumenbeete angesagt und Rasenmähen. Auch das Trimmen des Rasens steht einmal pro Woche auf dem Programm. Und im Winter? «Schnee räumen, salzen und Holz spalten fürs Grillieren im Sommer.»

  • Hinweis vom Laufbahnzentrum Zürich

    Neue Lehrstelle als Gärtner am Irchel

    Den Hinweis, dass die UZH am Standort Irchel neu eine Lehrstelle als Gärtner anbietet, hat Semere Gebru von seinem Betreuer am Laufbahnzentrum Zürich erhalten, der ihn auch bei der Bewerbung unterstützt hat. Nachdem sich die Gärtnerei des Betriebsdiensts Irchel für ihn entschieden hatte, konnte er letztes Jahr einen Vertrag zur Integrationsvorlehre abschliessen und bereits während dem INVOL-Jahr neben den vorbereitenden Schulkursen dort arbeiten.

  • Im Geräteraum

    Los geht's mit der Lehre

    Am 15. August startet die neu geschaffene zweijährige Lehre zum Gärtner EBA in der Irchel-Gärtnerei offiziell. Einen Tag in der Woche wird Semere Gebru den berufsspezifischen Unterricht an der Berufsfachschule in Wetzikon besuchen. An der Abschlussprüfung in zwei Jahren wird Gärtner Semere Gebru unter anderem auch die Namen von 160 Pflanzen kennen, auf Deutsch und Lateinisch.

  • Gärtner werden, Gärtner bleiben

    Gärtner werden und bleiben

    Und nach der Lehre? Was ist sein nächstes Ziel? «Ich möchte am liebsten in der Gärtnerei der UZH weiterarbeiten», sagt Semere Gebru.

Noura Abedrehman: 11-monatiges Vorbereitungspraktikum

Auch die 22-jährige Noura Abedrehman aus Syrien, die im August eine Lehre als Fachperson Information und Dokumentation an der Universitätsbibliothek (UB) beginnt, ist ein anerkannter Flüchtling. Vor vier Jahren kam sie mit ihrer Mutter aus Syrien in die Schweiz, wohin schon ihre Geschwister geflüchtet waren. «In Syrien mussten wir oft um- und weiterziehen, zuerst weil meine Brüder anderswo arbeiten mussten und dann wegen dem Krieg», erzählt sie. «Mein grösster Wunsch ist es, irgendwo zu bleiben.» Am liebsten in der Schweiz, denn hier fühlt sie sich sicher und sieht viele Lernmöglichkeiten. «Nach der Lehre möchte ich die Berufsmaturität machen.» Um was zu studieren? «Das Fach ist noch nicht ganz klar», sagt Noura Abedrehman, «aber die Richtung schon: Psychologie oder Philosophie.» Während ihrer Lehre an der UZH wird sie schon einmal einen ersten Einblick in die Schätze der Philosophie gewinnen können.

  • Noura Ablage

    Hartnäckigkeit bringt Erfolg

    Eine Lehrstelle in einer Bibliothek zu finden, war alles andere als einfach. Als Geflüchtete wurde Noura Abedrehman einem Durchgangszentrum zugewiesen, wo ihr wenig Hoffnung auf eine gute Lehrstelle gemacht wurde. Doch Noura Abedrehman liess sich weder durch demotivierendes Feedback von aussen noch durch die eigene Traurigkeit lähmen.

  • Noura am Computer

    Erste Erfahrungen in der Logistik

    Im Rahmen des integrativen Brückenangebots (IBA) besuchte Noura Abedrehman die IBA-Schule in Pfäffikon SZ, verbesserte ihre Deutschkenntnisse und ihre Kenntnisse in Mathematik, Geografie und Geschichte der Schweiz. Donnerstags ging sie wie alle IBA-Schüler:innen bei potenziellen Lehrstellen schnuppern. Zuerst bot sich ihr nur die Möglichkeit, ein Bücher-Logistikzentrum kennenzulernen. Die Arbeit dort war körperlich streng und nicht im Buchhandel, wie sie es sich gewünscht hatte. Trotzdem wollte sie es «unbedingt durchziehen», wie sie sagt. «Die Logistik war eine Erfahrung, ich will nicht klagen», sagt sie im Rückblick auf das vergangene Jahr.

  • Bücherrückgabe

    Berufswunsch wird klar

    In der IBA-Schule mussten die Schüler:innen Berufspräsentationen machen. Noura Abedrehman wählte schon bei ihrer ersten Präsentation Fachfrau Information und Dokumentation. «Zu Beginn war es mir noch nicht so klar, was ich wollte, aber am Ende habe ich gekämpft, dass ich diese Stelle bekomme», erzählt sie stolz.

  • Bücher einreihen

    Unterstützung durch Job-Coachin

    Von einer syrischen Kollegin erhielt Noura Abedrehman einen Hinweis auf eine Job-Coachin, die sehr gut sei. Eines Tages ging sie einfach bei ihr vorbei – und wurde ohne Termin vorgelassen. «Ich habe ihr alles erzählt. Von da an unterstützte sie mich sehr», erinnert sich Noura Abedrehman. «Die Job-Coachin sagte, dass wir zuerst eine Lehrstelle in meinem Lieblingsbereich Bücher suchen, und wenn es nicht klappe, würden wir nach einem verwandten Beruf suchen.»

  • Treppe nach oben

    Auf dem Weg zur Fachfrau Information und Dokumentation

    Noura Abedrehman fuhr auf Anraten der Job-Coachin nach Zürich und informierte sich beim Berufsinformationszentrum BIZ über möglich Schnupperstellen in Bibliotheken oder im Buchhandel. «Es gab in ganz Zürich nur gerade fünf», erzählt Abedrehman. Ihre Job-Coachin meinte, das sei eine Gewinnchance, so gering wie beim Lotto. Doch das Glück war auf ihrer Seite. Auf Abedrehmans Bewerbungen antwortete die Universitätsbibliothek (UB) und bot ihr ab September 2022 ein Praktikum an, mit Aussicht auf eine Lehrstelle ab August 2023. Nach der dreimonatigen Probezeit waren die vorgesetzten Personen an der UB alle sehr zufrieden, und so öffnet sich für Noura Abedrehman nach vier Jahren in der Schweiz die Tür zu einer anerkannten Ausbildung und damit zu einem selbstbestimmten Leben.