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Human Reproduction Reloaded | H2R

Soll die Eizellenspende in der Schweiz legalisiert werden?

Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hat im Jahr 2021 die Motion «Kinderwunsch erfüllen, Eizellenspende für Ehepaare legalisieren» eingereicht. Damit ist die Diskussion über das emotionale Thema Eizellenspende in der Politik lanciert – und sollte auch in der Gesellschaft geführt werden. UZH News hat die Juristin Andrea Büchler und die Reproduktionsmedizinerin Brigitte Leeners dazu befragt.
Brigitte Blöchlinger
Die Verwirklichung des Kinderwunsches gehört zur verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Menschen in der Schweiz.


Vorbei die Zeiten, als Kinderlosigkeit ein Schicksal war, dem man sich zu beugen hatte. Heute können Paare, die auf natürlichem Weg keinen Nachwuchs bekommen, ihren Kinderwunsch relativ einfach und sicher mithilfe reproduktionsmedizinischer Verfahren realisieren.

«In der Schweiz können die meisten Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit auf Seiten der Frau und auf Seiten des Mannes mit sehr guten Ergebnissen behandelt werden», betont Brigtte Leeners, Professorin für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der UZH und Klinikdirektorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich (USZ). «Ein Problem ist jedoch, wenn bei der Frau eine Eizellspende benötigt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die eigene Eizellreserve durch vorzeitige Wechseljahre, infolge einer Erkrankung oder auch durch das Alter erschöpft ist.» In diesen Fällen kann sich das Paar nicht hier behandeln lassen, da in der Schweiz die Eizellenspende verboten ist. Es muss sich nach einer Klinik im Ausland umsehen, wo die Eizellenspende erlaubt ist, zum Beispiel in Spanien. Bei fehlenden Spermien hingegen erlaubt es das Gesetz einem verheirateten Paar, in der Schweiz mithilfe einer Samenspende Kinder zu bekommen.

Gesetzesänderung in Arbeit

Diese Ungleichheit soll nun aufgehoben werden. Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hat eine entsprechende Motion «Kinderwunsch erfüllen, Eizellenspende für Ehepaare legalisieren» eingereicht; der National- und der Ständerat haben sie 2022 angenommen und den Bundesrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage und die Rahmenbedingungen für die Gesetzesänderung zu schaffen.

Was gilt es aus medizinischer und juristischer Sicht bei einer allfälligen Legalisierung der Eizellenspende zu bedenken? UZH News hat die Reproduktionsmedizinerin Brigitte Leeners und die Juristin Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der UZH und Leiterin des Universitären Forschungsschwerpunkts «Human Reproduction Reloaded | H2R», gefragt.


Brigitte Leeners, Sie leiten die Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich. Wer kommt bisher zu Ihnen, und wer käme in Zukunft, sollte die Eizellenspende in der Schweiz legalisiert werden?

Brigitte Leeners: Ich denke, es wären in etwa die gleichen Personen wie heute, denn oft ist die Ursache des Ausbleibens einer Schwangerschaft ja nicht bekannt, wenn ein Paar oder eine Einzelperson zu uns kommt. In den meisten Fällen sind es Paare, die es eine gewisse Zeit erfolglos zuhause selbst versucht haben. Bei manchen Paaren klappt es einfach nicht, bei anderen tritt die Regelblutung bei der Frau nach dem Absetzen der Pille nicht ein. Bei wieder anderen ist von Anfang klar, dass es ohne medizinische Unterstützung nicht geht – zum Beispiel, weil der neue Partner unterbunden ist. Oder weil die Partnerin vorzeitig in die Wechseljahre gekommen ist – diese Frauen wären auf eine Eizellenspende angewiesen. Wir würden es sehr begrüssen, wenn wir sie in der Schweiz behandeln könnten.

Bisher ist nur die Samenspende in der Schweiz erlaubt. Wie wird sie gehandhabt?

Andrea Büchler: Die Samenspende kennt eine explizite Regelung im Gesetz: Sie ist unentgeltlich, es gibt keine anonyme Spende und auch keine gerichtete Samenspende. Die Wunscheltern können sich weder den Spender aussuchen, noch kann ein Samenspender zugunsten einer bestimmten Person, zum Beispiel seines Bruders oder Cousins spenden. Die Auswahl der Samenspende erfolgt durch die Ärztin bzw. den Arzt, und sie erfolgt nach medizinischen Kriterien: Gesundheitliche Risiken für die Empfängerin sollen so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Zudem dürfen die Blutgruppe und die Ähnlichkeit der äusseren Erscheinung des Spenders mit dem Wunschvater berücksichtigt werden – so wird darauf geachtet, dass der Spender und der Wunschvater nicht völlig verschieden aussehen. Andere Auswahlkriterien sind verboten.

Brigitte Leeners: In der Schweiz können Kliniken und Zentren selbst entscheiden, ob sie eine Samenbank aufbauen möchten. Ich denke, bei einer legalisierten Eizellenspende wäre ein Pool-System am besten, um den Aufwand insgesamt überschaubar zu halten, dem Gesamtbedarf in der Schweiz gerecht zu werden und Spenderinnen und Empfängerinnen gut aufeinander abstimmen zu können.

Würden Sie eine Legalisierung der Eizellenspende in der Schweiz begrüssen?

Brigitte Leeners: Absolut. Wir fänden es fair, wenn man bei entsprechender Indikation nicht nur die männliche Unfruchtbarkeit mit einer Samenspende beheben könnte, sondern auch die weibliche mit einer Eizellenspende.

Andrea Büchler: Aus rechtlicher Sicht stellt sich Ihre Frage gerade umgekehrt. Nicht: Sollen wir die Eizellenspende erlauben? Sondern: Dürfen wir die Eizellenspende verbieten? Die Verwirklichung des Kinderwunsches gehört zur verfassungsrechtlich geschützten Freiheit. Es braucht also gute Gründe, um den Zugang zu Methoden, die diese ermöglichen, zu beschränken – und das aktuelle Verbot der Eizellenspende ist eine maximale Beschränkung.

Welche Argumente gegen die Legalisierung der Eizellenspende werden denn ins Feld geführt?

Andrea Büchler: In der Diskussion wird immer wieder das Kindswohl bemüht – kurioserweise wird das berechtigte Anliegen des Wohls des Kindes nur in Zusammenhang mit der Legalisierung der Eizellenspende ins Spiel gebracht, bei der Samenzelle nicht. Doch gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass eine Eizellenspende das Kindswohl gefährdet. Die Wunschmutter trägt das Kind aus und baut in der Schwangerschaft eine enge emotionale und auch körperliche Beziehung zu ihm auf. Weiter wird das Verbot der Eizellenspende mit dem Schutz der Spenderin begründet.

Brigitte Leeners, wie schätzen Sie den Bedarf an Eizellenspenden ein?

Brigitte Leeners: Seit ein paar Jahren beobachten wir, dass die Zahl der Frauen steigt, die ihre Eizellen für eine allfällige spätere Schwangerschaft einfrieren lassen – beispielsweise weil sie noch keinen Partner gefunden haben, mit dem sie ihren Kinderwunsch realisieren möchten, oder weil gerade eine Partnerschaft zerbrochen ist, in der sie eine Familie gründen wollten. Durch dieses sogenannte «egg freezing» steigt möglichweise der Pool an Eizellen, die eventuell nicht genutzt werden. Ich fände es sehr begrüssenswert, wenn man diesen Frauen durch die Legalisierung der Eizellenspende die Möglichkeit gäbe, bei Nichtbedarf ihre gefrorenen Eizellen für Andere zur Verfügung zu stellen.

Eine ähnlich unbefriedigende Situation haben wir derzeit bei überzähligen Embryonen von erfolgreich behandelten Paaren. Auch sie können die Embryonen selbst bei ausdrücklichem Wunsch aktuell nicht Anderen spenden.

Eine Eizellenspende ist medizinisch gesehen viel aufwändiger als eine Samenspende. Frauen, die Eizellen spenden, benötigen eine Behandlung mit einem kleinen Eingriff zur Entnahme der Eizellen, die belastend sein kann. Eine Samenspende ist vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen und nebenwirkungsfrei. Ist das aktuelle Verbot der Eizellenspende wirklich eine «inakzeptable Ungleichbehandlung», wie es in der Motion heisst?

Andrea Büchler: Diese Frage höre ich immer wieder – sie zielt aber in die falsche Richtung. Die Ungleichbehandlung, die es zu beheben gilt, bezieht sich nicht auf die medizinischen Verfahren und den Regelungsbedarf, der sich dadurch ergibt, dass diese Verfahren unterschiedlich sind. Sondern die Ungleichbehandlung widerfährt den Wunscheltern bzw. der Wunschmutter. Eine unfruchtbare Frau kann sich ihren verfassungsmässig geschützten Kinderwunsch nicht wie ein unfruchtbarer Mann mithilfe einer gespendeten Keimzelle erfüllen, sie hat keinen Zugang zu einer Behandlung.

Dass man diese Ungleichheit aufhebt, bedeutet keinesfalls, dass man die Eizellenspende gleich wie die Samenspende regeln soll. Selbstverständlich muss man spezifische Vorkehrungen zum Schutz der Spenderin treffen und eine Pflicht zur umfassenden Information über mögliche Risiken bei einer Eizellspende vorschreiben.

Brigitte Leeners: Medizinisch gesehen sind die Risiken heute sehr überschaubar. Das gilt beispielsweise für die hormonelle Behandlung, die es braucht, damit einer Spenderin Eizellen entnommen werden können. Die Hormone, die die Wunschmutter vor dem Embryotransfer erhält, sind sehr nah an dem natürlichen Zyklus und werden nur in den ersten Wochen der Schwangerschaft benötigt.

Männer, die Samen spenden, werden genetisch auf die wichtigsten Erbkrankheiten untersucht, ob sie «gesund» sind. Was wird alles gecheckt?

Brigitte Leeners: Der Umfang einer genetischen Untersuchung von Samenspendern und Eizellspenderinnen auf Erbkrankheiten ist umstritten. Selbstverständlich sollten durch eine sorgfältige Anamnese Hinweise auf Erbkrankheiten ausgeschlossen werden. Auch macht es Sinn, auf die häufigsten Erbkrankheiten zu untersuchen. Von da aus gehen jedoch die Meinungen auseinander, was alles untersucht werden sollte. Einige Kliniken untersuchen keine weiteren Gene, andere die 50 häufigsten Erbkrankheiten, andere die 80 häufigsten, ein Center in New York gar Tausende von Erkrankungen. Doch auch wenn tausende Gene untersucht werden – verschiedene genetische Auffälligkeiten treten spontan in einzelnen Keimzellen auf, das heisst, sie können bei einer Untersuchung der Spender und Spenderinnen nicht erfasst werden, so dass auch umfangreiche Untersuchungen keine absolute Sicherheit in Bezug auf genetische Auffälligkeiten garantieren.

Wie handhaben Sie das in der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am USZ?

Brigitte Leeners: Wir untersuchen Embryonen auf Erbkrankheiten, wenn ein oder beide Elternteile von einer Erbkrankheit betroffen und die rechtlichen Bedingungen für eine Abklärung erfüllt sind oder wenn es besondere Gründe wie z.B. wiederholte Fehlgeburten gibt. Aber wir würden eine Präimplantationsdiagnostik nicht systematisch empfehlen, wie es zum Beispiel in vielen spanischen Kliniken üblich ist.

Andrea Büchler, wie beurteilen Sie die genetischen Untersuchungen aus rechtlicher Sicht?

Andrea Büchler: Die Genetik ist ein Feld, das sich sehr schnell entwickelt. Deshalb halte ich die heutige Handhabe, wie sie bei der Samenspende zum Zuge kommt, auch bei einer allfälligen Legalisierung der Eizellenspende für passend: Die medizinischen Fachgesellschaften entscheiden darüber, welche genetischen Untersuchungen sinnvoll sind.

Aus juristischer Sicht ist eine andere Frage sehr wichtig: Was macht man mit den Informationen, die man durch eine genetische Analyse der Spendenden erhält? Anspruchsvoll ist insbesondere der Umgang mit Überschussinformationen und mit Zufallsfunden – das heisst, wenn bei der Untersuchung von Keimzellen etwas entdeckt wird, was der oder die Spenderin nicht kannte.    

Wenn das Neugeborene trotzdem eine Krankheit aufweist – was bedeutet das für die frischgebackenen Eltern und was für die Eizellenspenderin – rechtlich und ethisch?

Brigitte Leeners: Es gibt für niemanden und in keinem Fall eine Garantie auf eine gesunde Schwangerschaft und gesunde Kinder. Das gilt für Nachwuchs, der ohne medizinische Unterstützung gezeugt wurde, und genauso für Kinder, bei denen eine Keimzellspende mitgeholfen hat. Die Idee, dass man alles kontrollieren kann, ist völlig unrealistisch. Es braucht eine sorgfältige Aufklärung, welche Risiken bestehen, und eine sorgfältige Abklärung der Spender:innen – eine 100-prozentige Sicherheit gibt es jedoch nicht.

Früher musste man sich mit Kinderlosigkeit abfinden; heute ist die Samenspende erlaubt, die Eizellenspende wird wohl ebenfalls legalisiert werden; in einigen Ländern ist die Leihmutterschaft akzeptiert … Wo sehen Sie die ethischen Grenzen der Erfüllbarkeit eines Kinderwunsches durch medizinische Hilfeleistungen? Oder einfacher gefragt: Sollen sich alle ihren Kinderwunsch mithilfe der Reproduktionsmedizin erfüllen können?

Brigitte Leeners: Meines Erachtens lässt sich das nicht allgemein, sondern nur individuell durch die Betrachtung der Gesamtsituation eines Paares entscheiden. Bei komplexer und kritischer Ausgangslage gehen wir an der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie so vor, dass wir im interdisziplinären Team, zu dem auch Ethiker:innen gehören, diskutieren und Teamentscheide fällen. Dabei ist das Kindswohl natürlich wie in allen Fällen von zentraler Bedeutung.

Können Sie ein Beispiel geben?

Brigitte Leeners: Wir hatten einmal eine Klientin, die aufgrund ihres kulturellen Hintergrund einen starken Kinderwunsch hatte, aber selbst mit Unterstützung des Partners nicht in der Lage war, für ein Kind zu sorgen. In diesem Fall entschieden wir uns im Team gegen eine Behandlung. Die Patentin hat daraufhin eine andere Klinik aufgesucht und kam für die Geburt wieder ans USZ. Am Tag danach musste die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB eingeschaltet und das Neugeborene fremdplatziert werden. Solche Situationen wollen wir vermeiden. Auch zum Beispiel eine Suchtproblematik, eine Gewaltanamnese oder schwere medizinische Kontraindikationen wie Multimorbidität sind herausfordernde Paarsituationen, bei denen wir uns im Team überlegen, unter welchen Bedingungen wir die Behandlung durchführen – und in seltenen Fällen auch ablehnen. Aber in den allermeisten Fällen ist eine Unterstützung des Kinderwunsches möglich.